Die „Tangogeneration Praktikum“

 

Auch wenn es mir in gewissen Kreisen niemand glauben wird (wäre auch für den „Gruppen-Konsens“ schädlich): Ich habe allen Respekt vor Klaus Wendels langjähriger Erfahrung als Tangolehrer. Was uns beide unterscheidet: Mir fällt kein Zacken aus der Krone, dies auch öffentlich zu erklären.

In der Diskussion über einen seiner letzten Artikel warf ihm eine Kommentatorin („Dana“) „Überheblichkeit“ vor. Sie könne nämlich „aus eigenem Erleben die geschilderte schlechte Qualität des Tangounterrichts nicht bestätigen.“ Sie sehe „hochkarätige Tangopaare, die auch bei uns in Deutschland anspruchsvollen Unterricht anbieten, und kenne viele Tänzerinnen und Tänzer die sich dorthin begeben und deren Tango sich immens verbessert.“

Natürlich gebe es auch „diejenigen, die schon sehr lange tanzen und nicht vorankommen. Denen das Talent oder das tiefere Interesse fehlt.“ Aber auch solche Personen würden etwas vom Tango mitnehmen – auch wenn es „nur“ die Nähe zum Anderen sei.

Wendel bleibt aber bei seiner Auffassung: Er wisse inzwischen, dass er von den Lernenden weniger erwarten könne als vor 20 Jahren.

Auch bei denen sei der Anspruch gesunken: Statt komplizierter Figuren stünden heute „einfache, schnell erlernbare Schrittfolgen“ im Vordergrund. „Längere Schrittabläufe, die ich früher noch ohne Probleme vermitteln konnte, sind heute nicht mehr möglich, auch viele Fortgeschrittene steigen schon nach Sequenzen von 3 Schritten aus. Die Auffassungsgabe von relativ simplen Lösungen für Bewegungsabläufe ist trotz besserer Unterrichtsvorbereitung spürbar gesunken.“

Natürlich gebe es auch Ausnahmen, was aber an der Tendenz nichts ändere.

Das Interesse, sich zwischen den Unterrichtsstunden mit dem Lernstoff zu beschäftigen, sinke. „Die Schüler beklagen oft, dass sie alles vergessen hätten, das liegt oft daran, dass sie sich zwischendurch nicht ein einziges Mal gedanklich damit beschäftigen. Früher kommen oft direkt zu Beginn der neuen Stunde gezielte Fragen zum Stoff der vergangenen Woche.“

Geduld und Ausdauer seien dem Prinzip „Durchlauferhitzer“ gewichen.

Anfänger könnten sich häufig gar nicht vorstellen, „mal irgendwann öffentlich tanzen zu gehen. Sie schieben das oft in weite Ferne. Das war früher anders.“

Und, fettgedruckt:

Wenn ich den normalen Arbeitsaufwand für ein Hobby wie Tango mit dem von anderen Hobbys wie Tennis oder Golf vergleiche, wird offenbar für Tango wesentlich weniger Übungszeit in Anspruch genommen. Etwas, was ich überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann. Es sind wesentlich mehr Schüler nur in Kursen, als nachher auf der Tanzpiste, obwohl ich einen hohen Aufwand betreibe, mit Prácticas und anderen Anreizen. Der Trend geht, genau wie beim Standard oder Latein in Richtung ‚betreutes Tanzen‘.“

Ich zitiere das alles nicht, um einen erneuten Streit mit dem Kollegen zu beginnen – im Gegenteil: Ich kann das alles aus eigener Erfahrung nur bestätigen! Und kaum eine andere Tango-Lehrkraft traut sich, diese Tatsachen offen anzusprechen. Wendel kann es sich wohl leisten, weil sich seine Karriere als Tangolehrer doch der Schlusskurve nähert. Eine Gunst des Schicksals!

Und ich kann mir erlauben, solche Einsichten zu veröffentlichen, da ich mit dem Tango nie Geld verdienen wollte.

Ich weiß nicht genau, wie es in Tennis- oder Golfclubs zugeht. Vermutlich wird da gar nicht jeder (und jede) als Mitglied akzeptiert. Und wenn, darf man dafür – und für den Unterricht – ordentlich Geld abdrücken. Meines Wissens ist zur Belegung der Spielstärke oft ein „Handicap-Nachweis“ erforderlich. Danach fallen dann die Spielflächen und Regeln aus. Manchmal gibt es Vorstellungsgespräche und eine Probezeit.

Und was machen wir im Tango? Wir verbreiten den Unsinn, jeder (und sogar jede) könne diesen Tanz erlernen. Mein Lieblingsangebot, öfters gelesen: Nach einer „Schnupperstunde“ könne man durchaus schon bei der nachfolgenden Milonga mittanzen. In der Praxis halt als „Floorcraft-Hindernis“

Und die Lehrkräfte im Tango sind froh und glücklich, wenn ihnen irgendeine Pappnase die Ehre erweist, mal probeweise das Parkett zu betreten – und das für Gebühren, die man im Golf oder Tennis als Trinkgeld für den Platzwart ausgeben müsste (oder für den Longdrink im Vereinsheim). Hauptsache ein – wenn auch kleiner – Umsatz!

Klar, dass man solche „Anfänger“ nicht mit „komplizierter“ Musik behelligen darf. Ein „Handicap“ gibt es ja im Tango nicht. Wer, auch musikalisch, Schwierigeres goutiert, wartet vergeblich darauf. Es lebe die „DiSarli-Dauerschleife“!

Ursache des Elends ist halt, dass man im Tango immer mehr auf tänzerisch Grenzbegabte und auf kaum Lernbereite abstellt – auch wenn die nach dem Auftauchen erster Schwierigkeiten oft wieder verschwinden.

Derzeit wird im Tango vieles auf die Akquise neuer Kundschaft (welcher auch immer) fokussiert. Und das zu Schleuderpreisen und dem Angebot von Lustbarkeiten aller Art wie Kleiderverkauf und Ferienreisen. Vom Tanzen ist weniger die Rede… Man will die Leute ja nicht verschrecken!

Wer den Ball in den Bunker befördert, sollte ihn auch selber wieder rausholen! 

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich muss der Tango offen für neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer bleiben. Aber wer keine „Durchlauferhitzung“ möchte, darf sie halt auch nicht anbieten. Und man muss Interessierten klarmachen, dass es bis zur „Platzreife“ viel Arbeit gibt – und dass „ich würde wohl gerne“ vielleicht für den Hechelkurs beim Seelencoach reicht – aber nicht für den Tanz vom La Plata.

Und dass der durch die „Diktatur der Generation Praktikum“ nicht besser wird!   

Quelle:

https://www.tangocompas.co/klammer-blues-statt-tango-wie-wir-gerade-den-tanz-verlieren/#comments

Illustration: www.tangofish.de

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