Hasnain Kazim: Post von Karlheinz
„Vergiss
nicht, dass dein Satz eine Tat ist.“
(Antoine
de Saint-Exupéry)
Schon
lange hat kein Buch mich mitgenommen wie dieses – ich war wütend und habe
Tränen gelacht. Satire eben, und
zwar vom Feinsten!
Der
Autor, Hasnain Kazim, ist der Sohn
indisch-pakistanischer Eltern und wuchs im ländlichen Niedersachsen auf. Nach dem
Abitur studierte er an der Universität der Bundeswehr in Hamburg
Politikwissenschaft, ist Offizier der Reserve, kandidierte kurzzeitig für die
FDP und begann eine journalistische Karriere, die ihn schließlich zum SPIEGEL
führte. Dort arbeitete er ab 2009 als Auslandskorrespondent in Islamabad und
Istambul. Da ihm die Türkei wegen seiner kritischen Artikel die weitere
Akkreditierung versagte, berichtet er nun aus Wien.
Ach
ja: Kazim besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Das nützt
ihm aber nichts. Name und Aussehen passen nicht dazu. Vor allem aber schreibt
er viel – und gar noch kritisch – über Ausländerhass und anderes völkisch-nationales
Gedankengut.
1990,
mit der Wende, ging es los: Er bekam die ersten (damals noch) Briefe mit üblen Beschimpfungen – mit steigender
Bekanntheit und digitalem Fortschritt sind es inzwischen oft tausend Mails, welche
er pro Artikel erhält: natürlich auch mit Lob und Ermutigung, vorwiegend aber wüste Pöbeleien.
Hasnain Kazim hat sich
entschlossen, dagegen anzugehen – mit der schärfsten Waffe, die ihm zur Verfügung
steht: dem Wort. „Post von Karlheinz: Wütende
Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte“ lautet der Titel seines eben erschienenen
Buches.
Den „Karlheinz“
gibt es wirklich, mit realem Namen und Anschrift: Heutzutage, so der Autor,
hätten es manche Zeitgenossen gar nicht mehr nötig, ihre rassistischen Parolen
hinter einem Pseudonym zu verstecken. Die Aufforderung „Komm du
SCHREIBERLING zu mir, dann zeige ich dir, was ein ECHTER DEUTSCHER ist!!!“ nahm der
Angeschriebene wörtlich und lud sich per Antwortmail zu Karlheinz nach Hause
ein, um den angebotenen Lernstoff zu absolvieren.
Allerdings
samt seiner (erfundenen) Großfamilie mit „Großeltern,
Eltern, Geschwister, drei Ehefrauen (die vierte konnte nicht, die liegt gerade
im Kreißsaal und kriegt unser sechstes gemeinsames Kind), acht Kindern, 17
Cousinen, 17 Cousins und 22 ihrer Kinder“. Um die Ernährung brauche sich der
Gastgeber nicht zu kümmern – man bringe drei Ziegen mit, die man im Garten
schächten und dann grillen werde. Man benötige allerdings einen Gartenschlauch,
um hernach das Grundstück zu reinigen.
Man
mag es kaum glauben, aber unter diesem Eindruck brachte Karlheinz sogar eine Entschuldigung fertig – gegenüber einem
Journalisten, den er anfangs noch als „SCHMIERFINK, der nur ANTIDEUTSCH
DENKT“ bezeichnet hatte!
Dies
beantwortet bereits eine Frage, mit welcher ich mich auch in vergleichsweise
harmlosen Tango-Biotop immer wieder abgeben muss: Was bringt es, auf solch
Gepöbel zu antworten? Sollte man derartige
Mails oder Kommentare nicht einfach wegklicken, ignorieren bzw. nach Möglichkeit sperren? Sich nicht mit
derartigem Käse belasten?
Kazims
Beispiel zeigt, was ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen kann: Doch,
man kann selbst solche Menschen gelegentlich zum Nachdenken bringen. Manche Schreiber waren sogar äußerst verblüfft,
dass man ihnen überhaupt antwortete – sie schienen das E-Mail-Postfach eines
kritischen Journalisten, der auch noch einen islamisch klingenden Namen führt,
lediglich als Müllabladeplatz für
ihren Frust zu betrachten.
Manche
Antworten des SPIEGEL-Autors klingen wie ein Coaching zum Thema Staatsbürgerkunde. Geduldig belehrt er Menschen,
die ihn als „Kanaken“ oder „Scheiß-Muselmacho“
bezeichnen, ihn raus aus Deutschland, zu seinen „Eselsfickern“ oder gleich in die Gaskammer wünschen, über
Menschenwürde, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und die Rolle der
Religionen in einer Zivilgesellschaft. Wie gesagt: manchmal sogar mit Erfolg.
Sein
Tonfall bleibt dabei meist betont
höflich und auf einem Sprachniveau,
von dem die Verfasser solch tumben Blödsinns – den sie noch dazu für „deutsch“
halten – nur träumen können. Bereits dieser Kontrast ist natürlich Satire in Reinstform. Bei der gerne
mitschwingenden feinen Ironie ergibt
sich der meiste Spaß daraus, sich vorzustellen, was derartige Teutonen mit
ihrer Restintelligenz daran nicht kapieren.
Tränentreibend
ist bereits die erste Geschichte, wo er einen Islamhasser mit Beispielen für
Frauen- und Schwulenverachtung aus dem Koran
anfüttert, was dieser natürlich begeistert aufnimmt. Umso spektakulärer dann
der Absturz, als der erfährt, dass die zitierten „Koran-Suren“ in
Wirklichkeit Stellen aus der Lutherbibel
sind: „Sie sind verlogen und
hinterhältig!!!“ Na gut, man hätte ja mal selber nachschauen können. Aber
Tatsachen verwirren manche Naturen eher…
Köstlich
auch des Autors Versuch, die von einem „Georg“
bezweifelte Tatsache zu belegen: „Beweisen
Sie, dass Sie Deutscher sind!!! Ein deutscher Pass genügt nicht!!!“
(Übrigens sind Ausrufezeichen das wichtigste Stilmittel national Empörter…) Auf
der alten Blockflöte seiner Schwiegermutter versuchte sich Kazim dann an der deutschen Nationalhymne und stellte ein
Video seiner vaterländischen Musikproduktion ins Netz: „Na gut, Georg, alte Blockflöte, hier der Beweis!“
Die
Umtriebe rechter Burschenschaften in
Österreich quittierte der Journalist mit der Ankündigung, die „Burschenschaft Pakistania zu Wien“
gründen zu wollen. Die Mensur bestünde aus dem gegenseitigen Bewerfen mit
Punschkrapfen aus einer Distanz von fünf Metern ohne Gesichtsschutz: „Ziel ist es, dem Gegner das Ding so heftig
an die Schläfe zu ballern, dass er eine Narbe davonträgt und sein Leben lang
beknackt aussieht.“ Tucholsky lässt grüßen…
Übrigens
wird Kazim ebenso von türkischen
Nationalisten angefeindet – in deren Lesart dann allerdings als „Verräter
des Islam“.
Oft
genug jedoch, so gibt der Autor zu, erreiche man Hassprediger nicht mehr mit Vernunftargumenten, Ironie oder gar
Satire. Wenn er Mails von der allerschlimmsten Sorte überhaupt beantwortet,
lässt er gelegentlich seinen Gefühlen freien Lauf und bezeichnet den
Adressaten schon mal als „Volltrottel“.
Womit? Mit Recht.
Wer
übrigens glaubt, die Justiz kümmere
sich effektiv um Aufrufe zur Gewalt, ja Morddrohungen, wird eines Besseren
belehrt. So zitiert der Autor aus einem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft, wonach der
Beschuldigte die Tat bestritten habe: Schließlich hätten auch andere Zugriff auf
sein Postfach gehabt. Dies reicht offenbar, um von weiteren Ermittlungen
abzusehen…
In
einer bemerkenswerten Mail an einen Kritiker benennt Kazim drei Ursachen für
diese Probleme:
1.
Solche
Menschen seien ungebildet. Ihnen reiche eine Schlagzeile oder ein dubioser Bericht
auf Facebook, um nicht nur eine Meinung zu haben, „sondern sie auch noch hinauszublöken.“
2.
Manche
seien unfähig, sprachlich adäquat und sachlich zu kommunizieren. Emotionen im
Griff zu halten werde als unnötig empfunden.
3.
Anderen
Menschen den Tod zu wünschen oder sich an ihrem Leid zu erfreuen, sei schlicht
ein leider nicht seltenes Charakterproblem.
Ich
werde mich wahrscheinlich fragen lassen müssen, was eine solche Buchrezension
auf einem Tangoblog zu suchen habe.
Vielleicht darf ich aber daran erinnern, dass unsere Leidenschaft einem Tanz unbegleiteter männlicher Flüchtlinge
gilt, welche durchaus öfters einmal mit dem Messer statt mit Worten kommunizierten und deren Frauenbild eher von den damals
ebenfalls importierten weiblichen Prostituierten am Rio de la Plata geprägt
war! Das sollte uns zu denken geben...
Der
Autor bezeichnet sein Buch als Experiment
– Ausgang offen. Wird er weiterhin den Dialog mit den Hasspredigern suchen oder
diese doch lieber mit einem Mausklick eliminieren? Generell zu schweigen jedoch ist für den
engagierten Journalisten keine Option:
„Ob mit oder ohne
Humor, ich bin überzeugt, dass wir nicht schweigen dürfen. Ich glaube, viele
der Hassbriefschreiber wünschen sich, dass Menschen wie ich sich aus dem
öffentlichen Diskurs verabschieden. Aber wenn wir schweigen, wenn wir diese
Leute ignorieren, beginnen wir, ihren Hass und ihre Häme zu akzeptieren. Also,
reden wir!“
Mit
dringender Leseempfehlung:
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