Wir sehen uns vor Gericht!
Zweifellos ist der Tango zu einem Gebiet geworden, auf dem manche keinen Spaß verstehen. Wer sich heute beim Tanz vom Rio de la Plata amüsieren will – eventuell sogar über andere – fällt dem Zorn derer anheim, welche sich in ihrer göttlichen Umarmung und anderem weihevollem Tun veräppelt fühlen.
Dass es sich bei den Anstoßnehmern meist um mental ein wenig festgefahrene ältere Herren handelt, macht das Problem nicht besser, aber lustiger.
Diesen Effekt kenne ich zwar seit Jahren, noch nie aber wurde mein Blog mit solcher Akribie auf Skandalöses durchsucht wie in der letzten Zeit. Da werden sogar Wörter gezählt und Links überprüft – mit der Folge gar schröcklicher Androhungen juristischer Konsequenzen.
Es gibt aber ein Gebiet, in dem die Paragrafenreiterei noch schlimmere Kapriolen treibt: das Nachbarschaftsrecht.
Dort tragen rüstige Kampfrentner (manchmal sogar Damen derselben Baureihe) langwierige Scharmützel mit erheblicher satirischer Qualität aus:
Illegal krähende Hähne, quakende Frösche oder läutende Kirchenglocken dienen neben dem Klassiker – bellende Hunde – jahrelang der Unterhaltung sowie Rechtspflege, manchmal auch der auf dem Balkon grillende oder gar rauchende Nachbar. Oder der Klassiker: aufs Nachbargrundstück wuchernde Zweige oder Hecken.
So werden aus Nachbarn, die sich einst gut verstanden, auf einmal Todfeinde, welche einander jahrelang bis aufs Messer bekriegen. In Fernsehsendungen zeigt man stolz dicke Aktenordner, in denen die Steine des Anstoßes und die einzelnen Rechtszüge fein säuberlich sortiert gesammelt werden. Fotos, Videos sowie archivierte Hundehaufen inklusive.
Um die Lawine ins Rollen zu bringen, braucht es eigentlich nur eine möglichst humorlos vorgetragene Beschwerde. Am schlimmsten ist es, wenn diese auch noch halbwegs berechtigt erscheint. Da dies auf der anderen Seite nur schwer erträglich ist, sinnt man auf Rache. Und klar: So makellos kann das Tun der Gegenseite gar nicht sein, um nicht auch dort ein Haar in der Suppe zu finden – manchmal sogar eine ganze Perücke.
Dann beginnt ein kindischer Kleinkrieg, der mit Verbotsschildern, abgesperrten Zufahrtswegen, Überwachungskameras oder übern Zaun geworfenen Hundekötteln garniert ist. Irgendwann wird sogar die Polizei dazu gebeten, welche – sie hat ja nichts Besseres zu tun – brav die wechselseitigen Anzeigen aufnimmt. In der Regel kommt dabei wenig heraus, da die Staatsanwaltschaft sich oft weigert, sich auf den Kinderkram einzulassen. Das sorgt für Verdruss – erste Zweifel am Sinngehalt unseres Rechtssystems werden laut, welches ja dazu bestimmt ist, die seltsamen Anwandlungen von Tattergreisen zu befriedigen.
Doch wozu gibt es Anwälte, die natürlich gerne Mandate mit langjähriger Beschäftigungsgarantie übernehmen! Schriftsätze fliegen hin und her, die Ordner werden dicker. Eine Schlichtung lehnen beide Parteien ab, da man ja hundertprozentig Recht hat. Irgendwann landet die ganze Chose dann tatsächlich vor einem – meist wenig begeisterten – Richter. Mit dem Urteil ist zumindest eine Seite – im Idealfall beide – unzufrieden. Also: Berufung – und da Zivilgerichte nur gegen Bezahlung loslegen, beginnt es nun teuer zu werden. Was natürlich die gegenseitige Erbitterung nicht verringert. Also sucht man nach neuem Stoff!
Hat man dann besonders viel Glück, fliegen irgendwann nicht nur die Schimpfworte, sondern auch die Fäuste, was ein neues Feld eröffnet: die Strafjustiz. Nun hat man endlich auch den Staatsanwalt mit im Boot. Früher oder meist später setzt es eine Geldstrafe, gegen die man selbstredend in Berufung geht.
Was macht das alles mit den beteiligten Personen? Häufig entwickeln sich psychosomatische Beschwerden, die wieder Auslöser neuer Rechtsmittel sein können. Nach einigen Jahren haben sich oft alle Akteure das eigene Leben gründlich versaut. Ohne dass die Probleme auch nur ansatzweise gelöst sind.
Die Parallelen zum Nahostkrieg sind unübersehbar.
Die Ausgaben für Gericht, Anwälte sowie Gutachter haben längst die fünfstellige Grenze überschritten. Justizia dankt!
Ich kann daher nur allen raten:
Wenn die Nachbarn der hohe Baum an der Grundstücksgrenze stört – lassen Sie ihn fällen!
Oder das Froschgequake die empfindlichen Ohren des Kontrahenten beleidigt: Schütten Sie den Teich zu!
Oder ziehen Sie um.
Und wenn ein cholerischer Tangolehrer einen lustigen Artikel per Drohung mit Abmahnung bekämpft: Löschen Sie ihn (also den Text)!
Vergessen Sie die Illusion von Gerechtigkeit: Es steht nicht dafür, sich deshalb das eigene Leben dauerhaft zu versauen. Seien Sie getrost: Der Andere wird sein Dasein auch ohne Ihre Mithilfe ruinieren!
Harald Schmidt erzählt öfters, dass die Redaktion wegen seiner Scherze Anwaltsbriefe erhielt, deren Briefkopf fast die erste Seite ausfüllte. Seine Strategie: Den Kram unterschreiben, bezahlen und weitermachen wie bisher!
Rechthaber benötigen von Zeit zu Zeit das Gefühl, gewonnen zu haben. Sonst drehen sie gemeingefährlich durch. So lange es an Einsicht fehlt, gilt das Prinzip der US-Late Night-Moderatoren: „Kill them by friendlyness!
Satirisch unvergesslich ist der vor Fernsehrichterin Barbara Salesch verhandelte echte Konflikt zwischen der sächsischen Hausfrau Regina Zindler mit ihrem Nachbarn, dessen „Knallerbsenstrauch“ angeblich ihren „Maschendrahtzaun“ beschädigt hatte. Ihre Klage wurde abgewiesen.
Der große Erfolg kam, als der Fernseh-Comedian Stefan Raab zusammen mit der Band „Truck Stop“ die Chose als Schlagerlied im Country-Stil herausbrachte.
Insgesamt verkaufte sich der Titel eine Million Mal, Zindler erhielt zehn Pfennig pro verkauften Tonträger.
So löst man Konflikte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Maschen-Draht-Zaun
Viel Spaß:
https://www.youtube.com/watch?v=lNvB0XF46Y0
P.S. Das wäre doch was: Ein Song über „Gerhards Tango Blog“ beim nächsten ESC! Dafür würde ich glatt zeitweilig mein Geschlecht ändern…
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