Willkommen im Swing-Club!
Kürzlich
erreichte mich zu dem Artikel „Das Geschiss mit dem Auffordern“ ein interessanter Kommentar: Der Schreiber hat es wohl vor zirka drei Jahren mit dem
Tango probiert, ihn jedoch nach anderthalb Jahren wieder aufgegeben. Zu den
Gründen schreibt er:
„…für mich als
Standard/Latein-Tänzer zu unvorhersehbare Musik und das Gefühl, ständig neben
der Musik zu sein, zu komische Leute und ihre Dogmatik, nur Stehkuscheln statt
Bewegung auf den Milongas“ (…) „sich gegenseitig befehdende Sekten mit
alleinigem Heilsanspruch“
Seit
etwa sechs Monaten sei er nun in Kontakt mit dem „West Coast Swing“ (WCS) gekommen und erkenne, obwohl er erst wenige
Veranstaltungen besucht habe, hinsichtlich „Willkommenskultur
und Umgang miteinander Welten zwischen diesen beiden Szenen“:
„Da wird auch ein
Neuling mit nur einem Wochenende Einsteigerworkshop freudig von der
Veranstalterin begrüßt. Da wird auch mit besagtem Frischling gleich mal ein
Probetanz avisiert und kurz danach ausgeführt. Und das auch noch, oh Schock und
Schreck, per verbaler Aufforderung durch die Dame selber!
Und auch andere anwesende Damen sind weder schüchtern noch versnobt und fordern Mann trotzdem auf, auch wenn sie gesehen haben, dass da noch nicht das große Figurenfeuerwerk abgefackelt werden kann.“
Und auch andere anwesende Damen sind weder schüchtern noch versnobt und fordern Mann trotzdem auf, auch wenn sie gesehen haben, dass da noch nicht das große Figurenfeuerwerk abgefackelt werden kann.“
Da
der Kommentator allerdings behauptete, zum WCS noch keine Blogs gefunden zu haben, sah ich mich etwas um und fand in Kürze
zwei hochinteressante Artikel: eine „Nettiquette“
und einen Beitrag zum „Social Dancing“.
Ich war nach der Lektüre fast etwas gerührt.
Es überkam mich ein Gefühl, endlich wieder in einer „normalen Welt“ anzukommen, nachdem ich mich jahrelang gefragt
hatte, ob ich eigentlich einer der Wenigen sei, denen die Spinnereien im Tango
abwegig, ja bescheuert erscheinen.
Klar darf man beim ersten Beitrag im WCS-Blog über einige
Ratschläge zur eigenen Hygiene etwas schmunzeln: Beispielsweise wasche
ich mir nach jedem Toilettengang die Hände, sogar lange bevor ich Tango getanzt
habe und obwohl ich mich wenig zu Swingmusik bewege. Obwohl der Hinweis nach
einer Studie Heidelberger Psychologen nicht ganz nutzlos sein könnte: 11
Prozent der Männer verzichten danach ganz aufs Händewaschen, 49 Prozent sparen sich die Seife (Frauen: 3 bzw. 18 Prozent).
Besonders eindrucksvoll erscheinen mir die Verhaltenstipps für die Partys, wie man
dort die Milongas nennt:
„Tanze mit möglichst vielen verschiedenen
Partnern“ könnte beim Tango ebenso wenig schaden wie „Unterhalte dich mit anderen, neuen Leuten.
Lerne alle kennen“. Und auf „fordere
genau die Leute auf, die du noch nicht kennst“ warte ich in unserem Tanz
sehnsuchtsvoll. Aber es wird noch schlimmer: „Fordere auch die ganz Guten auf, genauso wie Anfänger sowie Tänzer
jeder Altersstufe. Tanzen macht mit jedem Spaß!“ Na, das hätte sich beim Tango
schnell erledigt!
Und der folgende Ratschlag gleicht beim Tanz vom La Plata
einem Schweineschnitzelwurf ins Beduinenzelt: „Als Anfänger traue dich auch, die fortgeschrittenen Tänzer oder Lehrer
aufzufordern. Sie haben auch mal wie du angefangen und wissen, wie es sich
anfühlt.“ Ja, aber genau das ist der Grund, wieso die meisten Tangolehrer
dies nie mehr erleben wollen und einen auf „unnahbar“ machen…
Über die bei uns maximal diskutierte Art der Tanzeinladung kein Wort! Stattdessen: „Wenn du aufgefordert wirst und eine Absage
erteilst, versuche, die Person später wiederzufinden und fordere sie dann auf.“
Ach geh, das ist doch reine „Tango Fiction“…
Keine Rede auch von „Parkettbenutzungs-Verordnungen“!
Stattdessen: aufpassen und sich bei Pannen entschuldigen – ob man nun selber
gepatzt hat oder die anderen.
Ähnlich ist das Strickmuster im anderen WCS-Artikel zum
Thema „soziales Tanzen“. Tanzkurse,
so der Tenor, könnten halt vieles nicht bieten:
·
spontan
mit neuen Situationen umzugehen
·
mit
viel besseren oder viel schwächeren Tänzern zu tanzen
·
sich
zu ganz anderer Musik zu bewegen (jeder Lehrer/DJ legt eine andere Musik auf)
(Mei‘, wär das beim Tango schön…)
·
einfach
loszulassen und Spaß zu haben, egal, ob alles klappt oder nicht
Für den Autor persönlich sei der „wichtigste Aspekt im Social Dancing das Wechseln von Partnern“:
Nur so lerne man, mit
allen tanzen zu können, es solle mit
jedem funktionieren. Durch ständigen Partnerwechsel lerne man viel schneller, lerne einfacher neue Leute kennen, könne von den Besseren super lernen – und auch
die könnten wieder schön an ihren Basics
arbeiten.
Und es mache Spaß, aus seiner gewohnten Umgebung
auszubrechen und Neues zu erfahren!
Wie heißt das auf Tango gleich nochmal? „Wenn’s dir dort nicht passt, dann geh halt
nicht hin.“
Natürlich bin ich Realist genug zu ahnen, dass wohl auch
in diesem Tanz der Vorrat an Friede, Freude und Eierkuchen nicht unbegrenzt
ist. Dennoch stelle ich mir gerade vor, dieses fröhliche Völkchen würde Sätze
hören wie „auf bestimmte Tangomusik tanze
ich gar nicht“ oder „ich möchte mit
einer bestimmten Frau keinesfalls zu D’Arienzo tanzen“. Oder sie würden gar
vom Krieg um die Musikstile oder der Bescheidwissenschaft des „höheren
Blinzelns“ hören… Nein, sie würden nicht die freundlichen Herren mit der
Zwangsjacke rufen, dazu wären sie wohl zu tolerant. Aber ein „Ej krass, Alter“ bekäme man wohl zu
hören.
Ich fürchte, mein Kommentator steht mit seiner Meinung, dass
es im Tango ziemlich verbohrt zugeht, nicht allein da,. Das schreckt viele ab
und schadet dessen Ruf in der Tanzszene
gewaltig. Darüber sollte man länger als einen Moment nachdenken…
P.S. Bereits vor längerer Zeit habe ich ganz ähnliche
Verhältnisse beim Salsa beschrieben. Wer einmal vergleichen will:
Letztes Jahr besuchte ich in Linz einen WCS Workshop, mit Tanz am Abend. Die sehr bekannte Lehrerin aus dem Ruhrpot kam mit einer Schar guter Tänzer/innen in die Tanzschule. Von einer jener Tänzerinnen wurde ich am Abend aufgefordert und trotz meiner entschuldigende Ablehnung , ich sei doch noch ein totaler Anfänger überredete sie mich es doch zu versuchen, und siehe da es wurden wunderbare Tänze. WCS hat halt den Vorteil, das hier die Tänzerin aktiv die Führung übernehmen kann und neue "moves" vorzuschlagen kann. Ich bin dieser Tänzerin ewig dankbar für ihr aktives Auffordern und Tanzen. Liebe Grüße aus Linz/Ö. wo auch im Tango der Leader aufgefordert wird.
AntwortenLöschenLieber Kurt,
Löschenja, in kleinen Szenen wie der des WCS herrscht noch eine andere Willkommenskultur! Gilt ja auch für den Tango auf "Provinzmilongas", wo man sich über jeden Neuen freut. Dass im WCS die Tänzerinnen aktiver sein müssen, trägt sicher ebenfalls dazu bei. Na ja, könnte man auch im Tango haben...
Auf jeden Fall freue ich mich, dass die von mir beschriebenen Verhaltensweisen auch der Realität entsprechen.
Danke und beste Grüße
Gerhard
Ehjjj, krass Alter cooler Beitrag wieder Mann!!!!
AntwortenLöschenIch hab so ne Freude, dass bei unserer Neolonga die Damen gar kein Problem haben die Herren aufzufordern. Letzthin hatten wir eine neue Tangofreundin zu Gast : die saß etwa zwei Tänze lang, dann hat sie systematisch alle Herren aufgefordert mit denen sie tanzen wollte und natürlich hat keiner "nein" gesagt.... Neos sind meist sehr sozial 😉..... Und wurde dann auch wieder von den besagten Herren geholt zum Tanz.... Und nein, sie war nicht 17, blond und langbeinig ... Und wie ich sehen konnte :alle hatten Spaß!!!
Das coolste Auffordererlebnis allerdings war, als ein Mädel zu einem stehenden Paar sagte: ihr seid eh schon fertig, gell??? Wir alle haben Tränen gelacht und Peter hat dann mit der abgeworbenen Dame getanzt!
So einfach kann es auch beim Tango sein, wenn die "richtigen" Leut zamkommen.....
Ich glaub, das wird wieder so ein Quotenbringer lieber Gerhard 😉
Auf bald hoffen wir und ein herzlicher Gruß aus Wien
Alessandra
Liebe Alessandra,
Löschenich habe mich über die Aufforderungs-Methoden Eurer Damen sehr amüsiert. Geht doch!
Und man sieht: Mit etwas Fingerspitzengefühl (siehe Peters Aktion) kann man Situationen besser entschärfen als mit starren Reglements.
Herzliche Grüße nach Wien
Gerhard
Btw da fällt mir noch ein :hättest du Swinger Club geschrieben, würde die Quote noch höher 😂😂😂😂
AntwortenLöschenNa ja, wäre schon ein wenig platt gewesen. Aber ich glaube, man hat die Anspielung auch so verstanden!
LöschenOffenbar geht es da bei uns in Wien doch netter zu als bei euch im weiten Westen. Die Erfahrungen von Gerhard kann ich so nämlich nicht teilen! Seit fast zwei Jahren bin ich jetzt tangomäßig unterwegs und empfinde die Szene bei uns als durchaus unterschiedlich, aber meist sehr angenehm. Ich denke, man muss da oder dort am Anfang über seinen Schatten springen, egal ob im Swing, im Tango, beim Golfspielen (ja auch das habe ich probiert), beim Musikmachen und was es sonst noch alles Schöne im Leben gibt. Und nicht jede Tanda (oder halt "Tangofolge", wenn es nicht so "traditionell" per mirada und cabeceo zugeht) ist das Gelbe vom Ei, aber trotz meiner geringen Routine genieße ich jeden einzelnen Takt, das Feedback der Damen ist auch ok, es.....Vielleicht muss ich einmal nach Bayern fahren, um Gerhards Wahrnehmungen nachvollziehen zu können. Wien ist halt anders.....
AntwortenLöschenLieber Ernst,
Löschenvielleicht gilt ja dieser Spruch auch für den Tango: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.”
Mich freut es ja, zum Sozialverhalten auf den Milongas auch positive Nachrichten zu erhalten. Und ich veröffentliche gerne, was mich dazu erreicht.
Dennoch bekomme ich halt vorwiegend Botschaften wie die, welche Grundlage meines Artikels war. Und aus Wien hat der Herr der „SaTho-Milonga“ mehr als einmal versucht, mich mit Verwünschungen zu überziehen.
Was ich übrigens auch sehr seltsam finde: Wenn du bei Amazon einen Schraubenzieher bestellst, kannst du eine mindestens zweistellige Zahl von Rezensionen zum Produkt lesen. Und auch Lehrer, Ärzte etc. müssen sich Kritiken auf Bewertungsportalen gefallen lassen. Bei normalen Tanzschulen wird es schon dünner – und im Tango: Fehlanzeige! Nirgends findest du Erfahrungsberichte zur Qualität von Tangolehrern, Milongas etc. Schon seltsam, oder?
Auch in Bayern kannst natürlich gute Erfahrungen machen – vielleicht kommst ja mal nach Pörnbach zum Tanzen, du bist natürlich herzlich eingeladen! Aber auch wenn du unbedingt schlimme Erlebnisse haben möchtest, kann ich mit Empfehlungen aus der Region helfen.
Liebe Grüße ins glückliche Wien!
Gerhard
Auf dein Pörnbach komme ich bei Gelegenheit gerne zurück, und die Tipps bzgl. der schlimmen Ergebnisse ignorier ich einfach :-)
LöschenWas den WCS so attraktiv macht, gibt es alles schon seit längerem beim Contango, zumindest, wenn Andrea den Abend leitet (alles gestern live erlebt!):
AntwortenLöschen- Neulinge werden freudig von der Veranstalterin begrüßt und den anderen Teilnehmern vorgestellt.
- Aufgefordert wird, wie's beliebt, unabhängig von biologischem oder gefühltem Geschlecht: durch Blickkontakt, verbal, durch Handauflegen, oder indem das Objekt der Begierde einfach einem anderen tänzerisch weggenommen wird.
- Selbstverständlich wird dauernd gewechselt, im Einführungsteil wird ausdrücklich nach jeder Übung ein Partnerwechsel angeordnet.
- Anfänger und Fortgeschrittene gibt es nicht, mithin auch keine Statusinhaber oder -ermangler. Also ist egal, wer mit wem was macht, niemandem fällt ein Zacken aus der Krone.
- Das Parkett ist zum Tanzen da. Bei Zusammenstößen wird gelacht oder zu viert weiter getanzt.
- Entscheidend sind die (sehr vielseitige) Musik sowie Wünsche, Bedürfnisse und Fähigkeiten des Partners.
- Übrigens ist es im Contango sogar möglich und üblich, (ohne vorherige Absprache!) zu dritt zu tanzen, zu viert, zu sechst ... , und einen Partner zu „stealen“. Vor allem: Man/Frau kann auch alleine tanzen, was das Auffordern noch einfacher macht.
Kurzum: Wozu in die Ferne schweifen, das Glück ist doch so nah. Mit dem Vorteil: Gelegentlich triff man auf einer Contango-Veranstaltung sogar auf Tango tanzende Personen, sodass auch dieser Leidenschaft gefrönt werden kann ...
Peter Ripota
Das mit der Willkommenskultur klingt in der Tat nicht übel. Aaaaber...man möge mir vorwerfen, detailfixiert zu sein, ein Standardtanz-Zombiegrinsen der Tänzer wie im zweiten Video zu sehen versaut für mich zuverlässig jeden Gedanken an Genuß. Und: Es mag sein, daß ich zufällig in der besten Tangoregion Deutschlands lebe. Oder einfach zu niedrige Ansprüche habe. Hier ist aber tatsächlich die Welt noch bunt und auch meist freundlich, mit einem Angebot von Hardcore-Tradi-Tantratango bis zu freigeistigstem Nontango, und einer Menge liebenswerter Leute.
AntwortenLöschenWie schön!
LöschenDer Sinn meines Artikels war allerdings nicht, dass wir nun alle zum Swing abdriften, sondern uns an ein Beispiel an den Umgangsformen dort nehmen sollten.
Ich habe bewusst ein Video eines eher improvisierten Tanzes und eine choreografierte Version aus einem Turnier gegenübergestellt. Die Darstellungsform muss einem nicht gefallen. Die Vorstellung, "professionelle" Tangopaare würden sich einmal an den dortigen technischen Anforderungen versuchen, entlockt allerdings mir ein Zombie-Grinsen - zumal ich mich bei Tänzern weniger auf das Gesicht, sondern auf die Ganzkörper-Aktionen konzentriere.