Gemmen der Musikkritik

 

In seinem neuesten Artikel kam mein Dauer-Kritiker Klaus Wendel nicht umhin, wieder mal über mich abzulästern. Bestens bewährt hat sich dazu das Thema Astor Piazzolla!

Im 10. Teil seiner „Gedanken über Tango Unterricht“ schreibt der Essener Tangolehrer:

„Vor nicht allzu langer Zeit, als ich noch einen Facebook-Account hatte, entspann sich wieder einmal eine dieser überflüssigen Diskussionen darüber, ob Piazzolla als Taktgeber im Tango geeignet sei. Zwei unversöhnliche Lager, hitzige Debatten – und ich wurde teilweise sogar als Querdenker diffamiert. Dabei gehöre ich zu denjenigen, die Piazzollas Musik größtenteils nicht für gefüllte Milongas geeignet halten. (…)

Wir sprechen hier von Tanzmusik – also Musik, die einem größeren Kreis von Tänzer:innen Freude, Inspiration und Entspannung bieten soll. Und das ist Piazzolla definitiv nicht. Wer glaubt, dass Überforderung entspannend oder genussvoll sei, mag sich von seiner Musik angesprochen fühlen – aber das ist keine allgemeingültige Grundlage für soziale Tanzabende. Piazzolla bleibt Spezialmusik – und das nicht nur rhythmisch, sondern auch emotional.

Dass Gerhard Riedl und manch anderer das nicht unterscheiden können, ist ein Armutszeugnis.“

https://www.tangocompas.co/gedanken-ueber-tango-unterricht-10-teil-3/

Das war für mich die Motivation, einmal nach weiteren „Stilblüten der Musikkritik“ zu suchen. Davon gibt es, auch in der „Klassischen Musik“, nicht wenige.

Beispiele gefällig?

Dieter David Scholz schrieb in einer Kritik zu Offenbachs Orpheus in der Unterwelt an der Leipziger Oper über die Sängerin Friederike Meinke: „Ihr recht plump erotisches Spiel dagegen, gepaart mit geradezu obszön exhibitionistischer Zurschaustellung ihrer allzu üppigen, kaum verhüllten, nicht eben ansehnlichen Weiblichkeit grenzte ans Peinliche…“

Wir haben uns umarmt und geschnieft, einer von den Musikern flüsterte immer nur so etwas wie ‚nicht zu fassen‘, und Levit fiel, nachdem er auf dem Flur all die dahingestammelten Komplimente entgegengenommen hatte, in komischer Verzweiflung auf die Knie und weinte fast ein bisschen mit.“ (Eleonore Büning in der FAZ über den Pianisten Igor Levit)

https://backstageclassical.com/er-riecht-nach-frischem-moos-vielleicht/

„Seitdem Liszt wegging, wird seine Loge täglich von drei kräftigen Menschen ausgepumpt, um die Tränengüsse zu entfernen, die an dem Abend hineingeweint worden sind. Angeblich gibt es in diesem Meer immerzu tausende zu Tode applaudierter Handschuhe, zahllose krank gewordene Taschentücher, zahllose durchguckte Guckerstücke, was das Pumpen doch sehr behindert..." (über ein Konzert von Franz Liszt)

Der Kritiker Eduard Hanslick, Spitzname: „Meister des Fehlurteils“, meinte zu Tschaikowskis Violinkonzert, das Werk „bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört“

Der Kapellmeister Joseph Hellmesberger revanchierte sich mit dem Satz: „Hanslick ist vor einigen Wochen leberleidend nach Baden gefahren, aber leider lebend zurückgekommen."

Aus der Rezension einer Haydn-CD: „Da musiziert die Formation einfach nicht radikal genug. Denn nur Klangbeauty reicht da einfach nicht mehr, um Aufsehen auf dem deutschen Plattenmarkt zu stiften.“

Schön ist auch, wenn Kritiker bei Pianisten von der „Anschlagskultur“ sprechen!

Guido Fischer im Rondomagazin über eine Abbado-Einspielung von Mahlers 3. Sinfonie:

Zumal die Kontrastfähigkeit nirgends entsprechend ausgereizt wird, um an die farbpolyfonen Energieströme zu gelangen, hinter die bruitistischen Gravitationskräfte und damit hinter Mahlers Kosmologie....Die Mezzosopranistin Anna Larsson verschleppt sich in ein gefälliges Lamentoso, statt sich auf das subkutane Glühen einzulassen - bis an den Rand der Larmoyanz, gegen die dieses Mysterium der Zerrissenheit keine Chance hat“

Christiane Lemke-Matwey zitiert der SPIEGEL zu einem Konzert des Pianisten Lang Lang:

Nicht genug damit, dass sie Lang Lang als ‚Poet und Pascha, Diva, Klangmaler und Kobold‘ besang und generell den Kniefall vor dessen ‚Jugendlicher Weisheit‘ pries; nein, dieser ‚Wunderknabe‘ hätte bei seinem Berlin-Debüt im Dezember 2003 ‚auch im himmlichen Manna rühren oder einen simplen Staubsauger betätigen können, die Faszination wäre die gleiche gewesen, wie bei Beethovens G-Dur Konzert: Man möchte ihm unverzüglich das eigene Herz zu Füßen legen'“

Aus einer metaphorischen Konzertkritik der „Leipziger Volkszeitung“ – Dirigent: Herbert Blomstedt:

„Die Pauke drischt gekonnt um ihr Leben, das Solo-Horn funkelt, das Blech explodiert, und im fabelhaften Holz spiegelt sich das Licht des Höchsten. Vorne malt Blomstedt mit weisem Lächeln seine Häkchen ins Nichts, durchschneiden markante Auftakte die Luft, ballen sich die Fäuste wie zum Trotz."

Das Orchestre National de France gastierte unter Kurt Masur mit Sergej Prokofjews 5.Sinfonie in der Alten Oper Frankfurt. Der Kritiker war möglicherweise auch Sportreporter:

War es programmatischer Mut oder ein Zwang der Tourneelogistik? Mit Prokofjews sperriger und spröder 5.Sinfonie einen Abend zu beginnen heißt, das Publikum vorbereitungslos mit einem erratischen, schweren Block Musik zu konfrontieren. Das 1944 uraufgeführte Stück bearbeitet ein quälend undurchdringliches Massiv chromatischer, wenig fasslicher Motive und Linien, im zweiten und vierten Satz angeheizt durch aggressive Motorik. Eine Sinfonie wie ein Fußballspiel, das sich nur zehn Meter jenseits der Mittellinie bewegt, aus verbissenen Zweikämpfen besteht und weder einen Steilpass noch eine Torchance zulässt.“

https://www.tamino-klassikforum.at/index.php?thread/22-stilbl%C3%BCten-der-kritik/

„Wenn es in seiner Wohnung aussähe wie in seiner Symphonie, dann hielte es eine wohlgeartete Hausfrau nicht vier Tage lang dort aus.“ (aus einer Kritik zu Bruckners 3. Sinfonie)

Eduard Hanslick, gelernter Jurist und Österreicher, war der „König der Kritikerkratzbürsten“ (SZ):

„In mehreren Stockwerken huschen Akkorde und Akkordklitterungen, Motivchen, Motivteilchen übereinander weg wie die Ratten auf dem Dachboden."

„Das Orchester fabriziert unter höllischem Aufpassenmüssen  Läuferchen, Trillerchen, Tonbröckchen, Fagottgeheul."

„Das sind Spuren eines kränkelnden Geistes"

„Das Werk erweist leider einen nicht erwarteten ästhetischen und künstlerischen Abfall des Komponisten."

Und zu einem Brahms-Klavierkonzertabend:

„Wer dieses Clavier-Concert mit Appetit verschlucken konnte, darf ruhig einer Hungersnoth entgegensehen; es ist anzunehmen, daß er sich einer beneidenswerthen Verdauung erfreut und in Hungersnöthen mit einem Nahrungs-Äquivalent von Fenstergläsern, Korkstöpseln, Ofenschrauben und dgl. mehr sich vortrefflich zu behelfen wissen wird!"

https://www.br-klassik.de/aktuell/br-klassik-empfiehlt/buecher/verrisse-thomas-leibnitz-buchtipp-100.html

Na, dann Mahlzeit…

Klaus Wendel darf sich also trösten: Auch professionelle Musikkritiker verfassen gelegentlich einen atemberaubenden Stuss. Daher wollen wir ihn nicht tadeln. Er tut ja nur sein Bestes…

Und für Georg Kreisler ist die Sache eh klar:

https://www.youtube.com/watch?v=doAqhXigX04

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