Bildersturm gegen Hanitzsch
„Mein Herr, ich teile
Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie
äußern dürfen.“
(Voltaire
zugeschrieben)
Der
gelernte Brauereiingenieur und Diplomkaufmann Dieter Hanitzsch zeichnet schon mehr als ein halbes Jahrhundert
Karikaturen – hauptberuflich seit 1985. Seit mehreren Jahrzehnten beliefert er
Zeitungen wie die „Süddeutsche“, die „Abendzeitung“, den „Bonner Generalanzeiger“ und die „Berliner Morgenpost“. Eine enge Zusammenarbeit bestand mit der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“
und dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt,
dessen sämtliche Bücher Hanitzsch
illustrierte. Meiner Beobachtung nach hat er nichts getan, was seine
Zugehörigkeit zum linksliberalen
Lager bezweifeln lassen könnte.
2014
erhielt er das Bundesverdienstkreuz
Erster Klasse. Bundespräsident Gauck
stellte damals fest, es sei Hanitzsch
besonders zu verdanken, „dass die
Kunstform der Karikatur wesentlich zur demokratischen Kultur in der
Bundesrepublik Deutschland“ gehöre. Er habe „der Karikatur eine wichtige politische Funktion als kritisches
Element verliehen“.
In
diesem Jahr erhielt er den „Jubiläums-Ehrenpreis
des Bayerischen Kabarettpreises“. Aus der Begründung der Jury: „Als Meister der Pointierung gelingt es Dieter Hanitzsch nicht nur, die
Abgründe der Bundes- und Landespolitik intelligent und scharfsinnig zu
kommentieren, sondern gleichzeitig die Schwere der gewonnenen Erkenntnis
mittels Humor und Leichtigkeit in Lebensfreude zu wandeln.“
Die
ganze Leichtigkeit scheint nun verflogen, und von Humor sehe ich auch nichts
mehr: Wegen einer israelkritischen
Karikatur schmiss die „Süddeutsche
Zeitung“ ihren jahrzehntelangen Mitarbeiter vor einigen Tagen raus.
Das
Machwerk im Bild:
Einer
der beiden Chefredakteure der SZ, Kurt
Kister, hat die Zeichnung vom 15.5.18 recht zutreffend beschrieben:
„Am Dienstag erschien
auf der Seite Vier eine Zeichnung unseres langjährigen Karikaturisten Dieter
Hanitzsch. Man sah eine Figurine des israelischen Premierministers Benjamin
Netanjahu, der in Pose, Gewandung und Stil an die israelische Gewinnerin des
Eurovision Song Contest (ESC) erinnerte. Der gezeichnete Mann hielt eine Rakete
in der Hand, auf einem Spruchband war ‚Eurovision Song Contest‘ zu lesen. Eine
Sprechblase kam aus dem Mund des Karikierten, die da lautete: ‚Nächstes Jahr in
Jerusalem‘. Im Gesicht des karikaturistisch Porträtierten sah man eine sehr
große Nase und eher dicke Lippen. Die Ohren waren sehr groß. Sowohl auf der
Rakete als auch auf dem Spruchband war ein Davidstern zu sehen.“
Über
die Kündigung des Künstlers lässt sich Kister
wie folgt aus:
„Und warum haben wir
uns nun von Dieter Hanitzsch getrennt? Ich will nicht aus Gesprächen zitieren,
die wir mit ihm geführt haben. Dennoch ist seine Auffassung über Stereotype und
Klischees so grundsätzlich anders als die von mir geschilderte, dass wir dies
in der Chefredaktion für höchst problematisch halten, weil es den Kernbereich
der Zusammenarbeit betrifft.“
Offenbar hatten an diesem Tag die „Kontrollmechanismen“ der Zeitung versagt: Nach einigem Hin und Her
akzeptierte der zuständige Redakteur die Karikatur, von der Chefetage war
niemand erreichbar. Diese hätte, so die nunmehrige Lesart, das Machwerk niemals
„ins Blatt gehoben“.
Was mich schon einmal mehr als verwundert: Wie viele
Jahrzehnte muss man als Künstler eigentlich für ein Presseorgan arbeiten, bis
es deren Spitzenkräften einmal einfällt, sich mit dem „Kernbereich der Zusammenarbeit“
– sprich „Stereotype und Klischees“ auseinanderzusetzen?
Oder ist der Karikaturist dort eh nur der „Witzezeichner“, mit dem sich zu befassen
unter der Würde von Premium-Journalisten
ist?
Apropos: Natürlich nahm die BILD-Zeitung die Gelegenheit gerne wahr, es den Kollegen aus
München reinzuwürgen: „Ekelhafte,
antisemitische Ausfälle!“
Da ich das Blatt nicht lese, bleibt mir nur die Hoffnung,
man habe dort kürzlich anlässlich des Dutschke-Attentats
vor 50 Jahren ähnlich kritisch über die eigene Berichterstattung referiert. Und
intellektuell anspruchsvolle Karikaturen durch das tägliche Titten-Foto zu ersetzen erscheint mir
ebenso wenig ein Markenzeichen des gehobenen Journalismus…
Verschiedenen Schreibern wie dem Historiker Michael Wolffson (für mich seit Langem
die Inkarnation des humorbefreiten Moralproduzenten) fiel sehr schnell die
treffende Parallele zwischen Dieter
Hanitzsch und Julius Streicher
ein: Solche Karikaturen hätte man eher im nationalsozialistischen Kampfblatt „Der Stürmer“ erwartet.
Über dieses Blatt
und seine Produkte kann man sich
hinlänglich informieren:
Ich bin in solchen „ästhetischen“ Fragen wahrlich kein
Experte – aber den nackten Hass und Willen zur Vernichtung einer Rasse sehe ich
bei Hanitzsch nicht im Ansatz. Und solche Veröffentlichungen würden einer
Zeitung heute schlagartig eine Anklage wegen Volksverhetzung einbringen.
Als Blogger jedoch habe ich beobachtet: Nazi-Vergleiche fallen stets dem Autor auf die Füße – man sollte
daher äußerst vorsichtig damit sein. Und wenn schon, könnte man sich daran
erinnern, dass mit der Machtergreifung 1933 eine riesige Zahl von Künstlern und
Journalisten ihren Arbeitsplatz verloren. Schon deshalb würde ich derartige
Parallelen lieber nicht ziehen…
Klar, der 85-jährige Münchner Karikaturist wird die
Kündigung materiell verschmerzen können – und er muss nicht um Freiheit und Leben
fürchten. Benjamin Netanjahu
übrigens auch nicht.
Hanitzsch hat sich in einem Interview zu der Affäre geäußert (das
man übrigens im Netz – anders als die negativen Wertungen – erst nach längerem
Suchen findet) :
„Ich wollte damit
sagen, dass Netanjahu den Sieg seiner Landsfrau Netta beim Eurovision Song
Contest missbraucht hat. Gleich nach der Veranstaltung hat er seine Glückwünsche
geäußert und angekündigt: ‚Das nächste Mal in Jerusalem.‘ Das empfinde ich als
problematisch, weil es gerade im Moment dort besonders brodelt und es muss
wirklich nicht sein, genau jetzt mithilfe des ESC noch mehr Öl ins Feuer zu
gießen. (…)
Die Darstellung von
Netanjahu war offenbar der Hauptgrund, weshalb mich die ‚Süddeutsche Zeitung‘
rausgeworfen hat. Chefredakteur Kurt Kister sagte, die Zeichnung sei typisch
antisemitisch. Da fiel in der Chefredaktion sogar derselbe Vorwurf wie bei Herrn
Wolffsohn: Das hätte auch im ‚Stürmer‘ stehen können. Das ist eine solche
unverschämte Beleidigung und kaum auszuhalten. Es ist der härteste Vorwurf, der
mir je gemacht wurde. Einen Netanjahu zu karikieren heißt, ihn nicht schöner zu
machen als er ist. Das ist der Sinn der Karikatur. Sie soll verzerren. Schauen
Sie sich doch mal an, wie andere Kollegen auf der ganzen Welt den Herrn
interpretieren. Frau Merkel wird es nebenbei bemerkt auch nicht lustig finden,
wie ich sie zeichne.“
Hanitzsch gibt zu, dass diese
Karikatur „nicht zu seinen Glanzstücken“
zähle. Da muss ich ihm Recht geben. Spätestens beim Davidstern hätte sich mir
die Feder gesträubt. Aber darum geht es nicht – sondern um die Freiheit der Kunst.
Der Kabarettist Vince
Ebert zeichnete in einem seiner Programme ein ziemlich doofes Gesicht und
bot dann den Zuschauern den Stift an: „Wer
von Ihnen schreibt jetzt ‚Mohammed‘ darunter?“
Offenbar ist es halt nicht egal, wen man karikiert… und genau dies ist das Fatale: Inzwischen
scheint es zu reichen, wenn irgendeine Seite ein künstlerisches Werk für geschmacklos
bis skandalös hält – und schon gerät der Urheber in den Verdacht, etwas „Verbotenes“ getan zu haben. Hat er
nicht! Und bei „Dauerempörten" wie denen im Nahen Osten werden stets beide Seiten aufheulen – je nach Sachlage jubelnd oder zutiefst beleidigt. Kann der politische Karikaturist etwas dafür, dass es Regionen auf dieser Welt gibt, wo die physische Vernichtung des Andersdenkenden für eine adäquate Umgangsform gehalten wird?
Und was die viel beschworene „besondere Verantwortung“ der Deutschen gegenüber Israel betrifft – die sehe ich durchaus,
aber vielleicht in etwas anderer Weise: Der Rausschmiss von Hanitzsch ist doch
Wasser auf die Mühlen von denjenigen, die längst behaupten, in unserer „linksversifften“
Gesellschaft dürfe der aufrechte Deutsche dies oder jenes „nicht mehr sagen“! Der
beklagenswerte Antisemitismus (der
den Zusammenbruch des Dritten Reichs 1945 übrigens ziemlich unbeschadet
überstanden hat) wird durch solche Aktionen eher angestachelt.
Ich bin jedenfalls für beides: Die Zeitzeugen (so lange
sie noch leben) weiterhin in die Schulen zu schicken, damit der jungen
Generation die Gräuel der Naziherrschaft
bewusst werden und bleiben – gleichzeitig aber zu demonstrieren, dass in
unserer immerhin recht stabilen Demokratie die Meinungs- und Kunstfreiheit zu den unabänderlichen Grundrechten
gehört. Und zwar (natürlich in den strafrechtlichen Grenzen) ohne Ansehen von Person und Thema!
Neulich schrieb mir eine Kommentatorin: „Ganz abgesehen davon leben wir im 21. Jahrhundert, wo das
Lustigmachen über körperliche Merkmale keinen Platz haben sollte. Ob Sie damit
eine reale Person meinen oder nicht, ist dabei unerheblich.“
P.S. Inzwischen hat der Deutsche Presserat die Beschwerden gegen die Karikatur zurückgewiesen: Sie sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Diese Meldung erschien in den Zeitungen eher klein und unter "ferner liefen"...
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