Grubensägs und Hibidum
Die
andere „häretische Nervensäge“ im
Tango, so Blogger-Kollege Thomas Kröter
per Selbstbeschreibung, hat heute unter dem Titel „Nachtgedanken… über Tango und Schweinkram“ einen wunderbaren Text
veröffentlicht. Dabei bezieht er sich zu einem größeren Teil auf einen Beitrag
von Paul Yang in dessen bekannten
Blog „In Search of Tango“ mit dem
Titel „Tango Music and its Danceability“:
Ich finde dieses Elaborat derartig gruselig,
dass man es der deutschen Tango-Nachwelt unbedingt in germanischer Zunge
hinterlassen sollte. Daher habe ich die wesentlichen Teile übersetzt.
Gemäß dem tangotypischen Vierer-Takt gliedert
der Autor seinen Artikel in ebenso viele Teile. Der erste befasst sich mit den rhythmischen Grundstrukturen unseres
Tanzes, welche jedem in der Szene bekannt wären, hätte er denn kompetente
Lehrer. Für die Kernaussage des Textes sind sie weniger wichtig, daher verweise
ich auf das verlinkte Original.
Ab Kapitel zwei geht es dann in die Vollen:
Der Niedergang der Tangomusik setzte
nach Mr. Yang ein, als die Musiker
begannen, mit „neuen Ideen wie Improvisation, Kontrapunkt, Kreuzrhythmen, Polyrhythmen,
asymmetrische Rhythmen, komplexen Harmonien, ungeraden Zahleninstrumenten zu
experimentieren“. „Diese Methoden, obwohl sie kreativ sind und
neue Hörerlebnisse vermitteln können, machen den Rhythmus zu komplex und damit
ungeeignet für den Tanz, der dann für moderne Musik charakteristisch wird. Es gibt
natürlich Grauzonen, aber die moderne Musik enthält zumindest einige
nichttraditionelle Elemente, die den Rhythmus des Liedes oder Teile des Liedes
unregelmäßig, unkenntlich, unberechenbar und untanzbar machen.“
„Manche Leute argumentieren, dass
jede Musik tanzbar ist, wenn sie spielbar ist. Dieses Argument ist unhaltbar.
Vielleicht ist jede Musik tanzbar, wenn sie mit den Beinen spielbar ist. Aber
Finger können sich viel schneller bewegen, und ein Orchester von Dutzenden oder
sogar Hunderten von Fingern kann die Musik extrem komplex machen, besonders
wenn es nicht zum Tanzen gedacht ist, sondern nur zum Zuhören.“
Etwas
sophistisch könnte man nun folgern, dass die „Großen Orchester der EdO“ mit den Füßen spielten, auf dass ihre Musik
tanzbar bliebe. Aber wir wissen aus der Primatenforschung, dass der heutige
Standfuß dereinst ein Greiforgan war… alles nicht so einfach!
Apropos: „Millionen von Jahren der menschlichen
Evolution machten den Rhythmus ästhetisch und musikalisch für unsere Sinne, und
unser Körper reagiert natürlich auf rhythmischen Klang. Obwohl es möglich ist,
dass einige Leute mit Übung und Proben unregelmäßige und unvorhersehbare
Schläge treffen können, die sie auswendig gelernt haben, können gewöhnliche
Menschen ohne spezielles Training das nicht tun. DJs sollten sich darüber im
Klaren sein, dass die Musik, die sie auf den Milongas spielen, für die
gewöhnlichen sozialen Tänzer bestimmt ist, um zu tanzen, nicht für ein paar gut
ausgebildete Personen, die ihre Fähigkeiten zeigen. Der DJ muss die Mehrheit
der Tänzer im Auge behalten und nicht dem Druck einiger Weniger nachgeben.“
Also die Diktatur des Mittelmaßes – schöner kann
man’s nicht sagen!
Bis hierher
hätte ich dem Artikel keine übermäßige Bedeutung zugebilligt – wir kennen ja
die entsprechenden Suren des Tradi-Tango: Ball und Herausforderungen flach halten!
Nun aber
kommt ein abenteuerlicher Schwenk Richtung umfassender
Kulturkritik, der es in sich hat:
„Es muss darauf hingewiesen werden,
dass die Veränderungen in der modernen Musik nicht zufällig sind. Wir leben in
einer Gesellschaft, in der Kapitalismus und Kommerz ständig nach Innovation,
Eindruck, Neuverpackung, Exotik, augenfälliger Kühnheit etc. streben, um den
Umsatz zu steigern. Innovation verbessert das Leben, aber sie verursacht auch
enorme Verschwendung. Jedes Mal, wenn ich ein Smartphone kaufe, wird am
nächsten Tag ein intelligenteres Smartphone produziert. In ökonomischer Hinsicht
heißt das ‚Nachfrage schaffen‘, damit die Verbraucher ihre perfekt
funktionierenden alten Telefone wegwerfen und immer wieder neue kaufen.
Menschen, die in dieser Kultur aufgewachsen sind, weisen einen Mangel an Tiefe
und bleibender Qualität auf. Sie verwechseln Bizarrheit mit Schönheit,
konzentrieren sich zu sehr auf die auffällige Form und nicht auf die Substanz
und suchen ständig Neues.“
Na gut, die
Metapher verwirrt mich etwas – ich dachte, die Anhänger der „guten alten Zeit“ kurbelten noch und
ließen sich dann verbinden…
„Ich wende
mich nun nicht der Frage zu, warum die Milonga nicht der Ort für Performance
ist (…), sondern konzentriere mich hier auf Kreativität. Ohne Zweifel hat
Kreativität unsere Art zu leben verändert. Aber trotz ihres Nutzens sollten wir
ihre Nachteile nicht übersehen. Menschliche Kreativität ist ein zweischneidiges
Schwert. Sie bietet uns Autos, Computer, GPS und schöne, tanzbare Musik wie
klassischen Tango; sie versorgt uns auch mit Betäubungsmitteln,
Massenvernichtungswaffen, High-Tech-Verbrechen und untanzbaren Geräuschen.
Kreativität
kann das Leben verbessern, wenn wir sie weise benutzen; sie kann auch das Leben
zerstören, wenn wir dummerweise denken, wir könnten tun, was wir wollen, nur um
kreativ zu sein und die Kraft der Macht außerhalb unserer Kontrolle, die uns
hervorbrachte und konditionierte, zu ignorieren – ob wir diese Kraft nun Kosmos,
Natur, Gesetz, Tao oder Gott nennen.
Tatsächlich
hat die menschliche Kreativität bereits viele Probleme für unsere Existenz
verursacht, wie die irreversiblen Schäden an unserem Heimatplaneten,
Umweltverschmutzung, Umweltkatastrophen, die Erschöpfung der natürlichen
Ressourcen, der Zusammenbruch des Ökosystems, die erstaunliche Zahl der
Todesfälle durch Autos, Drogen und Waffen, Cyber-Kriminalität, chemische,
biologische und nukleare Bedrohungen, der Zerfall der Familie, LGBTIAPK,
gleichgeschlechtliche Ehe, Toilettenstreit, Polarisierung und Versagen unserer
Regierungen usw.“
„LGBTIAPK“ steht übrigens, wie Thomas Kröter zu berichten weiß, für „Lesbian, Gay,
Bisexual, Transgender, Intersex, Asexual, Polygamous/Polyamorous, Kink“ – sprich: „Schweinkram“.
“Das ist auch der Grund, warum
einige DJs wollen, dass ihre Musikauswahl unkonventionell und neuartig ist. Sie
sammeln Lieder, die selten, abnorm, exotisch und schwer verfolgbar sind. Sie
versuchen, anders zu sein, aber achten wenig auf die Tanzbarkeit der Musik. Sie
stellen das Banner der Kreativität zur Schau und blicken auf die Klassiker
herab, obwohl die Klassiker die erprobte Quintessenz sind, die das gemeinsame
menschliche Verständnis dessen, was schön und tanzbar ist, verkörpern.
Sie ignorieren die Tatsache, dass
die Tänzer heute noch sechzig Jahre nach dem Goldenen Zeitalter den klassischen
Tango lieben, während die ‚revolutionäre' Musik, die in derselben Zeit
entstand, längst vergessen ist. Sie sind blind dafür, dass es in jeder
Generation Menschen gibt, die bleibende Klassiker und die
flüchtigen Müll geschaffen haben. Sie verstehen nicht, dass Kreativität den
besten menschlichen Interessen, Bedürfnissen und Ästhetiken dienen muss, um
einen bleibenden Wert zu haben, der im Falle des Tanzes Tanzbarkeit, nicht Absonderlichkeit
ist.
Obwohl sie Musik lieben und eine
große Anzahl von Stücken gesammelt haben, wissen sie nicht, was Tanzbarkeit
bedeutet und was nicht. Und am schlimmsten ist, dass sie in der Milonga dazu
neigen, seltene, abnormale und nicht tanzbare Lieder zu spielen, nur weil die
tanzbaren traditionell sind.
Tänzer lehnen Kreativität und Reform
nicht ab. Genau das verwirklichen wir auf der Tanzfläche. Wir freuen uns über
Herausforderungen und Innovationen, die den Tanz interessanter machen. Wir
wünschen uns aber auch Musik, die tanzbar ist. Wir möchten, dass unsere DJs die
Tanzbarkeit in ihrer Musikauswahl an erste Stelle setzen. Wir möchten, dass sie
jedes Lied von Anfang bis Ende sorgfältig anhören, um sicherzustellen, dass es
vollständig tanzbar ist, bevor es auf der Milonga gespielt wird. Wir wollen,
dass sie Musik nach den Regeln des Tanzes spielen, die Spielraum für Kreativität
bieten, aber auch Tanzbarkeit erfordern. Und wir wollen, dass sie für uns, die
Mehrheits- und Durchschnittstänzer der Milonga, spielen, nicht nur für ein paar
Eliten oder seltsame Typen.“
Nun,
darüber, was „seltsame Typen“ sind,
gehen die Meinungen wohl auseinander. Für uns Jungs war dies Ende der 60-er
Jahre der Hausmeister einer Vereinssportanlage, auf der wir nach der Schule
gerne (jedoch verbotenerweise) noch ein wenig herumbolzten. Der Mann hätte von Harald Schmidt erfunden sein können:
Kriegsversehrter mit steifem Bein und noch steiferer Nazi-Gesinnung. Wenn er
brüllend auftauchte, hieß es schnell sein, da er mit seiner Krücke durchaus auch
zuschlug. Seine Standard-Diagnose unserer Generation, die wir oft genug zu
hören kriegten, war die im Titel lautmalerische formulierte Sache mit „Gruppensex und Hippietum“.
Wer auf "Allerdings" tanzen möchte, kann üben: Metronom auf 112 bpm einstellen (liegt sogar im Bereich von "moderato"). Dieses Tempo ist (von winzigen Schwankungen abgesehen) durchgehalten. Eigentlich doch machbar?
AntwortenLöschenVielleicht sollten wir traditionellen Tänzern raten: Zuerst nur das Metronom einschalten, die Musik dann eventuell später...
Löschen(gemäss meinem unzuverlässigen Gedächtnis:) Ich hatte vor vielen Jahren mal ne entsprechende Online-Diskussion auf Tangomünchen (leider mittlerweile gelöscht), wo es darum ging, dass ein guter (Tradi-)Tänzer die Musik überhaupt nicht brauche (als Antwort auf meine sinngemässe Behauptung, dass ich für ein befriedigendes Tanzerlebnis eine entsprechende Musik bräuchte).
LöschenFür die Traditionellen würd dann ein Metronom ausreichen (für die Milonga-Tanda ein bisserl schneller eingestellt, und für die Valses mit 3-er-Takt-Markierung), oder? ;-)
Bei solchen Sprüchen, wie:
AntwortenLöschen"Diese Methoden, obwohl sie kreativ sind und neue Hörerlebnisse vermitteln können, machen den Rhythmus zu komplex und damit ungeeignet für den Tanz, der dann für moderne Musik charakteristisch wird."
möchte ich dem Autor immer ein "Sprich für die selbst, aber nicht für mich!!!" um die Ohren schlagen.
Ciao, Robert (heute ein bisserl grantig und aggressiv drauf ;-) )
Macht nichts, ich bin derzeit auch ein wenig auf dem "Kriegspfad".
LöschenJa, ich finde auch, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob man schreibt, es sei so - oder es sei aus der persönlichen Sicht so. Ich bemühe mich stets um Letzteres.
Beste Grüße
Gerhard
Nochwas: der Autor scheint tatsächlich nur auf den Rhythmus zu tanzen, und hat noch nix davon gehört, dass man auch auf die Melodie tanzen kann (und ja, das geht auch bei den guten(!) "traditionellen" Tangos!).
LöschenBeim Tango hat man ja typischerweise zwei Melodielinien (einige Neo-Tangos verlieren leider hier die Komplexität), d.h man kann sich aussuchen, ob man auf den Rhythmus (d.h. die Begleitung) oder auf Melodie 1 oder Melodie 2 tanzt. Und dass man tatsächlich unterm Tanzen da auch umsteigen kann ...
Aber der Autor schreibt doch:
Löschen"DJs sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Musik, die sie auf den Milongas spielen, für die gewöhnlichen sozialen Tänzer bestimmt ist, um zu tanzen, nicht für ein paar gut ausgebildete Personen, die ihre Fähigkeiten zeigen. Der DJ muss die Mehrheit der Tänzer im Auge behalten und nicht dem Druck einiger Weniger nachgeben.“
Und die Mehrheit kann vielleicht ihren Namen tanzen, aber keine Melodien!
Und noch ein Nachtrag: deinem Hausmeister der Vereinssportanlage ist schon längst ein Denkmal geschaffen worden als der "Hausmeister Gustav Gnöttgen" in der Sendereihe "Neues aus Stenkelfeld" vom NDR2 (und frag mich nicht, wie ich in München zu Sendereihen des NDR komm ;-) ).
AntwortenLöschenHör dir mal das an ;-) : https://www.youtube.com/watch?v=XJI53m25wj8
Super, eine gelungene Verkörperung dessen, was ich meinte!
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