Tango auf Zuruf
Noch vor dem Frühstück hat mir heute die Satire-Fee ein Video durchs Fenster geworfen – mit der Bitte um sofortige Bearbeitung. Worum geht es?
Ein Tangolehrer sagt es uns via Facebook:
„Das ist mal echte Improvisation: Die Lehrer tanzen im laufenden Betrieb die Figuren, die ihnen vom Publikum zugerufen werden.“
https://www.facebook.com/helge.schutt.7 (15.10.25)
Hier das ergreifende Bilddokument:
https://www.facebook.com/watch/?ref=saved&v=831079749516124
Eine Augenzeugin kann sich vor Begeisterung kaum einkriegen:
„Eine Late-Tango-Aufführung als Frühstücksbuffet – haben Sie so etwas schon einmal gesehen? Wir durften uns aussuchen, was die Maestros tanzen sollten, und ... oh mein Gott, hatten wir einen Spaß! Das war nicht nur Improvisation und Technik auf höchstem Niveau, sondern auch ein Beispiel für das Vertrauen und die Verbindung zwischen den tanzenden Paaren und dem Publikum. Es war ein eindrucksvolles Beispiel für echte Tangokunst, das verdeutlicht, warum wir all diese Kurse und kilometerlangen Übungen brauchen, warum wir uns seit Jahren mit Tango beschäftigen – um auch in bekannten Musikstücken und Bewegungen noch Spaß und Neues zu entdecken und um das ewige Verlangen zu stillen, Antworten zu finden und die Geheimnisse der Seele des Partners zu entdecken. Es war eine großartige Darbietung der Nähe zwischen Lehrern und Gesellschaftstänzern in einem Raum, und ich habe es einfach GELIEBT!“
Ich will das Gezeigte nicht überhöhen – klar, netter Gag, mit dem man sicher neue Kundschaft gewinnt!
Nur hat das Ganze natürlich wenig mit Improvisation zu tun, sondern mit dem Abrufen einzelner, gelernter Moves: Malen nach Zahlen. Die Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen, dass der entsprechende Unterricht ebenfalls aus dem Eintrichtern von „Figuren“ bestand.
Von der Musikinterpretation ist die Vorführung (natürlich zu einer traditionellen Aufnahme) recht weit weg – stattdessen sehe ich ein ziemlich schreckliches Rumgeturne.
Wenn wir die Sache auf eine höhere Ebene befördern: Aha, das Publikum ist also stolz darauf, was die Lehrkräfte alles können. Ich fürchte, die Zeiten sind vorbei, in denen es darauf ankam, was man selber gelernt hat. Hätte die Challenge dann nicht daraus bestehen sollten, dass die Lernenden das tanzen, was ihnen die Ausbilder zurufen?
Auch das hätte natürlich mit Tango wenig zu tun – es wäre aber wenigstens ehrlicher.
Die obige Kommentatorin sagt es ja deutlich: Sie sehe „eine großartige Darbietung der Nähe zwischen Lehrern und Gesellschaftstänzern“. Darum geht es, und nicht ums Lernen!
Der Trugschluss: Wenn man tolle, lustige Lehrer hat, kann man ja auch selber besser tanzen. Nein: Man fällt lediglich auf einen Marketing-Gag herein.
Der Tangolehrer Klaus Wendel hat sich einmal ähnlich geäußert:
„Denn sobald man Stars nicht als arrogante Übermenschen erlebt, sondern als ganz normale Menschen, kippt das schnell ins ‚über-nett‘. Und dann entsteht dieser seltsame Starkult, in dem es nicht mehr so sehr darum geht, was vermittelt wurde, sondern wie sich’s angefühlt hat. Tango als Kuschelbühne.“
https://www.tangocompas.co/gedanken-ueber-tango-unterricht-22-teil/
Eben: Man lernt doch sicher viel, wenn die Lehrenden selber so viel Humor haben, so toll tanzen!
Nein: Man vertut eher Zeit mit quatschigen Vorführungen!
Was haben wir gelernt? Tango besteht aus einer Aneinanderreihung von Figuren.
Na prima!
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