Warten auf Dodo
Nach einer alten
Schauspielerregel sollte man nicht zusammen mit Kindern und Tieren auftreten,
weil diese sonst den ganzen Beifall abräumen. Satiriker sollten nichts gegen
Kinder und Hunde schreiben, weil sie sonst den ganzen Unmut, der sich
unterbewusst gegen diese angestaut hat, abkriegen.
Die direkteste
Landung in der Glosse verspricht freilich die Frau als Satireobjekt – derzeit offenbar
die geglückteste Sinn-These von Kindchenschema und verdrängter Aggression. Doch
denken wir uns Mut an, indem wir zu den Wurzeln der hohen Kunst des Veralberns
vorstoßen: Dort, wo Frauen den sozialen Stress für Pantoffeltierchen
verursachen, sind sie durchaus satirewürdig.
Es wäre für mich besser
gewesen, diesen Artikel nicht schreiben zu müssen. Aber die paradoxe Situation
ist ja typisch genug: Die Kraft zum satirischen Tun erwächst aus der
Verzweiflung, es nicht lassen zu können.
Der folgende Text
stammt aus einer Zeit, als ich den Tango lediglich als Standardtanz kannte. Als
ich ihn heute durchlas, konnte ich das kaum glauben…
Dodo (Raphus cucullatus) |
Wann
hatte ich zum ersten Mal auf Dodo gewartet? Es muss noch in der Schule gewesen
sein, die ich die Ehre hatte, mit Dodo sowie einigen hundert Menschen im
Hintergrund zu besuchen. Ihren bürgerlichen Vornamen Dorothea hatte sie, wie
alles Uncoole, frühzeitig abgelegt. Welchen Familiennamen sie besaß, verschweige
ich diskret – nötig hatte sie eh keinen: Wie die Doppelsilbe schon
zeigt, befand sich Dodo sowieso immer im Plural. Ihr Verehrerkreis verdunkelte
die Sonne, die in ihrem Reich niemals aufging – das war nämlich Dodos Rolle.
Ich
musste erst volljährig werden, bis ich mich getraute, sie zur Feier meines 18.
Geburtstags einzuladen. Mit drei Stunden Verspätung (die mir damals wie drei
Minuten erschienen) trat sie dann auf und sprach ihre mir bis heute so
vertraute Begrüßungsformel:
„Jetzt
wär ich fast gar nicht gekommen – bin heute total fertig.“
Im
zweiten Akt sank sie in einen Sessel und ergab sich der Verehrung meiner männlichen
und dem Neid meiner weiblichen Gäste. In der Pause gelang es mir, ihr meine
Verehrung sowie meine Lieblingsplatte anzudienen. Letztere hat sie noch heute.
Versuche,
meine ohnehin schmale Sympathiebasis bei ihr zu verbreitern, scheiterten an
Dodos täglicher totaler Fertigkeit – sie hatte schlichtweg momentan nie Zeit.
Zudem bescherte mir das herannahende Abitur Zweifel, ob es nicht außerhalb von
ihr noch eine andere Welt gab.
Bald
darauf wechselte ich zu ätzenden Materialien, welche immerhin ein Warnetikett
trugen: ins Chemielabor meiner Uni, ein schönes Jahr lang. Doch eines späteren
Morgens platzte in diese stille bis sterile Welt der reinen Vernunft ein blondes
Wesen im Mini-Labormantel, fiel mir um den Hals und fand es wahnsinnig toll,
dass ich jetzt auch Chemie studierte.
Dodo,
frischgebackene Entdeckerin des mangelnden Praxisbezugs ihres bisherigen
Philosophie-Studiums, verspürte das dringende Bedürfnis nach etwas Handfestem.
So trafen sich unsere Interessen: Ich erhielt die inoffizielle Erlaubnis, mich
in stets widerruflicher Weise in sie zu verlieben. Eine traumhafte Zeit hub an.
Werktags
erschien ich gegen acht Uhr im Labor, gegen elf trat Dodo auf und begehrte zu
wissen, wie weit ich mit ihren Analysen sei. Meist waren wir beide total
fertig. Den Nachmittag brachten wir häufig in Boutiquen zu, ich für meinen Teil
vor den Umkleidekabinen sitzend, wo ich ihre Seminararbeiten schrieb. An den
Wochenenden wartete ich auf Dodo bei rauschenden Partys, welche wir gemeinsam
besuchten.
Das
Ende nahte gleich in doppelter Ausführung: Einmal in Gestalt eines jungen,
dynamischen Chemiedozenten, dem Dodo eine große Zukunft nachsagte, während sie
mich immer öfter ermahnte, mein eigenes Studium nicht aus den Augen zu
verlieren. In der gereiften Erkenntnis, sie sei für mich eher Last als Hilfe,
befreite sie mich von ihrer Zuneigung sowie unseren gesammelten
Vorlesungs-Skripten.
Becketts
sowie Beckens beraubt, war ich fortan nicht mehr Dodos Didi, bestenfalls ihr
Gogo: Eine Existenzkrise nahm ihren Lauf.
Doch,
wie man seit Erich Kästner weiß: Auch Existenzialismus ist heilbar. Nach
einigen Analysen auf der Couch wieder zu den chemischen zurückgekehrt,
erreichte mich die Bütten-Botschaft betreff Vermählung: Dodo hatte ihren
Doktor.
Meine
Ausbildung nahm von da an einen ruhigen Verlauf, zumal ich Dodo in dieser Zeit
nur einmal wiedersah: Im Stadtpark, wo ich mangels ruhiger Bude aufs Examen
büffelte. Sie hatte sich, umgekehrter Schmetterling, von einer Puppe zur Raupe
verwandelt: Die Löwenmähne von einst mit neckischen Spangen gezähmt, gehüllt in
ein bodenlanges Hängerkleid indischer Provenienz, an der Hand ein ziemlich
junges Kind, dem sie bereits jetzt eine große Zukunft nachsagte.
Und
überhaupt – ob ich nicht auch endlich genug habe von diesem intellektuellen
Ballast, begehrte sie verklärten Auges zu wissen. Ich solle mir endlich ein
Kind anschaffen, das sei die irrste Erfahrung im Leben! Sie enthob mich der
lahmen Ausflucht, meine Einkommensgrenzen darzutun, und entschwebte unter
Mitnahme der gesamten Aura neuer Mütterlichkeit…
Mein
eigenes Leben entwickelte sich zwar nicht biologisch, aber immerhin chemisch weiter
– ich bastelte an einer bescheidenen beruflichen Karriere sowie an einem
halbwegs stabilen Zweiecksverhältnis.
Doch
eines späteren Abends klopfte es an der Tür meiner Beziehungskiste, und draußen
stand Dodo – diesmal aber im Singular: Immerhin war sie do, total fertig mit
ihrer chemischen Verbindung und mit einem schon etwas älteren Kind an der Hand.
Natürlich brauchte sie eine neue Bleibe.
Ausgestattet mit Intelligenz sowie
Hormonspiegel eines mittleren Stallkarnickels verschaffte ich ihr meine. Eine
neue Bleibe suchte sich auch meine damalige Partnerin, die mein
kryptoerotisches Mitleid nicht versteckt genug fand: Sie wohne nicht länger in
einem Asyl für streunende Verflossene. Eine aufregende Zeit begann.
Ich wartete auf Dodo vor Anwaltskanzleien,
Familienberatungsstellen und -gerichten, Selbsterfahrungsgruppe sowie
Frauenhäusern (letzteres nicht ganz ungefährlich). Pausenlos zeigte ich als Mann
Gefühle, hinterfragte mein Rollenverhalten, brachte mich ein sowie den Müll
raus.
Das Ende nahte diesmal in Gestalt eines nicht
mehr ganz jungen, aber dynamischen Psychotherapeuten sowie der Tatsache, dass
mein Haushalt allmählich chaotischer wurde, als man es – zumal weiblichen – Gästen
zumuten konnte. Ich brauche nun, so ihr abschließender Bescheid, nicht mehr auf
sie zu warten.
Dabei blieb es auch – und wenn ich heute an
das hormonelle Sicherheitsrisiko meines Lebens zurückdenke, so weiß ich immer
weniger, wie sie wirklich war. Nur eines steht fest: Ich habe stets auf Dodo
gewartet.
Bis vor drei Wochen – da erreichte mich ein
Brief von ihr: Sie ist ihren Seelenbetreuer nun wieder los und führt eine
Esoterik-Buchhandlung, welche sie um einen Fastfood auf Körnerbasis zu
erweitern gedenkt. Dazu allerdings bräuchte sie von mir einige
ökologisch-chemische Ratschläge.
Ich lebe seither in einem Freudentaumel, der
sich mit jedem Tag verstärkt, an dem nun einmal Dodo wartet – nämlich auf eine
Antwort von mir. Schließlich sind die Dodos doch längst ausgestorben, oder?
P.S. Der Text unterscheidet sich deutlich von
meiner wirklichen Biografie. Allerdings habe ich in meinem Leben genügend
Quasidodos kennengelernt, um mir mögliche Verläufe auszudenken.
Und wer noch mehr Tangobezug möchte:
http://milongafuehrer.blogspot.com/2015/09/tango-oder-freundschaft.html
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