Was Ihnen Ihr Tangolehrer manchmal doch erzählt

In einem früheren Beitrag habe ich es beklagt, dass auf den Milonga-Tanzflächen gebundene Passagen („Legato“) oft nicht ausgetanzt werden – und auf der anderen Seite kurze, pointierte Sequenzen („Staccato“) ebenfalls im öden Durchmarschieren enden. Was bleibe, so meine Einschätzung, sei ein monotones „Latschato“.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/01/was-ihnen-ihr-tangolehrer-nicht-erzahlt.html

Nun hat die Profitänzerin Nicole Nau im sechsten und letzten Teil ihres Interviews mit Lea Martin erstaunliche Aussagen getroffen, die mich in meinen Ideen ermutigen. Unter dem Titel „Tanzen wie im Supermarkt“ räumt sie kräftig mit liebgewordenen Vorstellungen auf, die man in der deutschen Tangoszene seit vielen Jahren weitgehend unwidersprochen hegt und pflegt.

So hält sie nicht viel vom „Workshop-Hopping“, bei welchem die Schülerschaft mit ständig neuen Themen auf Trab gehalten wird. Wenn sie eine solche Veranstaltung unter dem Motto „Ochos“ anbiete, komme kaum jemand – denn Ochos würde man ja bereits kennen. Völlig zu Recht fragt Nicole Nau, ob man die dann auch könne. Das dauere nämlich Jahre!

Lieber hielten Luis und sie inzwischen Kurse ohne Titel ab und überließen es den Lernenden, was sie gerne üben, worin sie sich verbessern wollten. Das nähert sich verdächtig den Vorstellungen, die ich immer wieder in Richtung „freie Practicas“ geäußert habe!

Gut getanzte Ochos seien nicht linear, sondern rund. Ich habe das einmal so ausgedrückt: Gerade Frauen sollten doch wissen, dass alles Schöne in der Natur rund ist! (Und Männer folglich auch...) Und nicht geradlinig oder eckig. In Nicoles Worten:

„Tanz braucht Raum. Alles ist rund. Die Körper, die Umarmung, die musikalische Welle, der Salon, alles. Das geradlinige Tanzen passt nicht in einen runden Salon. Wenn man nicht in alle Richtungen tanzen kann, kommt man im Salon nicht weiter. Was machen die Deutschen? Sie machen Regeln. ‚Du musst hinter dem Hintermann her tanzen.‘ Dazu gehe ich in den Supermarkt und stelle mich an die Schlange. Das ist kein freies Tanzen, das ist kein Volkstanz. Die müssten mal sehen, wie so ein Salon sich bewegt hat in den 1940er Jahren, als Tausende von Leuten auf einer Tanzfläche waren. Das war wie ein Ameisenhaufen, und trotzdem hat niemand niemanden totgetreten. Die kamen klar.“

Na ja, Salons in den 1940er Jahren haben wir alle nicht mehr erlebt – dennoch habe ich mich über diese „Watschn“ für die Tango-Ideologen sehr amüsiert!

Für eine Kernaussage über den derzeit praktizierten Tango halte ich Nicole Naus Feststellung:

„Woran der Tango Argentino heute am meisten leidet, ist, dass er keinen Tanz mehr hat. Er wird ja nicht mehr getanzt.“

Sie sagt dazu:

„Aber el caminar, das Gehen, wird getanzt. Man muss das Gehen tanzen. Ich habe das Gefühl, dass dieses Gehen abgearbeitet wird, auf Vierecke gelegt, vorwärts, rückwärts. Dieses Gehen wird unterteilt in drei Teile: Schritt, Schließen, Schritt. Das ist kein Tanz. Das ist das Abarbeiten einer Bewegung. Daran krankt der Tango im Moment sehr, dass er nicht getanzt wird. Es mangelt dem Tango an Tanz. Es mangelt ihm daran, dass Menschen sich treffen, um zu tanzen. Luis sagt, er geht auf keinen Salon. Er findet: ‚Der Grund, das Motiv, warum die Leute hingehen, ist ein anderer, es geht nicht um Tanz.‘

Tja, wie oft ich das schon geschrieben habe: Tanz oder gar Musik werden zunehmend als Garnierung eines sozialen Treffens verstanden. Im Mittelpunkt – wie früher mal – stehen sie nicht!

Nicole weiter:

„Es nützt nichts, Tango zu verstehen. Ich sehe Paare, die sich brav darum kümmern, ihre Füße zu schließen. Das hat weder mit der Musik noch mit dem Partner zu tun. Es ist einfach eine Aufgabe, die sie erfüllen. Das meine ich mit dem Abarbeiten. (…) Viel wird jedoch unterrichtet, beim ersten Moment des Tons zu stehen. So wird die Bewegung erschlagen, sie ist tot, man steht auf der Musik, statt sie fortzutragen, und du musst mit jedem Schritt nochmal neu anfangen. Wenn wir tanzen, nehmen wir die Musik auf und tragen sie weiter. Wir müssen sie weitertragen, nicht hinstellen, wie bei diesem antrainierten Schließen.“

Ich fürchte auch, hierzulande versucht man viel zu viel, Tangotanzen zu verstehen. In einem Artikel habe ich es einmal so formuliert:

„Was muss ich eigentlich ‚verstehen‘, um mich tänzerisch weiterzuentwickeln?

Ich kann dazu nur einen von mir häufig verwendeten Satz zitieren: Die Birne kann keinen Tango“. Jedenfalls nicht die grauen Zellen ganz oben. Da sind untere Hirnbereiche und das Rückenmark eher beteiligt. Ebenso das vegetative Nervensystem und eine Unmenge von Reflexen.

Ein wenig ist das wie im Fußball, wo ja auch der Satz gilt: „Dumm kickt gut.“

Im Grunde ist Tango sehr einfach: Du hörst eine Musik, die dir sehr gefällt, du schnappst dir einen Partner, dem das ebenso geht, und dann legt ihr auf dem Parkett los. Da muss beileibe nicht alles klappen. Aber die sicherste Methode, den ganzen Tanz in den Sand zu setzen, ist: nachzudenken.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/08/verstehen-oder-tanzen.html

Und auch da stimme ich mit Nicole Nau überein: Man muss die Impulse „mitnehmen“, anstatt sie ständig durch unnötige Stopps zu „killen“. Sich von der Musik treiben lassen!

Ich erleben es auf Milongas immer wieder, wenn die dortigen Tänzerinnen auf „Tradition“ und „Gehorsam“ getrimmt sind: Mir bleiben nur wenige Chancen, die Musik zu gestalten, weil die Damen ständig eilfertig versuchen, mir mit der vermuteten Bewegung zuvorzukommen. Mir bleibt dann nur, irgendwie „hinterher zu tanzen“. Und das Gehoppel ist manchmal so kurz und schnell, dass ich unmöglich in den Beinraum der Partnerin hineintanzen und beispielsweise Sacadas bewirken kann.

In Zeiten, wo sich das noch lohnte, sagte ich manchmal zu der Tänzerin: „Zeig doch mal deinen Stolz und leiste mir ein wenig Widerstand, lass dir Zeit, anstatt gleich loszurennen!“ Inzwischen lasse ich das. Heute ausgebildete Tangueras wüssten gar nicht, was ich meine…

Ganz schlimm wird es, wenn ich die Tanzhaltung lockere oder sogar teilweise aufgebe. Aufs Aneinanderpappen Konditionierte sind dann völlig ratlos: Ja, was jetzt? Der Mut zu eigener Gestaltung, zu unkonventionellen Aktionen fehlt völlig.

Daher kann ich Nicole Nau nur beipflichten, wenn sie abschließend sagt:

Macht aus dem, wie es einst war bitte euren eigenen Tango. Das finde ich die wichtigste Nachricht, dass diese Freiheit wieder da ist, für alle. Tango ist frei. Es ist ein freier Tanz.“

Quelle: https://www.tangosociety.de/post/tanzen-im-supermarkt

P.S. Ich bin ganz froh, dass ich dem Düsseldorfer Tanzstar auch einmal Recht geben kann. Für anderes habe ich sie oft genug kritisiert. Für mich gilt aber weiterhin: Mir geht es um die Sache, nicht die Person!


 

Kommentare

  1. Hallo Herr Riedl,
    habe auch das Interview in voller Länge gelesen und mich zeitweise gefragt, ob ich hier „veräppelt“ werden soll.
    Dass in vielen Milongas nicht getanzt wird, sondern eher geschlichen (damit man seine Partnerin beim Tanzen nicht aufweckt), kann ich bestätigen. Mache aber den Leuten keinen Vorwurf daraus, nur, wenn sie dann diese Art zu tanzen, als einzig wahren Tango verklären, nur weil sie brav die “ronda“ und den „cabeceo“ einhalten. Tango ist sehr vielfältig und Vorschriften - auch in Wettbewerben - vergiften die Weiterentwicklung. Ich habe auch Sorge, dass der Tango standardisiert wird.
    Nur kann ich aus Sicht einer Profitänzerin, die oft choreografisch mit großen Bewegung den Raum tänzerisch nutzen kann, leicht darüber lamentieren, wie sparsam auf den Tanzpisten besonders in Deutschland der „Tango absolviert“ wird, während man selbst, wie sie sagt, nie in Milongas tanzt.
    Ich glaube auch, dass Luis deshalb keine Lust hat, in einer Milonga zu tanzen. (Mir ging es vor Jahren auch so und wollte aussteigen, bis ich lernte auch in vollen Milongas zu TANZEN.)
    Natürlich hat Nicole N. Recht, wenn sie so tanzen möchte, braucht sie Platz, wer seinen Porsche ausfahren möchte, fährt zum Nürburgring.
    Oder mietet sich ein Studio bzw. tanzt im Wohnzimmer.
    Die Frage, welches Motiv die unterschiedlichsten Tänzer haben, (wie Luis ja auch sagt) ist eigentlich die entscheidende:
    Wenn man in eine gefüllte Milonga geht, dann bestimmt nicht nur, um sich auszutoben.) Man sucht Geselligkeit und den Tanz anderen, mir angenehmen Menschen. (Wenn sich die Milonga dem Ende neigt, kann man bei ausreichend Platz auch schon mal ausladender tanzen. Diese Frage wird oft vernachlässigt, denn es gibt doch viele Intentionen zu tanzen. Nur dass eine Gruppe immer die Intentionen der anderen in Frage stellt und verurteilt, führt zu Missverständnissen.
    Wenn man Tanz als gesellschaftliches Ereignis betrachtet, ist es etwas anderes, als auf der Bühne anderen Menschen den eigenen Tanz zu präsentieren. Wenn man gerne die Partner tauscht, tanz man mit kleinem Repertoire, um möglichst Gruppenkompatibel zu tanzen. Dass außerdem der Tango auf gefüllten Pisten verhaltener und kleiner getan wird, ist doch einfach nur der Fülle geschuldet. (Das ist bei Gesellschaftstänzen einfach so, das man auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner kommt.) Kann man Menschen vorwerfen, das zu tun?
    Wenn jemand gern komplex und raumgreifend tanzen möchte, muss er/sie erstmal eine(n) passenden Partner(in) dazu finden. Und man braucht Platz dazu und geht deshalb nicht (zu früh) in eine überfüllte Milonga.
    Tango komplex zu tanzen, erfordert außerdem viel Zeit und Übung; Zeit, die viele Leute nach der Arbeit garnicht haben.
    Die eigene Vorstellung des Tangos, als Maßstab für alle zu erheben, finde ich sehr anmaßend.
    Luis & Nicole, sollten sich mal soziologisch mit dem Phänomen Tango beschäftigen, anstatt die Leute zu verunglimpfen, die nur versuchen, mit ein bisschen Unterricht auf vollen Tanzpisten klarzukommen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Klaus Wendel

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    1. Lieber Herr Wendel,

      ich kann bei dem Interview eine „Verunglimpfung“ anderer Tanzstile nicht feststellen. Nicole sagt ja am Schluss: „Nehmt, was ihr braucht, was ihr nicht braucht, nehmt nicht. Macht aus dem, wie es einst war, bitte euren eigenen Tango.“

      Aber klar, jeder wirbt für seine eigenen Vorstellungen von diesem Tanz und hält sie für die besten. Das muss nicht unbedingt eine Abwertung anderer Tanzweisen darstellen. Und man muss schon das Recht haben, gefühlte Fehlentwicklungen anzusprechen. Das tun Sie übrigens auch!
      Ich habe es oft genug erlebt, wie andere meine Auffassungen und Vorlieben vom Tango heftig attackiert haben. Davon ist Nicole ein gutes Stück entfernt.

      Warum Luis wirklich nicht auf Milongas tanzt, weiß ich nicht. Ich finde es aber generell schade, dass sich Tangolehrer nur aufs Unterrichten, Bühnentänzer nur auf ihre Shows konzentrieren und Hobbytänzer nur aufs Milongaparkett gehören. Es ist letztlich immer wieder Tango, was wir alle tanzen. Diese strikten Unterscheidungen schaden mehr als sie nützen.

      Mir ist nicht klar, warum man unseren Tanz immer nur nach der Tauglichkeit für überfüllte Pisten beurteilt. Liegt der Reiz des Autofahrens darin, im Stau zu stehen oder sich in eine enge Parklücke zu quetschen? Zum Tanzen braucht man Platz. Und es gäbe genug Milongas, bei denen man freie Bahn hätte. Nur sind das halt nicht die „angesagten“.

      Raumgreifendes Tanzen muss nicht „komplex“ sein. Und man braucht dazu nicht jahrelang intensiv zu lernen. Eher gehört Mut dazu, sich von einengenden Regeln zu lösen und auf Fantasie und Kreativität zu setzen. Und man darf keine Angst vor Fehlern und Missbilligung haben.

      Sicherlich ist Tango ein Gesellschaftstanz, der auch mit simplen Bewegungen umgesetzt werden kann. Und ich fordere ja nicht, nun den ganzen Abend „komplexe“ Musik zu spielen. Aber das reale Gegenteil hat eine Menge Leute vom Tango vertrieben, weil sie die öde Dauerbeschallung mit simpler Musik leid sind. Auf diese Interessen werde ich immer wieder hinweisen.

      Danke und beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  2. Lieber Herr Riedl,
    ich glaube, dass wir ein wenig aneinander vorbeireden, zumindest, was die Bezeichnung „komplexes Tanzen“ angeht. Aber um nicht in ein endlose Diskussion abzugleiten, belasse ich es dabei: raumgreifendes Tanzen, („Tanz braucht Raum“ Zitat Nicole) ist auf gefüllten Tanzpisten, z. B. mit „Giros“, nur mit viel Übung möglich. Die wenigsten Tänzer können sie tanzen, schon mal gar nicht in dieser intimen Umarmung „Kopf an Kopf“. Und ohne Rücksicht und ein wenig Ordnung auf der Piste gäbe es nur Chaos. Kann mich gut an die wilden Zeiten erinnern, als es diese Ordnung noch nicht gab. Nein Danke!
    Mit freundlichen Grüßen
    'Klaus Wendel

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    1. Lieber Herr Wendel,

      schade, dass man Sie nicht vom "Tangoideal" der "gefüllten Tanzpisten" wegbekommt!

      Auch die "intime Unarmung" ist eine Vorgabe, die vieles einschränkt, ganz klar. Aber sie ist ja kein göttliches Gebot, sondern von Menschen gemacht.

      Wenn Sie "wildes Chaos" erlebt haben, ist das Ihre Erfahrung. Ich tanze nun seit 25 Jahren vorwiegend auf "alternativen" Veranstaltungen und kann nicht davon berichten.

      Was mich besonders fasziniert: Da versuchen Hunderttausende junger Fußballspieler, ihren Idolen wie Harry Kane, Leroy Sané oder Thomas Müller nachzueifern - nur im Tango heißt es: Lasst es lieber, ihr kriegt es eh nicht hin!
      Bedauerlich!

      Insgesamt denken Sie halt in alten Mustern und stellen dann fest, dass moderne Entwicklungen nicht hineinpassen. Irgendwie logisch.

      Beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  3. […] "schade, dass man Sie nicht vom "Tangoideal" der "gefüllten Tanzpisten" wegbekommt!"[…]
    Nanu? Ist das Ihr Ernst? Wie viel soziale Intelligenz erwarten Sie, damit eine Milonga nicht zu voll wird? Soll man sich absprechen?: "Heute sind wir mal dran?"
    Oder Bühnentango für wenige?
    Dann schreiben Sie doch mal über ein Modell, um dieses Problem zu lösen, ich bin sehr gespannt. Es sei denn, sie wollen uns allen einen Wohnzimmer-Milonga empfehlen.

    1. Begrenzter Zugang zu öffentlichen Milongas? (mit wütenden Gästen, die nicht eingelassen werden?) oder das Modell der Voranmeldungen? Das gibts doch schon bei Encuentros. Wer will das kommunizieren?
    2. viele kleine Milongas mit viel Platz, die dann auch noch rentabel sein sollen und nicht langweilig?
    3. Wer soll sich sich ohne kommerzielle Interessen dafür einsetzen? Bin mal gespannt, wieviele Ehrenamtliche da mit machen, wenn es nur Arbeit macht und die Gäste dann freiwillig das doppelte als Spende für Miete und Gema zahlen sollen. Sollen die etwa auch alle gema-befreit werden?)
    4. "das Modell "viele Leute treffen und auch tanzen" würde dann in Frage gestellt.
    5. Berichten Sie doch mal, wie die von Ihnen besuchten Milongas aussehen:
    Wieviele Gäste sind da? Sind diese Milongas auf dem Land oder dort, wo der Tango sehr verbreitet ist, wie z.B. in Städten?
    6. Glauben Sie, dass sich die Tanzqualität dadurch verbessern würde?
    Bin sehr gespannt. Wenn ich also in alten Mustern denke, also in der Realität bin, welche realistische Alternativen gibt es, die Ihrem Ideal entsprechen?
    Mit freundlichen Grüßen
    Klaus Wendel

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    1. Lieber Herr Wendel,

      wenn Sie mal unter dem Label „Milonga-Berichte“ (65 Beiträge) nachsehen, werden Sie viele Beispiele von Veranstaltungen finden, die ich sehr schätze (Negativ-Rezensionen auch).

      Aber da Sie in diesem Bereich offenbar überhaupt keine Erfahrungen haben, beantworte ich Ihnen Ihre Fragen gern:

      1. Encuentros mit strikten Voranmeldungen funktionieren offenbar seit vielen Jahren sehr gut. Motto: Wenn nicht alle reindürfen, wollen alle rein. Was ist so schlimm an einem begrenzten Karten-Angebot? Gibt es in jedem Konzert, Theater oder Kino.

      2. Und ob Milongas langweilig sind, hängt überhaupt nicht von ihrer Größe ab, sondern vom Engagement der Veranstalter und dem Musikprogramm.

      3. Bei vielen Tango-Problemen komme ich immer wieder auf genau diesen Punkt: Die Kommerzialisierung schadet mehr, als sie nützt. Eine Milonga muss nicht „rentabel“ sein – ich kenne viele Laien, die kleine Events veranstalten, selbst wenn sie dann mal draufzahlen müssen. Übrigens kostet eine mittlere Konzertkarte 50 Euro. In dem Bereich hat man die Tangoszene lange Zeit ziemlich verwöhnt.

      4. Ich plädiere für das Modell: Tanzveranstaltungen besuchen, um zu tanzen. Wer vor allem viele Leute treffen will, hat in unserer Gesellschaft eine Menge Möglichkeiten. Im Fußball beispielsweise kann man bis zu 50000 Fans treffen – und sich wahlweise verbrüdern oder verhauen.

      5. Die Milongas, welche ich empfehlen kann (oder konnte), liegen eher am Stadtrand oder auf dem Land. Klar: Im Zentrum sind die Lokalitäten zu teuer. Was ist daran so schlimm? Ich habe schon in Jugendzentren getanzt oder in Kunstateliers, leerstehenden Gasthäusern, Tanzschulen, privaten Tanzstudios, Nebenräumen von Pizzerias, Caritas-Seniorenzentren oder VHS-Sälen. Oder es gibt gemeinnützige Vereine. Und ich habe dort oft wunderbare tänzerische Erlebnisse gehabt. Weil es dort fast nur Leute hinzieht, denen es ums Tanzen geht. Und nicht um Schuh- und Kleiderverkauf, Gastlehrer oder anderes Tralala.

      Als Beispiel nenne ich die Veranstaltungen von Peter Ripota und seiner Frau Monika, die seit 2007 monatlich eine Milonga in einer Tanzschule in Freising organisieren. Sie verdienen dabei genau nichts, aber offenbar zahlen sie auch wenig drauf. Ich bin dort von Anfang an Stammgast. Im Schnitt kommen 20 bis 30 Leute, bei Livemusik auch mal wesentlich mehr. Mir reichen aber pro Abend zwei oder drei gute Tänzerinnen, und die habe ich dort stets gefunden.
      Zum Nachlesen: http://milongafuehrer.blogspot.com/2023/03/peter-ripota-zum-achtzigsten.html

      6. Die Tanzqualität auf solchen Milongas ist deutlich höher. Einmal, weil mehr Platz ist – aber auch, weil es den Gästen vorrangig ums Tanzen geht. Und schwierigere Musik dazu zwingt, genauer hinzuhören.

      Es gibt viele Realitäten im Tango. Wer die Augen aufmacht und sie sucht, wird sie finden. Wer nicht hinschaut, wird behaupten, es gäbe sie nicht.

      Beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  4. Lieber Herr Riedl,
    Mir ist jedoch anhand Ihrer Vorschläge klargeworden, dass Sie die Belange, Wünsche und Motive der meisten Milonga-Gäste gar nicht kennen, denn sie setzen bei anderen die gleichen Motive wie die Ihren voraus. Das habe ich aber schon lange vermutet, weil sie auch in Ihren Beiträgen am laufenden Band Wünsche äußern, die an den Bedürfnissen der meisten Leuten vorbeigeht.
    (Und außerdem: mir mangelnde Erfahrung bei Milonga-Besuchen zu unterstellen, ist ein Vorurteil, dass Sie garnicht bestätigen können und sehr gewagt ist.)
    Eines zur Klarstellung:
    Gut organisierte, aber "rappelvolle", Milongas, wie z.B. Eric Joerissens "Chained Salon" (ohne Eintritt) in Nijmegen mit klaren Ronda-Regeln, verschaffen mir ein entspanntes, komplexes Tanzen auf engstem Raum. Ebenso - das oft volle - Tango8 in Köln. Weil sich alle an die Ronda, an die Abstände, an den Tanzfluss halten, und - weil ich gut drehen und auf kleinstem Raum komplex tanzen kann.
    Mein Verdacht: Sie würden dort glatt scheitern, weil "Lücken-suchen-Tango" dort garnicht möglich ist. (Luis & Nicole vielleicht auch - meine Vermutung). Vermutlich meiden Sie doch solche Milongas genau aus diesem Grund: weil sie's nicht können oder sich weigern es zu lernen.
    Wenn Sie anhand dieser oberflächlichen Vorschläge glauben, die Gewohnheiten und das Verhalten der Tangoszene ändern zu können, verkennen Sie, dass noch nie eine Umfrage stattgefunden hat, die sozial-wissenschaftlich die Motive des Großteils der Tanzszene erforscht hat und Ihre Theorie belegen könnte.
    Bevor Sie hier Menschen nach ihren Vorlieben nach Tanz oder eher Gesellschaft (die Abstufungen sind hier sehr graduell!) selektieren möchten, erklären Sie doch mal, wie Sie ihre geschilderten Wünsche und Vorschläge in die Tat umsetzen wollen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Klaus Wendel

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    1. Danke für die Anregung zu einem neuen Artikel!

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