Trautes Heim, Erfolg allein


Eigentlich dürfte es mich ja nicht wundern – dennoch staune ich immer wieder darüber: Die Voraussage, welches Interesse ein Beitrag findet, ist prinzipiell recht einfach. Allgemein gehaltene, längere Texte bewirken höchstens durchschnittliche Zugriffszahlen, auf spezielle Ereignisse oder gar Personen bezogene deutlich mehr. Vor allem lockt man viele Leser an, wenn man ironisch oder gar satirisch schreibt, ein eher sachlicher Stil dagegen wirkt abtörnend. Sehr erfolgreich sind auch Bilder mit „privater“ Anmutung und einigen Zeilen dazu.

So war ich beispielsweise letzthin besonders stolz auf meinen „Muster-Abituraufsatz“ zum Thema „Satire“ und den Vergleich zwischen den Hysterien früherer Zeiten (Hexenverfolgung, Antisemitismus) und dem momentanen Aberglauben-Hype, betitelt „Die Wahnsinnigmacher“.

Die Satire-Arbeit erreichte bislang auf Facebook 60 Leser und erzielte auf dem Blog 28 Direktzugriffe, mit 106 bzw. 179 Klicks lag der zweite Text ein Stück darüber.

Kein Vergleich aber mit einem Facebook-Post, der mich auf einem Treppenlift fahrend zeigt und mit einem kurzen, launigen Text versehen ist: 171 Personen sahen ihn auf Facebook (also 38 Prozent mehr), er heimste 20 positive Reaktionen ein.


Auch ein Foto von unserem „Abendkonzert“ am 25.4. klickten auf FB 136 Personen an, inklusive 17 Likes.



Etwas sarkastisch könnte man feststellen: Als Blogger macht man sich am besten ganz wenig Arbeit: Ein kurzer Schnappschuss, drei Zeilen Text dazu – und fertig ist der Knüller. Hauptsache persönlich und privat – es darf auch ein Frühstücksteller oder die Hauskatze sein.

Warum also stundenlang zu einem Thema recherchieren, ein Dutzend Zitate zusammenstellen, einen größeren geistigen Bogen spannen, gar noch zu ungewöhnlichen Ergebnissen kommen? Forget it…

Stars oder zumindest Promis haben dieses Prinzip längst entdeckt und nutzen es reichlich: Man nennt es Homestory.

Boulevardmedien wissen um die Anziehungskraft von Bildern oder Filmen, welche die Zelebritäten in ihrer privaten, häuslichen Umgebung ablichten. Lustigerweise glauben die meisten Leser, dass es bei der Prominenz zu Hause normalerweise wirklich so aussieht wie auf den illustrierten Schleiflack-Bildern. Illusion ist alles.

Natürlich kann man dabei auch Fehler machen wie der einstige Bundesverteidigungs-Minister Rudolf Scharping, der sich mit seiner Freundin im Pool planschend ablichten ließ, als seine Truppen nach Mazedonien zogen. Dann doch lieber Treppenlift…
   
Noch stärker als Heim-Bilder wirken natürlich Sex und Crime:

Wenn ich mal wieder in Konflikt mit der Tango-Mafia kam und auf Facebook die Dreckbollen gen Pörnbach flogen, katapultierte dies noch die schwächste Kalauer-Klamotte in astronomische Zugriffshöhen.

Ein immer noch gerne gelesener Klassiker gelang mir als Antwort auf die Aussage einer Münchner DJane:

„Wenn man die vordere Fußhälfte belastet und aufrecht steht, gibt es selbst bei sehr schlanken Menschen immer einen Körperteil, der weiter vorne ist als die Fußspitze.“

Mir fiel dazu nur die zugegeben Franz Beckenbauer-verdächtige Replik ein:

„Ja, is denn heit scho Softporno?“

Der Aufruhr danach ist nur mit der Corona-Krise vergleichbar. Womit wir beim zweiten Thema wären:

Von der hervorragenden US-Bloggerin Karen Kaye übersetzte ich insgesamt 7 Artikel. Während 6 der Texte im nur leicht überdurchschnittlichen Bereich von etwa 400 Zugriffen landeten, ging einer der Beiträge mit über 1600 Klicks durch die Decke.


Noch erstaunlicher ist, dass dieser Text (im Gegensatz zu den anderen) mit Tango nichts zu tun hat – normalerweise ein Garant für niedrige Zugriffszahlen. Allerdings dürften die Leser, welche nach Schweinereien suchten, enttäuscht gewesen sein: Thema war das weibliche Selbstbewusstsein, was die lesenden Tango-Machos eher abgeschreckt haben könnte.

Auch dieses Prinzip hat die Boulevard-Presse natürlich längst entdeckt. Es nennt sich „Page Three Girl“ – also das leichtbekleidete Fotomodell auf Seite Drei, erfunden vom britischen Revolverblatt „The Sun“. Der um das Nackedei drapierte Text ist meist aus der Sparte Sex- und Gewaltgeschichten.

Übrigens versuchte die spätere Labour-Ministerin Clare Short, diese Praxis gesetzlich durch das „Page Three Bill“ zu verbieten, scheiterte jedoch am Widerstand der Zeitungen und der mangelnden politischen Unterstützung aus den eigenen Reihen.

Im Gegenteil:
„Die Zahl der Bewerberinnen, die auf Seite 3 erscheinen möchten, übersteigt im Vereinigten Königreich die Zahl der möglichen Plätze bei weitem. Die prospektiven Models kommen dabei meistens aus den Arbeiter- oder Arbeitslosenschichten. Die Ausgaben für Kleidung, Make-Up etc., die mit der Aufgabe einhergehen, belasten das Budget erheblich, so dass oft die ganze Familie die jungen Frauen unterstützt. Dabei motiviert die Frauen nach Aussagen von Beteiligten vor allem die Hoffnung auf eine Karriere als Starlet.“

Schrecklicher Gedanke: Wenn schon ein Foto von mir auf der Kellertreppe gesteigerte Aufmerksamkeit findet – bin ich dann ein „Page Three Boy“?

Spaß beiseite – der Vergleich ist doch zu kühn! Außerdem bin ich ja dankbar dafür, wenn meinen Lesern meine Fotos gefallen. Was ich mir halt wünschen würde: Dass es auch bei längeren Texten in diese Größenordnung ginge.

Um auf die Satire zurückzukommen: Corona-bedingt sind ja derzeit die ganzen herumstöckelnden Milonga-Mädels, welche in Friedenszeiten nach männlicher, möglichst argentinischer Beute fahnden, ziemlich unterbeschäftigt.

Da ließe sich doch sicher ein schnuckeliges Tango-Model finden, welches einem meiner langweiligeren Texte mehr Aufmerksamkeit verschaffen würde. Eine Bildunterschrift hätte ich schon:

Sie mag es leidenschaftlich
Biggi (21), seit drei Jahren die begabteste Schülerin argentinischen Tango-Startänzers Fabian Lugo (kleines Bild), ist bei der letzten Milonga ein Missgeschick passiert: Ein Träger ihres sommerlichen Tanzkleidchens ist gerissen! Biggi nimmt es leicht: „Hauptsache, nicht beide“, so ihre schelmische Reaktion.

Nein, genug damit – sonst kriegen wir die Bilder nicht mehr aus dem Kopf! Lieber schreibe ich in Zukunft auch wieder langweilige Texte!

Lassen wir zum Schluss lieber Reinhard Mey über den Ablauf seiner Homestory berichten:


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