Warum ich schreibe
„Ein kleiner dicker Berliner, der mit seiner Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte“ (Erich Kästner über Kurt Tucholsky)
Mag ja sein, dass man als Autor betriebsblind wird, wenn man schon ein Buch und über 1600 Artikel zum Tango geschrieben hat. Hat man als Leser auch nur einen kleineren Teil dieses Angebots studiert – so schien es mir – sollte einem doch klar sein, warum – und wozu – ich schreibe.
Ich muss aber immer wieder feststellen, dass dies bei manchen Beobachtern offenbar nicht so ist. Erst kürzlich las ich wieder einmal, ich könne gegen Missstände im Tango anschreiben und versuchen, die Menschen von etwas anderem zu überzeugen – es werde aber nicht gelingen. Im Gegenteil nerve es die Leute, wenn man ihnen ihre Fehler vor Augen führe – und sie machten dann den Kritiker zum Schuldigen.
Zunächst erstaunt es mich schon, dass manche mich anscheinend für so dämlich halten, nicht zu erkennen, dass ich am Mainstream des Tango nichts ändern kann. Im Gegenteil: Das ist mir vollkommen klar!
Über die Jahre – und unter nicht geringem Einfluss – haben sich Vorstellungen zu diesem Tanz etabliert, die absolut „massentauglich“ sind: Tango, so scheint es, ist eine Betätigung, bei der man mit wenigen normierten Schrittchen auf vollgestopften Pisten zu höchst überschaubarer historischer Musik das betreibt, was euphemistisch „Tanz“ genannt wird. Durch das Glück, welches man dabei im synchronen Gleichklang mit der Masse erfahre, erlange man ein neues Bewusstsein, eine ungeahnte Seligkeit – und wer nicht aufpasse, werde dabei glatt zu einem besseren Menschen…
Man erhalte so eine Menge neuer Freunde – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorbehaltlos Ja zu den strengen Reglements sage, welche zur Ausgießung dieser Segnungen nun mal erforderlich seien. Dauerjubel ist daher Pflicht – und wen Skepsis plagt, wer seltsame Nachfragen stellt oder gar Unglauben äußert, ist so schnell am Rand der Gesellschaft wie eine Iranerin ohne Kopftuch.
Diesem Selbstbestätigungs-Mechanismus der Massen ist schwer etwas entgegenzusetzen – ob es sich nun um Fußballfans, religiöse Gemeinschaften, Nationalisten, Kommunisten oder andere „Ismen-Vertreter“ handelt. „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ – dieses Motto schweißt zusammen.
Gerade lese ich von der lobenswerten Initiative von proTango e.V.: „Tango gegen Rechts“. Ich hoffe, man unterlässt dort zukünftig auch die Ausgrenzung von Dissidenten.
https://www.facebook.com/groups/913209017183518
„Gegen einen Ozean pfeift man nicht an“ – so der ins Exil geflohene Kurt Tucholsky. Er sei mit der Sache fertig und werde zu dem, was sich seit 1933 in Deutschland abspiele, kein Wort mehr schreiben.
Da ich mich mit einer vergleichsweise harmlosen Materie wie dem Tango befasse, sehe ich das Ganze weniger dramatisch. Also: Warum schreibe ich überhaupt, und das noch zu diesem Thema?
Zunächst ist diese Beschäftigung für mich nicht Mittel zu Zweck, sondern zu einem guten Teil Selbstzweck: Ich habe halt ein erotisches Verhältnis zur Sprache. Wenn mir Sätze wie „Musik ist Trump“ gelingen, macht mich das glücklich. Sprache ist, auch das wusste schon Tucholsky, eine scharfe Waffe.
Und Tanzen beschäftigt mich seit mehr als 55 Jahren. Warum
also nicht über einen wesentlichen Lebensinhalt von mir berichten? Wer aber
mein Blog (und die beiden anderen) ausführlicher studiert, wird finden, dass
mich manchmal auch andere Gegenstände zum Schreiben animieren. Und
zwar immer dann, wenn ich meine, etwas sagen zu können, was nicht schon
Hunderten vor mir eingefallen ist. Oft ist das eine Minderheiten-Position.
Mit umfassender Zustimmung reche ich daher selten. Würde ich weitgehend dem Mainstream beipflichten, wäre das für mich ein Grund zur Sorge.
Ich glaube aber schon, dass mein Schaffen den einen Leser oder die andere Leserin dazu bringt, einmal über Dinge nachzudenken, die im Tango einer dem nächsten bedenkenlos nachplappert. „Ist das wirklich so?“ – diese Frage bildet das Leitmotiv meiner Arbeit. Und ich erhalte immer wieder Rückmeldungen, man habe nun erkannt, dass man im Tango mit seinen Zweifeln doch nicht allein sei.
Daher bleibe ich dabei: Tango geht auch anders!
Weiterhin steigt ja die Anzahl derer, welche unseren Tanz nur noch in der heutigen kastrierten Form kennen. Zeiten, in denen man „Cortina“ für einen weiblichen Vornamen hielt, haben viele nicht mehr erlebt. Oder dass gelungene Tangoabende ohne Cabeceo möglich sind. Daher sehe ich mich durchaus in der Rolle eines Zeitzeugen, der von dem berichten kann, was uns früher am Tango faszinierte – und von dem heute nur noch wenig übrig ist.
Statt sich einmal auf den Kern des Tangos zu konzentrieren, hält man das die „gemeinen Figurenanwender" mit allerlei nutzlosem Tralala wie Musikalitäts-Workshops, Tangoreisen oder modischen Fummeln auf Trab.
Das gilt auch für die Musik: Ich werde mich weiterhin gegen die Kulturvernichtung stemmen, mit der man Werken der letzten 60 Jahre pauschal die Eignung als Tanzmusik abspricht. Und ich glaube, da ist in den letzten Jahren durchaus etwas ins Rollen geraten: Während vordem allein die Nennung des Namens „Piazzolla“ zu wütenden Tiraden führte, ist man heute doch vorsichtiger geworden. Ein aktuelles Beispiel macht mir derzeit Mut:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/01/projekt-piazzolonga.html
Und immerhin dürfen noch lebende Musiker auf vielen Milongas spielen, und selbst die meisten konservativen DJs kommen nicht mehr ganz ohne ihre Aufnahmen aus. Doch man kann nicht über etwas urteilen, das man – wegen der „EdO-Schwemme“ – kaum kennt. Daher werde ich weiterhin neuere Tangomusik vorstellen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Playlists
https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Gerhards%20Tandas
https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Piazzolla%20zum%20Tanzen
Ärgern sich Menschen, denen man Fehler vorhält? Na sicher – und das zu Recht! Also werde ich auch in Zukunft Zustände kritisieren, die ich für kontraproduktiv halte. Aber nicht mit der Dampframme, sondern dem spitzen Florett des Satirikers. Ob man dann darüber lacht oder schimpft, ist mir ziemlich egal. Beides regt den Kreislauf an und befreit den Tango von der lähmenden Lethargie, die sich nur dazu eignet, Verhältnisse zu zementieren.
Was ich bestimmt nicht tun werde: Mich hundertprozentig auf eine Seite schlagen. In der Neo-Szene findet man nicht viel weniger possierlichen Unsinn wie im Reiche der Orthodoxen. Ich werde niemandem einen bestimmten Tanzstil oder Musikgeschmack vorschreiben. Und jeder möge sich an die Regeln halten, welche er für sinnvoll hält – so lange er mir dies ebenso zubilligt. Aber je mehr man sich aufbläst und der eigenen Unfehlbarkeit nähert, desto mehr steigt die Gefahr, eine satirische Fallhöhe zu erreichen, bei der ich dann die Falltür betätige.
Die Angst, aus der ehrenwerten Tangogesellschaft ausgestoßen zu werden, ist geradezu gespenstisch. Immer wieder trauen sich Kommentatoren (und sogar Gastautoren) nicht, ihren wahren Namen zu nennen. Oder ich erhalte „streng vertrauliche“ Nachrichten, man stimme ja in vielem mit mir überein – nur laut sagen mag man es nicht!
Wieso eigentlich? Ich schreibe nun seit 14 Jahren kritisch über den Tango und andere Themen, ohne dass es mir gravierende Nachteile eingebracht hätte. Allerdings muss ich mit dem Tango auch kein Geld verdienen. Das macht vielleicht den Unterschied.
Satiriker wie Tucholsky und Heine mussten noch aus Deutschland emigrieren – und es gibt Schwachköpfe, die auch heute wieder solche Überlegungen anstellen. Doch noch können wir uns einen Luxus leisten, der in vielen Ländern dieser Welt nicht zu haben ist: das freie Wort.
Darum schreibe ich.
Ein Kommentator schreibt nun in der FB-Gruppe „Tango Gegen Rechts - ein Initiative von proTango e.V.“:
AntwortenLöschen„Der rote Stern, ein Symbol der Arbeiterbewegung und der Tango gehen gut zusammen. Pugliese bildet meist den Höhepunkt auf Milongas. Er war erklärter Kommunist und blieb es auch unter der Diktatur. Überhaupt finde ich, dass der Tango der Idee eines gelebten Kommunismus ziemlich nahe kommt. Das Auto bleibt draussen. Was einer hat oder darstellt - auf der Tanzfläche spielt es keine Rolle. Dort zählt allein die Verbindung zwischen den Menschen und ich habe beim Tango schon viele Menschen aus verschiedensten Kreisen zusammenkommen sehen, die sich sonst aufgrund von Klassenunterschieden und Standesdünkeln wohl nie begegnet wären. Der Tango ist grundsätzlich antifaschistisch und wurde nicht umsonst unter der Militärdiktatur verboten.“
Seltsam – ich hätte den heutigen Tango eher dem Feudalismus zugeordnet…
ZZ sind ja alle "gegen rechts", da kann es nicht ausbleiben, dass ein böser Mensch auch das Bild "Nazis gegen rechts" gebastelt hat: https://pbs.twimg.com/media/GEl9rtsXAAAuvHB?format=jpg&name=small ;-)
AntwortenLöschenaber das nur nebenbei. Mir ist Musik wichtig, und mich regt diese pauschale Abwertung der Tangomusik der letzten 60 Jahre ebenfalls auf, und freue mich immer, wenn mal jemand es wagt, etwas, das auch mal aneckt, aufzulegen.
Tango ist ja eigentlich eine höchst emotionale Angelegenheit, allerdings gibt es auch noch andere Emotionen, als eine (ich nenns mal so) "Schmuseseligkeit" ;-)
Ich hab z.B. noch auf keiner Milonga etwas von "Tango Crash" gehört (ist vielleicht doch allzu heftig, oder? ;-) deren erste CD war die erste Tango-CD, die ich mir "damals" gekauft hatte ;-) ) und nur selten was vom "Orquesta Tipica Fernandez Fierro". ;-)