Reden, Tanzen oder Aufhören?
Eine durchaus spannende Frage stellte gerade eine
Autorin im Blog „Berlin Tango Vibes“: Unter dem Titel „Reden ist
Silber – Schweigen ist Gold – Abbrechen ist Bronze?“ macht sie sich
Gedanken darüber, wie man als Frau bei einer unangenehmen Tanzrunde
reagieren sollte: Den Partner auf Störendes aufmerksam machen, die Tänze lieber
schweigend durchstehen oder gleich aufhören?
Hierzu schildert sie Grenzfälle, bei denen
es darum geht, dass der Tanzstil des Partners nicht kompatibel erscheint:
Da wird beispielsweise ihr rechter Arm ständig nach oben gezogen oder die
Umarmung ist so fest, dass man „gar keine
Luft bekommt“ (wohl etwas übertrieben – wörtlich genommen wäre sie sonst
nach drei Tangos hirntot, was aber auch an der Beschallung liegen könnte). Oder
man kann sich nicht auf die passende Musikinterpretation einigen.
Zutreffenderweise stellt die Schreiberin fest,
dass es eine „Patentlösung“ nicht gebe. Abschließend beschreibt sie „Regeln“
für ihr persönliches Vorgehen, über die man durchaus diskutieren kann. Ob man
dieses im Tango immer beliebtere Wort hier mal wieder einsetzen sollte,
bezweifle ich allerdings.
Vor kurzem wurde mir in einem Interview
eine ziemlich ähnliche Frage gestellt: Wie oft ich denn Tandas abbräche, und welche Gründe es hierfür gebe?
Meine Antwort: In 20 Tangojahren habe ich noch nie eine Tanzrunde
vorzeitig beendet.
Klar, da stimme ich der Bloggerin zu, gäbe es
Anlässe, wo für mich mit dem Tanzen Schluss wäre – insbesondere bei sexuellen
Übergriffen oder wirklich herabsetzenden Bemerkungen des Partners.
Letztlich beendet der ja dann eine Tätigkeit, bei der es ihm offenbar nicht ums
Tanzen, sondern um thematisch fernliegende Dinge geht.
In der Praxis erfahren habe ich das noch
nie – weder selber noch bei anderen. Sicherlich erlebt man hin und wieder
gewisse Annäherungen, die nicht rein tänzerisch motiviert sind, oder
hört komische Bemerkungen, die der andere lieber hätte lassen sollen.
Dass man dann keine Lust auf weitere Tandas hat und daher zukünftig auch mal
einen Korb vergeben kann, sei durchaus zugestanden.
Obwohl die Autorin betont, 95 Prozent der
Tänze seien problemlos, ergibt sich doch der Eindruck, in ihrer Umgebung sei
der vorzeitige Abbruch eines Tanzes durchaus eine real vorkommende Alternative
– zumindest bei den restlichen 5 Prozent. Überschlagsmäßig wären das in meiner
Tango-Biografie mindestens 1500 Tandas… Eine bemerkenswerte Diskrepanz!
In einer Passage vertritt die Schreiberin einen Standpunkt,
der den Unterschied erklären könnte:
„Wenn das edle
Schweigen aber nicht mehr mit innerem Großmut, sondern mit der Peitsche des ‚Durchhaltens‘
erreicht wird, wenn man das Gefühl hat, es viel mehr für den anderen zu tun als
für sich selbst, also quasi ein ‚Opfer‘ zu erbringen, wird es zu ‚Falschgold‘
und sollte wohl eher nicht mehr Mittel der Wahl sein.“
Mit
Verlaub, im Gegenteil: Um im Tango
zu bestehen, muss man selbstverständlich „Opfer“
bringen – von materiellen Dingen über das Vertanzen höchst langweiliger Musik
bis zu schlimmen Tanzrunden und vieles mehr.
Und
ja, mindestens 5 Prozent der Tandas, die ich erlebte, verdienen das Prädikat „grauslich“ – in einem weiten
Spektrum von talentfreien Anfängerinnen über lernresistente „Komfortzonen-Tantueras“
bis hin zur Spezies Karatekämpferin oder Contango-Maid, welche mir ihre schwerpunkt-variierende
Version vom „Tanz der sieben Schleier“ andient.
Obwohl
ich bei solchen Tänzen DJs liebe, welche nur drei Stücke auflegen, habe ich das stets
als Unterricht im Fach „Krisenbewältigung“
angesehen und dabei mehr gelernt als in irgendwelchen „Workshops“. Insofern
hätten die Damen sich eigentlich ein Honorar
verdient – auch für die Blogartikel, welche ich nach solchen Erlebnissen gerne
verfasse.
Aufschlussreich
auch, dass im obigen Text ein Gedanke überhaupt nicht auftaucht: Dass die
Probleme zumindest auch von einem selber
kommen könnten. Dabei ist das eher der Normalfall: Mangelnde tänzerische
Vereinbarkeit kennt – wie jede andere Schwierigkeit
in einer Paarbeziehung – meist mehr als einen Verursacher. Der Eheberater
erfährt anfangs jedoch nur, was der Partner falsch macht…
Daher
empfehle ich als ersten Schritt, die eigene
Tanzweise kritisch zu hinterfragen: Vielleicht ist sie zu hektisch, zu
verkrampft, zu träge, zu vorauseilend, zu schwierig? Liegt die erlittene
Thorax-Kompression vielleicht daran, dass ich dem Partner statt einer stabilen
Mitte eine Portion Waldmeistergrütze liefere? Tritt er auf meinen Fuß, weil der
schlicht zu wenig nach hinten agiert? Zieht er meinen Arm deshalb so hoch, weil
ich in seinem Griff durchrutsche wie das Karnickel beim Tierarzt?
Ich
finde, drei Tänze sind das Mindeste, um sich über solche Fragen klar zu werden,
anstatt an einer „Partner-Mängelliste“
zu arbeiten.
Zunehmend
hat die gefühlte „Unvereinbarkeit der Tanzstile“ einen simplen Grund: mangelnde Flexibilität. Wem man im
Unterricht eingebläut hat, es gebe nur die eine, „richtige“ Tanzweise, der wird
schneller zum Urteil gelangen, er komme mit dem Partner nicht klar. Anpassungsfähigkeit gehört für mich zu
den Grundkompetenzen im Tango!
Und
ja, Schweigen ist tatsächlich Gold – allerdings haben Mutmacher wie „alles gut“ oder „kein
Problem, bleib locker“ oft erstaunlich positive Auswirkungen. Tango ist
eine Bewegungssprache – auch und
gerade bei Krisen. Wenn mir beispielsweise der rechte Arm der Frau zu
verkrampft erscheint oder sie meine Finger einquetscht, lasse ich den Griff
einfach los und fasse dann wieder betont zart zu. Die meisten Tangueras
verstehen dieses Signal.
Wer
von mir eine ersthafte Kritik will,
kann sie außerhalb der Tanzfläche gerne bekommen. Auch die muss man jedoch so formulieren,
dass sie nicht herabsetzend wirkt. Jemand aber während einer Tanda vom Parkett
zu schicken, bewirkt eine tiefe Kränkung:
Offenbar kann ich es ja nicht ertragen, ihn oder sie noch wenige Minuten in meiner
Nähe zu haben.
Daher:
Tango ist vor allem ein Spaß und
sollte sich vom Gang zum Zahnarzt deutlich unterscheiden (auch wenn die
Geräusche manchmal ähnlich schrecklich sind). Ein Lächeln
oder eine lustige Bemerkung wirken oft Wunder. Wenn wir uns selber nicht so
ernst nehmen, färbt das auf den Partner und die tänzerischen Probleme ab. Dann
kann man herzlich über den Blödsinn
lachen, den man gerade miteinander auf der Piste fabriziert.
Irgendwer
hat mir einmal von einer Veranstaltung erzählt, bei der in zwei Räumen getrennt
Tango und Salsa getanzt wurde. Ein Anfänger fragte an der Kasse: „Und wo, bitte, findet der Tango statt?“
Die Antwort: „Wirf einen Blick auf die Tanzfläche
– wenn alle ernst schauen und keiner lacht, bist du richtig!“
Hier
der Originaltext:
Kommentare
Kommentar veröffentlichen