Viel Wind und Wendel
Der Essener Tangolehrer Klaus Wendel und ich werden wohl keine Freunde mehr. Nebst vielem anderen gefällt ihm ein Tanzvideo nicht, mit dem wir vor Jahren eine Behauptung des Bloggers Cassiel widerlegen wollten, ich könne auf ein bestimmtes Tangostück von Biagi nicht tanzen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2017/07/der-rezensor-hat-gesprochen.html
Aktuell schreibt Wendel nun unter anderem:
„Ich habe mir dieses Video nochmal angesehen (…). Ich kann hierbei nur selten eine Übereinstimmung und auch nur in nur wenigen Musikteilen entdecken (…). Ob sie gewollt oder zufällig ist, kann ich nicht sagen, ich vermute jedoch letzteres. Ich kann offensichtlich kaum einen Zusammenhang zwischen Musik und Tanz entdecken, außer, dass beides bei der Aufnahme zeitgleich zu passieren scheint. (…)
Also, wenn Sie in diesem ‚Tanzgewusel‘ des Videos gelegentliche zufällige Übereinstimmung mit Achtel- und Sechzehntel Noten erkennen können, erachte ich diese Übereinstimmungen nicht als gewolltes, beeinflusstes, musikalisches Tango-Tanzen. (…) Wenn mir irgendjemand weiß machen will, dass dies ein musikalisch getanzter Tango ist, müsste ich an meiner Urteilsfähigkeit verzweifeln. Aber das tue ich nicht.“
Okay, ich tappe also planlos rum und treffe per Zufall gelegentlich mal ein Achtel oder Sechzehntel. Harter Stoff! Aber gut, wer etwas von sich veröffentlicht, muss mit Kritik rechnen – auch wenn sie fallweise völlig bescheuert ist.
Doch gilt das auch umgekehrt? Oh nein, da ist Herr Wendel sehr empfindlich! Als ich ihn mal nach seiner musikalischen und tänzerischen Ausbildung fragte, stieß er mehr Tinte aus als ein Riesenkrake. Er verbot mir sogar, von seiner Website zu zitieren:
„Aber wer sich dafür interessiert, kann ja auf meiner Website nachlesen. (…) Und was auf meiner Seite steht, bleibt auch schön auf meiner Seite, so wie ich nichts aus Ihrem Blog kopiere. (…) Sie können gerne einen Link veröffentlichen, aber ich verbiete ihnen explizit per copy & paste Textbausteine von meiner Seite auf Ihrem Blog zu veröffentlichen.“
https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/05/und-was-machen-sie-so.html
Noch schärfer wurde der Ton, als ich ein Tanzvideo von ihm veröffentlichte, das ich nur so kommentierte:
„Doch lassen wir mal einen Tangolehrer vortanzen (ab 2:00) – und urteilen Sie selbst:“
https://www.youtube.com/watch?v=m4-dOA4kN34
Klaus der Choleriker kochte vor Wut:
„Es ist bezeichnend, mit welcher Häme Sie, Herr Riedl, in ihrem Blog Zitate aus Diskussionen geschlossener Facebook-Gruppen herausfischen, aus dem Zusammenhang reißen, um ihre vorgefertigte Meinung zu bestätigen, Videos herausfischen um Ihre Widersacher vorzuführen, wie sie sich in Ihrer geifernden Schadenfreude über persönlich Differenzen einiger Facebook-Mitglieder lustig machen und persönliche Statements dieser Menschen zu Ihrer Belustigung an die Öffentlichkeit zerren. Das spricht für eine typische Charaktereigenschaft Ihrerseits.“
Anschließend wedelte er noch mit dem gelben Zettel:
„Das besagte Video war noch ohne mein Wissen im Netz und ist mittlerweile beseitigt worden. Es stellt mich in einer gesundheitlich schwierigen Situation dar (Asthmatische Atemnot).“
Tatsächlich verschwand das Video dann für kurze Zeit vom Schirm, wurde bald darauf aber wieder eingestellt. Daher ließ ich es auch drin.
Übrigens fand ich den Ort des Geschehens lustig: Die Hausherrin des „mach was…“, Christel Schulte, hatte für uns am 8.1.2011 eine Buchlesung organisiert – und ich durfte bei der Milonga auch für die Musik sorgen. Zitat aus der Einladung: „Gerhard Riedl wird bei diesem Salon als DJ auflegen und mit seiner abwechslungsreichen Musikauswahl (von 1910 bis 2010) die Tangueras y Tangueros durch die Tangonacht begleiten.“
Obwohl ich damals natürlich auch EdO-Orchester spielte, fragte man uns mehrfach während des Abends nach „Salon-Tango“. Weit nach Mitternacht wurden wir dann noch von einem Frankfurter Tangopaar heftig angeranzt.
Na gut, 2014 war der Salon dann wohl schon fest in konservativer Hand, wie man im Video an der Musik und den vorschriftsmäßig umherschleichenden Paaren erkennt…
Insgesamt kann ich es gut verstehen, dass die empfindliche Künstlerseele rebelliert, wenn man für eine Tanzvorführung abfällig kritisiert wird. Daher vermeide ich das, so gut es geht. Okay, wer ein Lehr- oder Tanzvideo veröffentlicht, muss mit negativen Einschätzungen rechnen. Dennoch versuche ich stets, entweder keine Namen zu nennen oder, wenn das nicht geht, meine Anmerkungen mit einem Minimum an Respekt zu versehen.
Dies gilt natürlich auch für meine folgende Rezension zweier Showtänze von Klaus Wendel und seiner Partnerin Esther Nur. Da sich der Chef am besagten Abend in Lüdenscheid krank fühlte, habe ich zwei andere Beispiele ausgewählt: Sie fanden 2018 in der Kölner Tangoschule „Vida mía“ statt.
Als Musik haben sie den Encuentro-Hit „Invierno“ gewählt, gespielt von Francisco Canaro mit dem Sänger Roberto Maida (1937). Das ist gut abgelagertes Material, mit dem sicher auch ultra-konservative Zuseher zufriedengestellt werden. Vor allem aber bietet der hymnisch-schleppende Rhythmus tänzerisch höchstens minimale Schwierigkeiten.
Ein Problem, das ich bei solchen Videos oft bemerke: Warum lässt der DJ das Tanzpaar erstmal dumm rumstehen, bis er nach fast 20 Sekunden endlich die Einschalttaste findet? Der „magische Moment“ ist dann schon vorüber. Anschließend muss erstmal länglich aufeinander zugegangen werden („Oblivion-Gedenkminute“), bis es nach gut 30 Sekunden endlich ans Tanzen geht.
Die Musik wird durch den Tanz sehr schön abgebildet, was allerdings auch nicht schwierig ist, da der Titel nicht nur langsam, sondern auch durchgehend phrasiert ist. Und die beiden stellen diese musikalischen Abschnitte so korrekt dar, als hätten sie damals schon mein Lehrvideo gesehen.
Choreografisch bietet die Vorführung außer einigen Volcadas, Rückwärtseinsteigern und einer schönen Pose (ab 2:00) wenig, was nicht jedes routinierte Tangopaar nach einigen Jahren Praxis hinbekommen sollte. Gefallen hat mir die ausgefeilte Haltung des Paars – insbesondere Esther Nur tanzt wirklich sehr elegant.
Dennoch – wie soll ich es sagen – gehe ich bei solchen Vorführungen nach spätestens einer Minute vor die Tür zum Rauchen, weil mir klar ist: Da kommt nix mehr, was ich nicht versäumen dürfte. Es ist halt alles extrem unspannend – ich finde, bei einer Show sollte man mehr wagen.
https://www.youtube.com/watch?v=5MVMRdkBet4
Sofort vor die Tür flüchte ich, wenn bei einer vorgetanzten Milonga dieses Stück erklingt: „Milonga sentimental“ in der Version von Francisco Canaro (1933). Dieses tausendfach auf den Tangoveranstaltungen abgenudelte Werk ist nicht „gut abgehangen“, sondern bereits im Stadium der Verwesung. Es hat halt überhaupt nichts vom der genretypischen Spritzigkeit – und leider tanzen es die beiden auch so: sehr exakt, weitgehend mit Standard-Choreografie. Wendel setzt das eine oder andere Achtel um, und Esther Nur zeigt etliche sehr schöne Fußaktionen. Das war’s dann aber auch. Man kann halt aus Scheiße kein Gold machen.
https://www.youtube.com/watch?v=RcDaHZWiYQo
Mensch Klaus, es gibt so tolle Milonga-Musik, lass doch dabei mal die Sau raus – und nicht in cholerischen Diskussionsbeiträgen! Temperament sollte man positiv umsetzen.
Noch ein Wort zur Kleidung, die ja bei einer Tanzvorführung nicht ganz unwichtig ist: Ein großes Kompliment an Esther Nur, die ein elegantes, farblich unauffälliges Kleid trägt. Eine Wohltat: Kein Schlitz bis zur Hüfte und andere, billig erotisch wirkende Versatzstücke. Chapeau!
Klaus Wendel hätte ich allerdings von der Operetten-Bonvivant-Nummer mit weiter, weißer Hose und gleichfarbigen Tangopuschen abgeraten. Der Wind hätte nicht in die Hose, sondern aufs Parkett gehört!
Noch eine Kritik kann ich ihm nicht ersparen – auf seiner Website steht ein Satz, den er anscheinend schon länger nicht mehr gelesen hat:
„So manche Tänze sind eigentlich nicht zustande gekommen, weil wenigstens ein Partner seinen Part durchgezogen hat, ohne die Intentionen des anderen Partners zu erspüren.“
https://www.tango-sencillo.de/infos-ueber-den-tango#1503447245610-285cd275-f27c
So hart würde ich es nicht formulieren, aber Esther Nur hat wenig Chancen, ihr Können durch eigene Einfälle und Aktionen zu zeigen. Wendel betanzt sie als fast reines Ausführungsorgan. Sehr schade! Aber ich weiß ja aus eigener Erfahrung: Selbstständigkeit in seinem Umfeld zu ertragen gehört nicht zu des Meisters Kernkompetenzen.
Lieber Klaus, bevor bei dir nun wieder die Galle hochkocht:
Ich habe es viele Jahre ertragen, dass du immer wieder meine Fähigkeiten beurteilst. Aber irgendwann muss auch mal gleiches Recht für alle gelten! Ich habe mich dabei um etwas bemüht, das dir leider fremd ist: Eine detaillierte und auch einigermaßen faire Kritik. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen. Ich hätte es auch anders gekonnt.
Deine Tänze sind wirklich ganz ordentlich – du darfst dazu auch gerne Wind machen. Für einen Sturm ist allerdings kein Anlass.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil ist endgültig - die Berufung oder gar Revision ist unzulässig. Daher werde ich hierzu auch keine Kommentare hochladen. Sonst dreht sich die Debatte sehr schnell wieder um meine tänzerischen Fähigkeiten!
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