Biagi oder kein Biagi?
In einer Facebook-Gruppe für DJs wurde neulich eine interessante Frage gestellt:
„Vor ein paar Tagen wurde ich eingeladen, bei einer örtlichen Milonga aufzulegen. Auf dem Programm des Abends stand auch ein Auftritt eines Maestro-Paares aus Buenos Aires. Als ich auf der Milonga ankam, wurde mir vom Veranstalter gesagt, ich solle keine Tanda von Biagi spielen, weil die Maestros keine Musik von Biagi mögen. Da es sich um eine direkte Aufforderung des Veranstalters handelte (der diese offensichtlich auch an andere DJs vor mir richtete), befolgte ich sie unter Protest. Im Nachhinein denke ich, dass es fair wäre, wenn die Organisatoren die Milonga-Teilnehmer im Voraus darüber informieren würden, dass keine Biagi-Tanda gespielt wird. Ich denke nicht, dass der DJ die Schuld bei den Tänzern suchen sollte. Biagi ist ein recht beliebtes Orchester, das fast auf jeder lokalen Milonga gespielt wird.
Seid ihr schon einmal auf eine ähnliche Situation gestoßen? Ehrlich gesagt, finde ich die Vorstellung ziemlich extrem, dass die Leute ein beliebtes Orchester so sehr ablehnen, dass sie es nicht einmal ertragen können, es in der Milonga zu hören. Ich meine, ich mag Gobbi nicht. Aber ich werde eine Milonga nicht boykottieren, wenn er gespielt wird.“
Die Meinungen gehen weit auseinander. In der eher geringeren Anzahl der Fälle wird das Ganze als Zumutung betrachtet:
„Zunächst einmal halte ich die Maestros für Idioten und Arschlöcher, wenn sie sich erlauben, einem Milonga-Veranstalter solche Bedingungen zu stellen. Und der Veranstalter ist einfach ein Idiot, der das Wesen einer städtischen Milonga nicht versteht – eine Milonga ist für die Leute da, nicht für die Maestros. Die Maestros sind im Grunde genommen angeheuerte Entertainer, die für Geld tanzen und dank ihres Auftritts und ihrer Leistung bei der Milonga für sich selbst werben.
Ich würde nie wieder für diesen Veranstalter auflegen, und als Tanguera würde ich diese Milonga nie wieder besuchen.
P.S. Und als Veranstalter – wenn jemand versuchen würde, mir solche Bedingungen aufzuerlegen, würde ich sie einfach ignorieren und das Paar nie wieder einladen.“
In vielen Fällen ist man aber der Meinung: Wer zahlt, schafft an.
„Tut mir leid, aber ich bin einfach nicht genug Primadonna, um mich über so eine Anfrage aufzuregen. Es ist die Veranstaltung der Organisatoren, nicht meine. Sie zahlen die Rechnungen und kümmern sich um die Kosten, nicht ich. Sie sind für diesen Aufruf verantwortlich und jeder, dem er nicht gefällt, wird höflich darauf hingewiesen, dass er sich mit ihnen auseinandersetzen soll.
Wenn das dein ‚künstlerisches‘ Empfinden verletzt, dann erinnere ich dich daran, dass Künstler seit langem durch Mäzenatentum unterstützt werden, und dass diejenigen, die ihre Mäzene nicht bei Laune hielten, dazu neigten, keine Mäzene mehr zu haben.“
Einige sehen auch mehr oder weniger lustige Alternativen:
„1. Nimm das Mikrofon und kündige an: ‚Nur eine Vorwarnung für die Tänzer: Die heutige Milonga ist Biagi-frei, auf besonderen Wunsch der gastierenden Maestros X&Y. Ich weiß, ich bin auch am Boden zerstört.‘ (Dann spielen Sie die traurigste Caló-Tanda, die Sie finden können.)
2. Spiel einfach einen Biagi, und wenn der Veranstalter fragt, sagen Sie: 'Ups, habe ich gerade eine Biagi-Tanda unter einem falsch beschrifteten Dateinamen eingefügt? Das tut mir leid, das müssen die lästigen Metadaten gewesen sein.‘ (Gefolgt von einem süßen, selbstgefälligen Lächeln.)
3. Bleib standhaft und antworte: ‚Danke für den Beitrag. Als DJ werde ich ihn berücksichtigen. Und jetzt eine schöne Biagi-Tanda, um die Veranstaltung zu eröffnen.'"
Quelle: https://www.facebook.com/groups/TangoDJForum/permalink/3019267674907080
Was mich selber betrifft: Ich weiß nicht, wie ich in früheren Zeiten reagiert hätte – vor allem bei Veranstaltenden, die man persönlich gut kennt. Inzwischen aber weiß ich, dass da Kompromisse keinen Sinn haben. Heute würde ich daher meine Sachen packen und heimfahren. Und da ich fürs Auflegen noch nie Geld verlangt habe, könnte ich auch keines verlieren.
Die tiefere Ursache solcher Ereignisse kenne ich inzwischen: Viele Veranstalter sind nicht willens oder fähig zu einer sauberen Planung. Man wird gefragt, ob man auflegen möchte und kriegt als Daten Ort und Zeit – viel mehr nicht. Kurz vorher erfährt man dann beispielsweise, dass man die Musik eine Dreiviertelstunde unterbrechen soll, da es irgendeine Vorführung gibt oder es mit Prosecco, Kuchen und Vals einen Geburtstag abzufeiern gilt. Klar, solche Wiegenfeste sind ja unberechenbar – konnte man im Voraus nicht ahnen!
Läuft dann das Programm, bekommt man die Information, irgendwer hätte sich über die Musik beschwert, die zu laut, zu leise oder zu modern sei. Oder irgendein Hansel taucht vor einem auf und fragt, ob man nicht den Titel… leider ist ihm der Name entfallen, aber er könne den Refrain ja mal kurz vorsummen!
Ich kenne das auch von meinen Zauberauftritten: Zehn Minuten vor Beginn erfährt man vom Gastgeber, dass man doch bitte speziell auf den Onkel eingehen solle, der ganz begeistert von der Magie sei. Oder ob man für die Oma, die letzte Woche Geburtstag hatte, ein bestimmtes Geschenk „herzaubern“ könne. Na klar – schließlich beherrscht man ja das Unmögliche…
Gut – von Laien kann man kein großes Organisationstalent erwarten – von Veranstaltern, die dafür Geld sehen wollen, allerdings schon! Zumal meine Playlists ja sogar im Netz einsehbar wären.
Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gastgeber oft schlicht keine Lust haben, sich wochenlang vor einem Termin mit der Planung des Ereignisses zu befassen. Es kostet öfters große Mühe, überhaupt ein Vorab-Gespräch zu vereinbaren. Und wenn, wird man weniger mit klaren Informationen als mit Redensarten bedient. Die wichtigen Details gibt es dann zehn Minuten vor Beginn.
Inzwischen würde ich da kein Mitleid mehr kennen: Wenn es der Veranstalter versaubeutelt, trägt er halt die Konsequenzen!
Das Schlimme ist halt, dass es beim Tango viel mehr Auflegewillige als Gigs gibt. Wer nicht spurt, wird gnadenlos ersetzt. Da erfordert eine Ablehnung Charakter.
In besonders schrecklicher Erinnerung ist mir ein „bunter Abend“ in einer Münchner Tanzschule, bei dem ich zaubern und moderieren sollte. Der Gastgeber hatte ein Live-Musikprogramm zusammengestellt – und nach einigen Mühen kriegte ich sogar seine Titelliste.
Angekündigt war unter anderem – und so sagte ich es auch an – das Chanson „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ von Friedrich Hollaender. Als dann die Sängerin loslegte, gefror mir das Blut in den Adern: Dargeboten wurde das Lied „Ich gehör nur mir“ aus dem Musical „Elisabeth“ – mit einer ziemlich abweichenden Gesamtaussage. Ich hätte den Veranstalter umbringen können!
Na gut – inzwischen kann ich darüber schmunzeln. Beides sind ja wunderschöne Stücke. Und sicher nicht von Biagi:
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