Es kommt auf die Sekunde an
Wie
ich immer mehr feststelle, werden in den DJ-Foren
auf Facebook inhaltsschwere Themen
gewälzt, die tendenziell mit Musik wenig bis nichts zu tun haben. Dies noch dazu oft in
Englisch (was die Schreiber aber nicht immer können), weshalb ich die Beiträge
übersetzt habe (was daher gelegentlich schwierig war).
So
fragte neulich ein Kollege:
„Wenn ich auflege,
trenne ich meine Songs um 5 Sekunden. Dies beinhaltet nicht die Stille am Ende
eines Songs, die manchmal auch zirka 2 Sekunden lang sein kann. Mir wurde
kürzlich gesagt, dass dies ungewöhnlich lang ist. Bezieht ihr Schweigen am
Schluss in die Berechnung der Intervalle zwischen den Songs ein? Wie lang ist
der Abstand zwischen den einzelnen Songs?“
Dies
scheint ein weites Feld zu bieten
– bislang gab es 93 (!) Kommentare.
Aus den zeitlichen Vorschlägen:
„5 + 2 Sekunden sind ein bisschen lang.“
„Ich verwende 4 oder
5 Sekunden. Ich habe Tänzer, die zu mir kommen und sich für die Pause bedanken.“
„Allgemein benutze
ich um die drei Sekunden, in manchen Fällen mehr.“
„Ich habe 4 Sekunden
nach dem letzten Schlag eingestellt.“
„Bei mir sind es
meistens drei Sekunden. Das ist meistens genau die richtige Zeit Pause, ohne
dass es sich nach Leere anfühlt.“
Wahrscheinlich sollte man auch Zehntelsekunden in die Rechnung einbeziehen:
„Versucht, die Intro-
und End-Stille jedes Titels bei etwa 1,7 bis 1,9 Sekunden zu halten, so dass
die Gesamtpause x 2, also 3,4 bis 3.8 Sekunden beträgt.“
„3,5 Sekunden
zwischen den Songs, bis auf das letzte Lied der Tanda, danach 1/4 Sekunde.“
Auch die Eitelkeit
des DJ ist zu beachten:
„Ich bemerkte, dass
einige DJs bei Marathons eine Pause von 10 Sekunden einlegen, um Applaus zu
bekommen.“
Zu bedenken ist ferner, dass manche Tänzer das Stehkuscheln auch zwischen den Stücken nicht unterbrechen wollen:
„2-3 Sekunden sind
für mich genau richtig. Auch als Tänzer, wenn ich in der Umarmung bleibe.“
Problematisch wird es bei einem Publikum, das gar keine Pausen kennt:
„Aber wenn wir
innerhalb eines Stücks sehen, dass viele Leute tanzen, ohne Pausen zu markieren (auch wenn die Musik es tut), ist es
nicht so überraschend, dass sie nicht aufhören wollen... Und wenn es zwischen
den Aufnahmen Stille gibt, habe ich den Eindruck, dass die Leute sich beeilen
zu sprechen...“
Ach ja, das Parkett-Gelaber
argentinischer Tradition! Wünschen die Herrschaften in der Pause zu quatschen oder lieber erst, wenn die Musik schon läuft?
„Ich ändere meine
Songs so, dass ein gleichmäßiger Abstand bei 3 Sekunden liegt, und ich füge
zusätzliche Sekunden hinzu, je nachdem, wie gesprächig die Tänzer sind.“
„Vor allem, wenn die
Leute dazu neigen, laut zwischen den Songs zu plaudern, halte ich es für
wichtig, länger zu schweigen, oder die erste halbe Minute eines Songs wird durch
Lärm zerstört.“
„Die Tänzer können
sich unterhalten, wenn das Lied beginnt, wie es normalerweise in den Bs
As-Milongas der Fall ist.“
Manche sagen lieber nix, haben für andere Tätigkeiten aber klare Zeitfenster:
„Ich brauche 2
Sekunden, um die Umarmung zu lösen... und 3 Sekunden, um zu lächeln... Plaudern
ist nicht mein Ding.“
Auch fernöstliche Meditation könnte helfen:
„Mach es auf die
Yoga-Art: einatmen – ausatmen. Die Zeit, die es braucht, ist die richtige Dauer
für die Stille.“
Keine Pausen
oder gar Überblendungen könnten die
auf jeder „traditionellen“ Milonga anwesenden Zornpinkel ans Pult treiben (es sei denn,
Argentinier unternähmen es):
„Bei meinen ersten
Auftritten versuchte ich es mit Überblenden und musste mich dem Zorn des Parketts
stellen. Buchstäblich.“
„Ich hasse es!!!!
Ohne Pause zwischen zwei Liedern finde ich absolut schrecklich und extrem
respektlos vom DJ gegenüber den Tänzern!!! Ein absolutes NO GO!!!“
„Ich habe einen
argentinischen DJ mit null Pause und möglicherweise sogar einer kurzen
Überblendung zu einer Cortina spielen hören. Zuerst irritierend, aber in
Ordnung, wenn man sich daran gewöhnt.“
Richtige Platten
aufzulegen dauert wohl deutlich länger. Aber auch für solche Probleme gibt es
technische Lösungen!
„Auf der anderen Seite war die Stille in den wenigen
Fällen, in denen ich entweder Vinyl-Milongas besuchte, auf einem einzigen
Plattenteller spielte oder selbst mit Platten auflegte, normalerweise 10-15
Sekunden. Wenn es für die ganze Milonga so weitergeht, gewöhnen sich die Tänzer
daran, indem sie dem DJ beim Jonglieren zusehen oder sich unterhalten.“
„Vielleicht am
sichersten, wenn du die Vinyls auf Digital überträgst und während der Cortinas
mit den Vinyls jonglierst? Ich vermeide es, an Vinyl-Milongas teilzunehmen,
weil es so lange Lücken gibt.“
Auf jeden Fall wissen wir nun, wieso DJs so selten tanzen:
„Ich starte jedes
einzelne Lied manuell, indem ich es anklicke. So kann ich das Timing für jedes
Lied steuern. Natürlich ist es zeitaufwändig und ich tanze normalerweise nicht,
wenn ich auflege.“
Andererseits könnte gerade diese Tätigkeit nützlich sein:
„In diesem Fall ist
es wirklich hilfreich, beim Spielen tanzen zu gehen. Ihr werdet hören und
fühlen, wenn die Pausen für diese Zeit und diesen Ort zu kurz oder zu lang sind.“
Tatsächlich dämmert es einigen DJs, die Länge der Pausen
könnte von der jeweiligen Musik abhängen. Aber nun bei dramatischen Titeln
längere Abstände oder kürzere?
„Ein unglaublich
schöner Pugliese oder ein energiegeladener D'Arienzo können einige Momente mehr
verdienen.“
„Ich mache
tendenziell längere Pausen bei romantischen und dramatischen Tangos, damit die
Leute langsam aus dem emotionalen Ritt herauskommen.“
„Ich würde den DJ
töten, wenn er bei Pugliese (oder einer anderen romantischen / dramatischen)
Tanda Tangos mit 5 Sekunden trennen würde.“
Bekanntlich enden viele Tangos auf 1-2 (Tam-Tam). Manche
aber auch nicht…
„Ich stimme denen zu,
die glauben, dass ein Abstand von 2-3 Sekunden zwischen dem letzten Tam-Tam und
dem Beginn des nächsten Stücks der ‚Sweet Spot‘ ist. Dies kann jedoch schwierig
sein, wenn die Endungen (z. B. viele Caló-Aufnahmen) kein ‚Tam-Tam‘ haben und
stattdessen auf einem langen Piano-Arpeggio enden ...“
Manche wollen vor der neuen Tanda durch längere Stille
die Spannung erhöhen:
„Was ich für einen
dramatischen Effekt getan habe, ist, die Cortina auszublenden und dann etwas
länger als gewöhnlich zu warten, bis die Leute darauf achten, dass etwas
auftaucht. DRAMA.“
„Besonders seltsam
nach dem Ende der Cortina ... Spannung ... dann, wenn zu lange ... Angst.“
Wovor eigentlich? Dass keine Musik mehr kommt, ein Neotango
erklingt oder man vom Rand der
Erdscheibe fällt? Fragen über Fragen…
In meiner Sicht ist die Crux, dass man heute digital
alles voreinstellen kann und daher
auf das eigene Gespür verzichtet. Ein Beitrag drückt das sehr schön aus:
„Der richtige Moment
hängt dann von der Sensibilität, Präsenz, Aufmerksamkeit und dem musikalischen
Gespür des DJ ab und nicht von einer maschinellen Einstellung.“
Und selber?
Da ich mit CDs
auflege, bleibt mir nur ein apodiktisches „kommt
halt drauf an…“: Ob ich umschalten muss, die CD wechseln oder grade getanzt
habe und erstmal zum Apparat zu eilen habe. Die Stimmung auf dem Parkett beeinflusst das nach meinen Erfahrungen
kaum.
Viele Jahre lang habe ich mich gefragt, warum Tango-DJs
in vielen Fällen einen solchen Müll
auflegen – angesichts der geistigen
Verfassung, die aus vielen Kommentaren spricht, wundert mich nichts mehr…
Reihenweise arbeitet man sich an Randaspekten
ab, die zu einem guten Musikprogramm wenig bis nichts beitragen.
Dennoch, liebe Kollegen, bin ich mit der Arbeitsteilung ja ganz zufrieden:
Beschäftigt ihr euch weiter mit den Pausen zwischen den Stücken und ich mich
mit den Stücken zwischen den Pausen!
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