Liebes Tagebuch… 50


Frage des Touristen an einen englischen Lord:
„Wie bekommt man so einen prachtvollen englischen Rasen hin?“
Dessen Antwort: „Ach, einfach dreihundert Jahre lang gießen und mähen!“

Es begab sich neulich auf einer Milonga, die uns nicht gerade durch ihre rasante und vielfältige Musikauswahl bekannt ist. Trotzdem ist es dort ganz nett, und wenn es sonst nichts Besseres gibt, fahren wir gelegentlich hin.

Es war mal wieder einer der Abende, an denen Tanzen bis in die Puppen eher nicht angesagt war – und die anwesenden Puppen waren dank der größeren Männerschar sowie umherfliegender Cabeceos genug beschäftigt.

Ich hatte also in „sozialer Hinsicht“ mal frei und konnte mich ganz den wunderbaren Tänzen mit der besten Ehefrau von allen hingeben. Insbesondere bei einer Runde mit vier (!) spritzigen Milongas ließen wir es auf halbleerer Tanzfläche ziemlich krachen. Danach genügte ein beiderseitig verschwitzter Blick: Besser wird’s nicht – also trotz der noch nicht sehr vorgerückten Stunde nix wie weg, bevor uns „Orquesta Tipica Victor“ oder dergleichen Geschrammel wieder in die reale Tangowelt zurückholte!

Doch ganz so rapide sollte der Abgang sich nicht gestalten: Gerade, als ich mir die Straßenschuhe anzog, nahte einer der anwesenden Tangueros (dessen Blicke auf unseren Milonga-Unfug mir nicht entgangen waren) und bedauerte gegenüber meiner Frau, dass er nicht sie, sondern mich sprechen wolle. Ob ich denn noch kurz Zeit hätte? Na klar, warum nicht!

„Wir kennen uns von …, und du bist ja auch ein Autor, stimmt‘s?"

„Ja, schon.“ Allmählich dämmerte mir, meinen Gesprächspartner tatsächlich schon einige Male auf anderen Milongas gesehen zu haben.

„Und da wollte ich einmal fragen, ob du das, was du grade getanzt hast, mit jeder Frau schaffst – oder doch nur mit deiner Frau, weil ihr euch schon so lange kennt.“

„Na, ich glaube, ich kann mit jeder Tanguera einen halbwegs ordentlichen Tanz hinbekommen – aber ich muss mich natürlich dem anpassen, was sie kann und möchte. Ich will ja nicht Angst und Schrecken verbreiten.“

„Und diese ganzen Sachen – also die Verdoppelungen und so – sind die dir selber eingefallen oder hast du das in Kursen gelernt?“

„In Kursen ganz bestimmt nicht. Das ergibt sich mit der Zeit, wenn man viel tanzt, da gelingt einem mal dieses oder jenes.“

„Also hat es wohl gar keinen Sinn, viel Unterricht zu nehmen? Höchstens vielleicht Privatstunden?“

„In den üblichen Gruppenkursen lernt man das Improvisieren nicht wirklich. Da geht es eher darum, etwas nachzutanzen. Einzelunterricht bei einem guten Lehrer kann einen weiter bringen. Aber das Tanzen auf Milongas ist durch nichts zu ersetzen. Jede Tänzerin hat ihren eigenen Bewegungsstil. Und man lernt, auf Missverständnisse zu reagieren. Man sollte auch versuchen, zu möglichst vielfältiger Musik zu tanzen. Nur durch Herausforderungen entwickelst du dich weiter. Bergsteigen lernt man auch nicht im Flachland.“

„Aber dann ist es doch besser, ein Musikstück genau zu kennen, damit man lernt, es richtig zu interpretieren?“

„Schon, deshalb sollte man viel Tangomusik hören, auch zu Hause. Mir persönlich hängt halt die Musik, wie man sie hier spielt, ziemlich zum Hals heraus, weil ich sie schon zu oft gehört habe und sie doch recht simpel ist. Moderne Stücke wie die von Piazzolla dagegen bieten Herausforderungen, gerade rhythmisch – und das bringt dich auf Dauer weiter.“

„O Gott, Piazzolla, diese Musik kapiere ich nicht mal beim Hören!“

„Ist mir früher auch so gegangen, aber wenn man sich drauf einlässt, entwickelt man sich weiter. Und keiner verlangt, dass anfangs alles klappt. Aber wenn es einem Spaß macht, gelingt immer mehr.“

„Ja, Spaß ist wohl das Wichtigste, oder?“

„Ja, unbedingt. Und viel tanzen.“

Ich möchte mich über meinen Gesprächspartner weder lustig machen noch gar ihn abschätzig betrachten. Für Anfänger, gerade Männer, ist der Tango alles andere als einfach. Und die seelischen Verwerfungen kennt wohl jeder, der sich durch seine ersten Jahre gekämpft hat.

Ich bin nur ziemlich verzweifelt beim Anblick eines bestimmten Tänzertyps, der weitgehend herumsitzt, starren Blicks das Treiben auf dem Parkett verfolgt und sich nach mindestens zwei Stunden endlich traut, die schlimmste Anfängerin im Saal aufzufordern. Natürlich geht das dann schief, was bei ihm die Überzeugung festigt, es nicht gebacken zu kriegen. Wieso hat der Kerl nicht beispielsweise meine Frau gefragt? Die beißt nachweislich niemand und kann vor allem auch allein tanzen. Das hätte ihm wohl ein Erfolgserlebnis beschert.

Man kann im Tango auch Erfolg haben, wenn einem die große Begabung hinsichtlich Körperkontrolle, Rhythmusgefühl und Musikalität fehlt. Ich kenne Tangueros, welche die ersten Jahre auf dem Parkett herumfielen wie Mehlsäcke. Inzwischen haben sich einige davon zu recht ordentlichen Tänzern entwickelt – in manchen Fällen sind sie heute sogar DJs, Tangolehrer oder Vorsitzende von Tangovereinen. Was sie so weit gebracht hat, ist der unbedingte Wille, aus nicht gerade reichlich vorhandenem Material das Beste zu machen: mit Hartnäckigkeit, Fleiß, der Ignorierung eigener Defizite und dem Bewusstsein, dass Erfolg im Tanz sich in Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bemisst.

Hingegen geht mit der Einstellung „ja nix Schwieriges“ und der Hoffnung auf einen „Tango light“ gar nichts. Gesucht wird ein nicht existentes Patentrezept: bitte den Pelz wasserfrei waschen…

Als ich die Idee zu diesem Artikel heute meiner Mitstreiterin Manuela Bößel schilderte, schenkte sie mir dazu das folgende (aus Datenschutzgründen leicht verfremdete) Zitat:

„Du bist doch Heilpraktikerin, oder?“

„Ja, schon.“

„Was machst du da so in deinem Beruf gegen Rheuma?“

Tja – am besten nicht kriegen!

                                                    Genug gepumpt - jetzt komm' endlich! 

P.S. Mein Artikel hat die Kollegin nun angeregt, die Sache aus therapeutischer Sicht zu beschreiben. Fazit: große Ähnlichkeiten!

 

Kommentare

  1. Wasch- und Spülmaschine übernehmen einstmals körperliche Anstrengungen, Roboter-Staubsauger und ebensolche Rasenmäher sausen von alleine in alle Ecken.
    Das Auto ersetzt (fast) jeden Fußweg, irgendwann wird es sogar ohne unser Zutun fahren.
    Kommunikation kann ohne physischen Einsatz über digitale Medien laufen, nur minimale Bewegungen von Fingern, Augen (und Gehirn?) sind dazu nötig.

    Die Natur hat uns, so gesehen, körperlich recht verschwenderisch ausgestattet. Was ist aber, wenn wir von unseren physischen Anlagen immer weniger Gebrauch machen, sie gar konstant vernachlässigen?
    Bewegungsunfähigkeit und – ungeschicklichkeit sowie die Unlust, diesem Prozess entgegenzuwirken, wachsen analog.
    Sind fehlender Elan und Mut, sich in der Bewegung, beim Tanzen, auf Neues, Experimentelles einzulassen, vielleicht Zeichen dieser allgemein gesunkenen Fähigkeit und damit Lust zur körperlichen Aktivität und zu deren konsequentem Training?

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    1. Das spielt sicher eine große Rolle!

      Ich sehe noch eine andere Ursache: Der „Coaching-Wahn“ breitet sich heute immer mehr aus – auch auf Bereiche, in denen seine Wirksamkeit äußerst begrenzt ist. Keiner bezweifelt, dass man Unterricht benötigt, wenn Häuser und Brücken gebaut werden sollen oder man in einer Mordkommission arbeiten will.

      Gerade im künstlerischen Bereich aber (und dazu zähle ich das kreative Tanzen) bleibt der Effekt von Lehrern oft viel geringer als deren Schüler meinen. Der Anteil von Autodidakten geht immer mehr zurück.

      Ich fürchte, der im Artikel zitierte Fragesteller konnte mit meinen Antworten wenig anfangen: Ja mei‘, du musst dich halt trauen und viel tanzen. Hätte ich ihm einen Lehrer empfohlen, in dessen Seminaren man „Kreativität erlernen“ kann, wäre er garantiert darauf angesprungen – vor allem, wenn ich gesagt hätte: „Da kostet ein Wochenendlehrgang zwar schlappe 785 Euro – aber wie du siehst, lohnt es sich. Und man muss sich früh anmelden, der ist meistens total ausgebucht.“

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