Ricardo Klapwijk: Die Sache mit den Briefmarken

 

Ich habe die Geschichte schon sehr oft von Nicole Nau gehört und gelesen: Ein ausländisches Tangopaar (sie und ihr meist verschwiegener Partner Ricardo Klapwijk) erfuhr die Ehre, auf zwei argentinischen Briefmarken verewigt zu werden. Welch eine Anerkennung! Oder…?

Ricardo Klapwijk war nun so freundlich, mir die wahre Geschichte hinter den Briefmarken zur Verfügung zu stellen. Hier seine Erzählung:

Diese Geschichte habe ich schon vor langer Zeit aufgeschrieben, hier die komplette Version:

So eine Sensation, auf der Briefmarke war ein Foto, aufgenommen durch unseren „Haus-Fotografen“ Maximo Parpagnoli, exakt nachgemalt und abgebildet zusammen mit einem Bild vom Quinteto Pirinchi und einem Filete! Später entdeckten wir: Der Titel war „Tango y Filete“.

Was für eine Sensation, wir abgebildet auf einer Briefmarke! Was sollten wir tun? Wir wussten von nichts!

Als erstes rief ich Maximo an, ob er wisse, dass ein Bild von Ihm kopiert wurde und auf einer Sonderbriefmarke erschienen ist. Er wusste von nichts.

Dann haben wir am gleichen Tag einen Rechtsanwalt angerufen, der uns schon öfter geholfen hat. Er war erstmal sehr begeistert, dass wir auf einer Briefmarke abgebildet waren. Er würde sofort tätig werden, um dies mit der argentinischen Post zu klären.

Beim Schreiben dieser Geschichte spüre ich noch immer die Aufregung, wie ich sie damals, es war Ende der 90er Jahre, empfunden habe. Mir war sofort bewusst, was dies für einen Impact haben würde, ob dies unserem Image guttun oder schaden würde, fragte ich mich selbst… Aber zuerst war die Frage: Wieso stehen WIR auf der Briefmarke…?

Innerhalb eines Tages hat der Rechtsanwalt die argentinische Post angerufen, am nächsten Tag würde es ein Treffen geben, mit dem Rechtsanwalt und einem der Chefs der argentinischen Post, Maximo, uns und natürlich unserem Rechtsanwalt. Was für eine Aufregung!

Der Vertreter der Post erklärte, dass sie sich nicht so viele Gedanken gemacht hätten, wen das Bild darstellt, sie sahen das Foto und haben ja gesagt. Die Post hat nicht recherchiert, wer die Rechte besitzt, sie haben das Bild kopieren lassen und Schluss. Ja, sie wussten, dass es ein ausländisches Paar war, und das fanden sie ganz okay, es zeige, wie international der Tango ist. Das also erklärte, warum wir nichts wussten. Wenn sie uns hätten ehren wollen, hätten sie uns sicher vorher informiert.

Wir waren ein Symbol für den Tango, dank einer typischen Tangopose und eines guten Fotografen, nicht mehr und nicht weniger.

Tja, jetzt machte unser Rechtsanwalt der Post ein Problem, er forderte eine wirklich hohe Summe Geld für das illegale Publizieren des Bildes. Niemals hörte ich eine so hohe Summe für ein Bild oder einen Auftritt von uns.

Der Vertreter der Post erklärte klipp und klar, dass dies für die Philatelie-Abteilung der Post unmöglich sei, so eine Summe für die Rechte der Publikation zu zahlen. Aber er hatte ein Gegenangebot: Der Post würde eine neue Briefmarke mit einem Bild von uns publizieren, mit dem Namen des Fotografen und des Tanzpaars „Ricardo y Nicole“, vermerkt auf der Briefmarke, außerdem eine offizielle Präsentation im Goldenen Saal des Hauptpostamts, mit der ganzen Presse von Buenos Aires, dem holländischen und deutschen Botschafter und und und.

Das war ein gutes Angebot, fanden wir. Auf zwei Briefmarken zu stehen ist selbstverständlich eine unglaublich tolle Werbung!

Die zweite Briefmarke, wieder eine Sonderbriefmarke der Philatelie-Abteilung der Post, hieß „Tango und Kabuki“ und war eine Briefmarke aus einer Serie, welche den kulturellen Austausch mit verschiedenen Ländern darstellte.

Der Auftritt kam, auf unseren Wunsch spielte Color Tango, die ganze Presse war da, der niederländische Botschafter, etc. pp. Wir bekamen das erste Exemplar der Marke überreicht und haben zur Livemusik getanzt.

Und ja, es erschien in vielen Zeitungen und Magazinen, es war selbstverständlich eine gigantische Werbung, da jeder, der die Briefmarke sah, dachte, dass wir geehrt wurden. Das war aber nicht so, wir standen durch „Zufall“ auf den Briefmarken. Aber niemand fragte nach, wer kommt denn auf die Idee, dass du nur durch ein gutes Foto auf eine Briefmarke kommen kannst?

Maximo, der Fotograf, konnte nach meiner Meinung mindestens, oder sogar noch mehr stolz sein, dass sein Foto, wirklich ein Superbild, geehrt wurde. Es ist bei Sonnenaufgang auf der Avenida de Ingeniero entstanden.  Auf die Treppe der Facultad de Ingeniero. Nach einem Auftritt in Café Homero sind wir morgens früh dorthin gefahren, um bei Sonnenaufgang Fotos zu machen. Wir machten öfter solche verrückten Sachen mit Maximo, er hatte Spaß an uns als Motiv, bekam dies selbstverständlich bezahlt, verdiente auch durch Verkauf von Bildern. Es war seine Idee, bei Sonnenaufgang hier zu fotografieren, ich erinnere mich, wie müde ich war, nach mehreren Auftritten in der Sonne morgens früh, es muss ca. 6 Uhr gewesen sein, ich wollte nur noch ins Bett… Maximo war happy, er sagte, da sind ein paar tolle Bilder dabei. Später schauten wir sie uns an, und ja, da war das Bild dabei, das später eines der meist publizierten Bilder von uns wurde.

Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Wie öfter in unserer Karriere waren die Kollegen Tänzer nicht sehr happy über unseren Erfolg, diesmal standen wir auf einer Briefmarke und kein Argentinier, das ging natürlich in deren Augen gar nicht, und das verstehe ich ganz gut. Zum Beispiel Juan Carlos Copes & María Nieves, die schon seit Jahrzehnten tanzten, als bestes Tanzpaar aller Zeiten weltweit bekannt sind ….aber nein: Wir standen auf zwei Briefmarken und niemand anders.

Vielleicht hatte die Post dies doch mit Absicht so gewählt, um keinen Ärger zu bekommen? Ich weiß es nicht, aber wir hatten den Ärger! Wir waren eh schon nicht sehr gefragt unter Kollegen, wenn’s um gemeinsame Auftritte ging, kann ich gut verstehen, wie sollten wir erklären, dass es Zufall war? Da haben wir keine Energie reingesteckt, und das war ein Fehler, finde ich jetzt. Wir hätten sie auf irgendeine Weise die Kollegen aufklären müssen. Wir waren zu geschmeichelt. Selbst habe ich die Briefmarke niemals als eine Ehre für mich empfunden, habe es oft erklärt, aber immer im kleinen Kreis bei Veranstaltern, Schülern und Freunden, aber wie gesagt:  Geschmeichelt war ich auch.

Mir war klar, dass wir nicht die Qualität und jahrelange Anerkennung hatten, welche eine Publikation auf einer Briefmarke rechtfertigt. Wir waren ein sehr gutes Tanzpaar, ausdruckstark auf jedem Fall, kümmerten uns um viele Details, wie Kleidung, Makeup, Musikwahl, Choreografie. Ich bemühte mich um das Management.

Ich denke, da waren wir den argentinischen Paaren schon weit voraus in der Zeit, wir hatten als erstes Tanzpaar eine eigene Website, E-Mail, Faxgerät, Visitenkarten mit Foto, Briefpapier usw. Ein gutes Image, kann man sagen, aber unser Tanzen war erst gute zehn Jahre alt, als wir auf der ersten Tango-Briefmarke erschienen. Dass andere Tanzpaare schon seit Jahrzehnten tanzten und in Shows wie „Tango Argentino“ die Tangowelt weit und breit berühmt gemacht haben: Der Unterschied war und ist mir bis heute klar.

***

Ich finde, das ist ein sehr ehrlicher und bescheidener Artikel von Ricardo. Mir zeigt er auch, dass es neben Talent, Fleiß und Können einen weiteren wichtigen Faktor für Karrieren gibt: Den Zufall. Man muss eben zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Oder auf der richtigen Briefmarke.

Und ich gestehe, dass mich Tango-Vortanzvideos in der Regel nicht sehr reizen. Bei vielen schalte ich schon nach zehn Sekunden weg. Die von Ricardo und Nicole kann ich mir immer wieder ansehen. Warum, weiß ich nicht. Offenbar hat ihr Tanz das „gewisse Etwas“. Möglicherweise erging es vielen Argentiniern ebenso.

Kommentare

  1. Sehr schöner Artikel! Wäre er nicht wahr, man könnte sich ihn kaum besser ausdenken. Er zeigt wieder mal, wie so vieles im Leben vom Zufall abhängt, dass einfache Erzählungen nicht immer stimmen, wie jemand unverdient und doch verdient (wegen der guten PR durch Ricardo) zu Ruhm und Ehren kommt. Ein wirklich wertvoller Beitrag zur Geschichte des Tango!

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    1. Vielen Dank!
      Ich bin sehr stolz darauf, Ricardo davon überzeugt zu haben, seine Geschichten einmal öffentlich zu machen. Aber ich glaube, es hat ihm auch selber gutgetan.

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