Aluhut contra Doktorhut
Heute ein Offener Brief, den ich sehr gern weitergebe:
Auf dem internationalen Online-Netzwerk
„Avaaz“ wendet sich eine
dreistellige Zahl von medizinisch Tätigen (von der Krankenschwester bis zum
Professor) an die Betreiber sozialer
Netzwerke. Sie fordern diese auf, Nutzer besser darüber zu informieren,
wenn auf ihren Seiten gesundheitliche
Fake News verbreitet werden.
Prominentester deutscher
Unterzeichner ist der Berliner Virologe Christian
Drosten.
Hier der Text in voller Länge:
Als
Ärztinnen und Ärzte, Krankenpfleger/innen und Gesundheitsexpert/innen aus der
ganzen Welt müssen wir jetzt Alarm schlagen. Es ist unsere Aufgabe, für die
Sicherheit der Menschen zu sorgen. Wir haben es in diesem Moment allerdings
nicht nur mit der COVID-19-Pandemie zu tun, sondern auch mit einer weltweiten
„Infodemie”, bei der durch Fehlinformationen, die sich in den sozialen Medien
viral verbreiten, auf der ganzen Welt Menschenleben gefährdet werden.
Berichte, in denen behauptet wird, dass Kokain ein Heilmittel sei oder dass COVID-19 von China oder den USA als biologische Waffe entwickelt wurde, haben sich schneller verbreitet als das Virus selbst. Technologieunternehmen versuchen zu reagieren, indem sie bestimmte Inhalte, wenn sie gemeldet werden, löschen und es der Weltgesundheitsorganisation gleichzeitig erlauben, kostenlose Anzeigen zu schalten.
Diese Anstrengungen sind aber bei weitem nicht genug.
Die Flutwelle an falschen und irreführenden Inhalten über das Coronavirus ist kein isolierter Ausbruch von Desinformation, sondern Teil eines globalen Problems. Auf Facebook haben wir Behauptungen beobachtet, dass Chlordioxid Menschen hilft, die an Autismus und Krebs leiden, dass Millionen von Amerikanern durch die Polio-Spritze ein „Krebsvirus“ verabreicht wurde oder dass ADHS von den großen Pharmakonzernen erfunden wurde usw.
Diese Lügen sind von Bedeutung, weil sie falsche Heilmittel anpreisen oder die Menschen von Impfungen und wirkungsvollen Behandlungen abbringen wollen. Und sie haben eine große Reichweite – ein Beitrag auf Facebook, laut dem Ingwer 10.000-mal effektiver bei der Krebsbekämpfung sein soll als eine Chemotherapie, wurde fast 30.000-mal geliked, geteilt und kommentiert.
Deswegen rufen wir heute die Technologieunternehmen dazu auf, sofort und systematisch aktiv zu werden, um die Flut an medizinischen Fehlinformationen sowie die dadurch ausgelöste Gesundheitskrise zu stoppen.
Durch unsere Arbeit in Krankenhäusern, Kliniken und Gesundheitsämtern auf der ganzen Welt kennen wir uns nur zu gut mit den tatsächlichen Auswirkungen dieser Infodemie aus. Wir sind diejenigen, die Kleinkinder mit Masern stationär behandeln - eine vollkommen vermeidbare Krankheit, die in Ländern wie den USA bereits als ausgerottet galt, jetzt aber vor allem dank Impfgegner-Propaganda wieder auflebt.
Als Angehörige der Gesundheitsberufe müssen wir uns nicht nur um die Folgen kümmern, sondern werden oft auch noch dafür verantwortlich gemacht. Fehlinformationen verschlechtern so die Moral eines ohnehin schon unter großem Druck stehenden Berufsstandes, während die finanziellen Kosten der Behandlung ohnehin übermäßig beanspruchte Budgets noch mehr belasten.
Die Diagnose sieht finster aus, was kann also getan werden?
Die sozialen Medien müssen mit zwei offensichtlichen und dringenden Schritten vorangehen.
Zunächst einmal müssen sie Richtigstellungen zu den Gesundheits-Fehlinformationen veröffentlichen.
Das bedeutet, dass jede
einzelne Person, die auf ihren Plattformen mit Gesundheits-Fehlinformationen in
Berührung gekommen ist, gewarnt und benachrichtigt wird, und dass eine gut
konzipierte und unabhängig überprüfte Korrektur angezeigt wird -- etwas, das
nachweislich dabei helfen kann, dass Benutzer nicht an gefährliche Lügen
glauben. Während Plattformen wie Facebook bereits dazu übergegangen sind, auf
Fakten geprüfte Fehlinformationen zu kennzeichnen, geht dieses Verfahren nicht
weit genug, da Millionen von Menschen einen Beitrag sehen können, bevor er auf
Fakten geprüft und gekennzeichnet wurde. Deshalb fordern wir Facebook dringend
auf, ALLE Nutzer, die solchen Inhalten zum Opfer gefallen sind, zu warnen. Das
bedeutet, einen Schritt weiterzugehen als die bloße Kennzeichnung, nämlich
indem den Nutzern rückwirkend Richtigstellungen mitgeteilt werden. Berichte, in denen behauptet wird, dass Kokain ein Heilmittel sei oder dass COVID-19 von China oder den USA als biologische Waffe entwickelt wurde, haben sich schneller verbreitet als das Virus selbst. Technologieunternehmen versuchen zu reagieren, indem sie bestimmte Inhalte, wenn sie gemeldet werden, löschen und es der Weltgesundheitsorganisation gleichzeitig erlauben, kostenlose Anzeigen zu schalten.
Diese Anstrengungen sind aber bei weitem nicht genug.
Die Flutwelle an falschen und irreführenden Inhalten über das Coronavirus ist kein isolierter Ausbruch von Desinformation, sondern Teil eines globalen Problems. Auf Facebook haben wir Behauptungen beobachtet, dass Chlordioxid Menschen hilft, die an Autismus und Krebs leiden, dass Millionen von Amerikanern durch die Polio-Spritze ein „Krebsvirus“ verabreicht wurde oder dass ADHS von den großen Pharmakonzernen erfunden wurde usw.
Diese Lügen sind von Bedeutung, weil sie falsche Heilmittel anpreisen oder die Menschen von Impfungen und wirkungsvollen Behandlungen abbringen wollen. Und sie haben eine große Reichweite – ein Beitrag auf Facebook, laut dem Ingwer 10.000-mal effektiver bei der Krebsbekämpfung sein soll als eine Chemotherapie, wurde fast 30.000-mal geliked, geteilt und kommentiert.
Deswegen rufen wir heute die Technologieunternehmen dazu auf, sofort und systematisch aktiv zu werden, um die Flut an medizinischen Fehlinformationen sowie die dadurch ausgelöste Gesundheitskrise zu stoppen.
Durch unsere Arbeit in Krankenhäusern, Kliniken und Gesundheitsämtern auf der ganzen Welt kennen wir uns nur zu gut mit den tatsächlichen Auswirkungen dieser Infodemie aus. Wir sind diejenigen, die Kleinkinder mit Masern stationär behandeln - eine vollkommen vermeidbare Krankheit, die in Ländern wie den USA bereits als ausgerottet galt, jetzt aber vor allem dank Impfgegner-Propaganda wieder auflebt.
Als Angehörige der Gesundheitsberufe müssen wir uns nicht nur um die Folgen kümmern, sondern werden oft auch noch dafür verantwortlich gemacht. Fehlinformationen verschlechtern so die Moral eines ohnehin schon unter großem Druck stehenden Berufsstandes, während die finanziellen Kosten der Behandlung ohnehin übermäßig beanspruchte Budgets noch mehr belasten.
Die Diagnose sieht finster aus, was kann also getan werden?
Die sozialen Medien müssen mit zwei offensichtlichen und dringenden Schritten vorangehen.
Zunächst einmal müssen sie Richtigstellungen zu den Gesundheits-Fehlinformationen veröffentlichen.
Zweitens müssen die Plattformen ihre Algorithmen entgiften, die bestimmen, was den Benutzern angezeigt wird.
Das bedeutet, dass gefährliche Lügen sowie diejenigen Seiten und Gruppen, die sie verbreiten, in den Benutzer-Feeds herab- und nicht heraufgestuft werden. Schädliche Fehlinformationen sowie Seiten und Kanäle, die „Wiederholungstätern" gehören, die diese Informationen verbreiten, sollten ebenfalls aus den inhaltsempfehlenden Algorithmen herausgenommen werden. Die Algorithmen konzentrieren sich derzeit mehr darauf, die Benutzer online zu halten, als ihre Gesundheit zu schützen. Und das führt zu einer Beeinträchtigung des gesellschaftlichen Wohlbefindens.
Technologieunternehmen, die sowohl die Verbreitung von Ideen erleichtern, als auch davon profitiert haben, befinden sich in einer unvergleichlichen Machtposition und sind dafür verantwortlich, der tödlichen Verbreitung von Fehlinformationen entgegenzuwirken, um zu verhindern, dass soziale Medien unsere Gesellschaft kränker machen. Um Leben zu retten und das Vertrauen in die wissenschaftlich fundierte Gesundheitsversorgung wiederherzustellen, müssen die Tech-Giganten aufhören, die Lügen, Verdrehungen und Fantasien, die uns alle bedrohen, weiter anzufachen.
Ein
interessantes Video zum Thema hat kürzlich
BR24 veröffentlicht. Dort klärt Dominic Possoch über die momentanen Corona-Verschwörungstheorien auf. Weitere
Beiträge kommen von Christian Schiffer,
BR24-Netzexperte und Autor des Buches „Angela
Merkel ist Hitlers Tochter“.
Woran
erkennt man solche Fantasieprodukte?
·
Die
modernen Versionen der „Latrinenparolen“ sind stets Krisenphänomene: Etwas muss uns sehr bewegen, wir wollen unbedingt eine
Erklärung, möglichst einen Schuldigen dafür (z.B. 11. September,
Tod von Lady Diana, Ermordung John F. Kennedys).
·
Daher
hat natürlich Gesundheit einen hohen
Stellenwert – insbesondere, wenn man von etwas Unsichtbarem (Virus) gezwungen werden
soll, sein Leben zu verändern.
·
Verschwörungstheorien
reduzieren Komplexität, machen
abstrakte Dinge sehr anschaulich und erzählen immer die viel bessere Geschichte, also
beispielsweise, dass Bill Gates ein Virus kreiert hat, um damit Geld zu
verdienen.
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Da
ist immer mehr Action dabei, mit
besseren Bildern. Man erwartet eine „gewaltige Erklärung“ (Expectation
Bias): also Bio-Waffe aus China, impfgeiler Milliardär, Erfindung, um die
Völker zu knechten. „Das schnöde: Es ist
nun mal ein Virus, das es vorher nicht gab, und deswegen feudelt das einmal
durch die Weltbevölkerung, reicht da nicht.“ Nicht sexy genug…
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Wenige
Zitate sind aus dem Kontext gerissen und bewusst falsch interpretiert. Nebensächlichkeiten, die vielleicht
einen wahren Kern haben, werden aufgepumpt und verzerrt dargestellt.
·
Wenn
ich hinzufügen darf: Es werden stets geheimnisvolle
Bedeutungen konstruiert. Wenn beispielsweise der Kram derart abstrus ist,
dass die seriöse Presse nicht darüber berichtet, ist sie natürlich Teil einer
geschickt verborgenen Verschwörung.
·
Daraus
folgt ein tiefes Misstrauen
gegenüber offiziellen Stellen mit dem Gefühl, eine Art „Geheimwissen“ zu besitzen, das einen aus der Menge der
Nichtsahnenden heraushebt.
Hier
das Video:
Was mich auch immer wieder fasziniert:
Verschwörungstheoretiker halten die gesamte Menschheit – natürlich außer sich
selber – für völlig charakterlos.
Ein Lieblingsargument ist stets: Der
wird ja von diesen und jenen bezahlt
oder hat zumindest engere Kontakte
zu ihnen – daher kann er gar nicht anders reden.
Also weise ich ausdrücklich darauf hin: Beruflich und
jetzt auch als Pensionist wurde ich seit mehr als 40 Jahren von der CSU finanziert – ist als bayerischer
Gymnasiallehrer alternativlos. Kein Wunder daher, dass ich so schreibe.
Berufsbedingt drängen sich mir allerdings andere Zweifel
auf: Ich habe ja selber erlebt, wie die Anforderungen im Bildungsbereich immer weiter zurückgeschraubt wurden. Die Resultate tummeln sich nun auf „Hygiene-Demos“.
Bleibt zu hoffen, dass die Unterschiede zwischen Aluhut und Doktorhut nicht
völlig eingeebnet werden:
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