Was ich dazu sagen kann

Heute debattierte der Deutsche Bundestag das Potsdamer Treffen, in dem darüber geredet wurde, wie man national Unerwünschte außer Landes bringen könnte. Zentraler Begriff und zu Recht Unwort des Jahres: Remigration.

Nun werden Forderungen laut, die „schweigende Mitte“ der Bevölkerung dürfe sich nicht ins bürgerliche Idyll zurückziehen, sondern müsse laut und öffentlich den Feinden der Demokratie widersprechen.

Wer öfters Artikel von mir liest, wird nicht vermuten, ich sei ein Anhänger deutschnationalen Gedankengutes.

Doch es ist zu dem Thema schon sehr viel Sinnvolles und Überzeugtes gesagt worden – was kann da ein kleiner Blogger noch hinzufügen?

Mir fällt dazu nur die leider nicht mehr sehr bekannte Rede des SPD-Vorsitzenden Otto Wels ein.

Am 24.3.1933 stimmte der Deutsche Reichstag in der Kroll-Oper über das von der Reichsregierung eingebrachte Ermächtigungsgesetz ab, welches die Rechte des Parlaments faktisch außer Kraft setzte. Die Abstimmung endete mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit für das Gesetz:

Die 81 Abgeordneten der KPD waren bereits verhaftet oder untergetaucht. Von den 120 SPD-Reichstagsmitgliedern waren 26 inhaftiert oder geflohen.

Es wurden 538 gültige Stimmen abgegeben. Lediglich die 94 anwesenden Abgeordneten der SPD stimmten mit Nein. Alle anderen Vertreter der bürgerlichen und rechten Parteien gaben dem Gesetz ihre Zustimmung – oft eingeschüchtert durch Bedrohungen gegen sie oder ihre Familien – und unter dem Eindruck des SA-Aufmarsches im Parlament. Insgesamt gab es 444 Ja-Stimmen. Die NSDAP allein verfügte nur über 288 Reichstagsmitglieder.

https://de.wikipedia.org/wiki/Erm%C3%A4chtigungsgesetz_vom_24._M%C3%A4rz_1933

Otto Wels hielt an diesem Tag die bis Kriegsende letzte freie Rede in einem deutschen Parlament:

Nie hat uns irgendein Grundsatz unserer Partei daran hindern können oder gehindert, die gerechten Forderungen der deutschen Nation gegenüber den anderen Völkern der Welt zu vertreten.

Der Herr Reichskanzler hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen, den wir unterschreiben. Er lautet: „Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrophe der Weltwirtschaft." Dieser Satz gilt für die Außenpolitik; für die Innenpolitik gilt er nicht minder.

Auch hier ist die Theorie von ewigen Siegern und Besiegten, wie der Herr Reichskanzler sagte, ein Aberwitz. Das Wort des Herrn Reichskanzlers erinnert uns aber auch an ein anderes, das am 23. Juli 1919 in der Nationalversammlung gesprochen wurde. Da wurde gesagt: „Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos."

„Gewiss, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel. Aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, da es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist unser Glaube bis zum letzten Atemzug."

Das steht in einer Erklärung, die eine sozialdemokratisch geführte Regierung damals im Namen des deutschen Volkes vor der ganzen Welt abgegeben hat, vier Stunden bevor der Waffenstillstand abgelaufen war, um den Weitervormarsch der Feinde zu verhindern. – Zu dem Ausspruch des Herrn Reichskanzlers bildet jene Erklärung eine wertvolle Ergänzung. Aus einem Gewaltfrieden kommt kein Segen; im Innern erst recht nicht.

Eine wirkliche Volksgemeinschaft lässt sich auf ihn nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht. Mag sich die Regierung gegen rohe Ausschreitungen der Polemik schützen, mag sie Aufforderungen zu Gewalttaten und Gewalttaten selbst mit Strenge verhindern. Das mag geschehen, wenn es nach allen Seiten gleichmäßig und unparteiisch geschieht, und wenn man es unterlässt, besiegte Gegner zu behandeln, als seien sie vogelfrei.

Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.

Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Die Wahlen vom 5. März haben den Regierungsparteien die Mehrheit gebracht und damit die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. 

Kritik ist heilsam und notwendig. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht, und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche Allmacht der Regierung muss sich umso schwerer auswirken, als auch die Presse jeder Bewegungsfreiheit entbehrt.

Meine Damen und Herren! Die Zustände, die heute in Deutschland herrschen, werden vielfach in krassen Farben geschildert. Wie immer in solchen Fällen fehlt es auch nicht an Übertreibungen. Was meine Partei betrifft, so erkläre ich hier: Wir haben weder in Paris um Intervention gebeten, noch Millionen nach Prag verschoben, noch übertreibende Nachrichten ins Ausland gebracht.

Solchen Übertreibungen entgegenzutreten wäre leichter, wenn im Inlande eine Berichterstattung möglich wäre, die Wahres vom Falschen scheidet

Noch besser wäre es, wenn wir mit gutem Gewissen bezeugen könnten, dass die volle Rechtssicherheit für alle wiederhergestellt sei. 

Das, meine Herren, liegt bei Ihnen.

Die Herren von der Nationalsozialistischen Partei nennen die von ihnen entfesselte Bewegung eine nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten, die seit mehr als zwei Menschenaltern die Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist und auch bleiben wird. Sollten die Herren von der Nationalsozialistischen Partei sozialistische Taten verrichten, sie brauchten kein Ermächtigungsgesetz.

Eine erdrückende Mehrheit wäre Ihnen in diesem Hause gewiss. Jeder von Ihnen im Interesse der Arbeiter, der Bauern, der Angestellten, der Beamten oder des Mittelstandes gezielte Antrag könnte auf Annahme rechnen, wenn nicht einstimmig, so doch mit gewaltiger Majorität. 

Aber dennoch wollen Sie vorerst den Reichstag ausschalten, um Ihre Revolution fortzusetzen. Zerstörung von Bestehendem ist aber noch keine Revolution. Das Volk erwartet positive Leistungen. Es wartet auf durchgreifende Maßnahmen gegen das furchtbare Wirtschaftselend, das nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt herrscht.

Wir Sozialdemokraten haben in schwerster Zeit Mitverantwortung getragen und sind dafür mit Steinen beworfen worden.

Unsere Leistungen für den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft, für die Befreiung der besetzten Gebiete werden vor der Geschichte bestehen.

Wir haben gleiches Recht für alle und ein soziales Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen, ein Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männern aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offensteht.

Davon können Sie nicht zurück, ohne Ihren eigenen Führer preiszugeben.

Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewusstsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewusstsein zu appellieren.

Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. 

Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben sich ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen.

Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft.

https://webarchiv.bundestag.de/archive/2009/1223/dokumente/textarchiv/2008/20069543_kw15_gedenkstunde/rede_wels.html

Die unmittelbaren Folgen:

Im April 1933 wurden jüdische und linke Beamte zwangspensioniert oder entlassen.

Anfang Mai wurden die Gewerkschaften aufgelöst.

Zwischen Mai und Juli ergingen Verbote aller anderen Parteien – die meisten gaben von selbst auf.

Die „Machtergreifung“ führte zur Emigration von zirka 500000 deutschen Bürgern.  

So schnell kann das gehen, wenn man nicht rechtzeitig Nein sagt!

Und was ich dazu sagen kann? Das hat Kurt Tucholsky schon 1919 formuliert, als die Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit geringen Strafen davonkamen:

„Wir wollen bis zum letzten Atemzuge dafür kämpfen, dass diese Brut nicht wieder hochkommt.“

http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1919/Die+lebendigen+Toten

https://www.youtube.com/watch?v=nwnPr5_7FhI

Kommentare

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