Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 6
Der erste Gastbeitrag
zu diesem Thema von Manuela Bößel
hat – was mich nicht wundert – sehr großes Interesse gefunden:
Daher freue ich mich
besonders, dass sie die Zeit für eine schon angekündigte Fortsetzung gefunden
hat. Auch diesmal werden wir die Beiträge wieder synchron auf beiden Blogs veröffentlichen.
Ihrer (natürlich viel schöner mit Illustration und Links) findet sich hier:
Ich glaube nicht,
dass sich ein Tangolehrer schon einmal mit der Rolle des Kiefergelenks oder der
Zunge beim Tanzen beschäftigt hat. Dies macht Manuelas Texte so wertvoll (und
das Ganze ist – im Gegensatz zu einem Workshop – sogar kostenlos)! Und das
Allerschönste: Man muss nicht mal Tango tanzen, um Nutzen aus ihren Ratschlägen
zu ziehen.
Daher: Gerhards Tango-Report proudly presents…
Manuela Bößel: Pimp
dein Gestell ganz schnell - Teil 2: deinen Nacken befreien
Im ersten
Teil von „Pimp dein Gestell ganz schnell" hast du gelernt, dich
ganz entspannt aus dem Becken heraus aufzurichten:
Deine Achse
befindet sich dort, wo sie dir am besten nutzt – dein Damm liegt
unter deinem Herzen.
Dein Hinterteil
muss keine Nüsse mehr knacken, sondern darf sich locker und
differenziert seinen Aufgaben widmen.
Die queren
und tiefen Bauchmuskeln tun nun ihre Arbeit und entlasten so ihre Sixpack-Brüder.
Die dürfen ihre Anspannung reduzieren und lassen dir Raum zum
Atmen.
Nachdem du
nun einige feine Möglichkeiten kennst, deine goldene Mitte für's
Tangotanzen (oder Aktionen deiner Wahl) schnell sortiert zu bekommen,
begeben wir uns in deinem Körper eine Etage höher: zu Nacken, Schultern und
Kiefer.
Ein steifer
Nacken, kombiniert mit starren Schultern und Knirschekiefern, kann nicht nur
schmerzhaft unser Bewegungsausmaß einschränken sowie die Laune vermiesen,
sondern blockiert auch empfindlich Denk- und Tanzfluss. Lästig!
Deshalb
präsentiere ich dir in dieser Folge 4 einfache Übungen, um Verspannungen
in jenem Bereich vorzubeugen und fix loszuwerden.
Vorübung:
Schlüpfe in deinen Körper hinein!
Schon auf
der Fahrt zur Milonga (oder wohin auch immer) kannst du damit beginnen, deinen Körper
auf's Tanzen (oder was auch immer) vorzubereiten:
Für heute
schlage ich einen Existenzialistenrolli vor, schwarz oder rosa, wie's
beliebt. Einen dieser stets etwas zu engen, wie früher.
Schlüpfe mit deiner Aufmerksamkeit in deinen
Oberkörper hinein wie in dieses Kleidungstück.
Zuerst in
die Ärmel, einen nach dem anderen.
Dann spüre,
wie erst dein Kopf, Scheitel voran, anschließend Gesicht und Genick
durch den Rollkragen hindurchgleiten.
Fühle, wie
der Stoff an deiner Haut anliegt. Vielleicht magst du noch einen Schal umlegen?
Fülle einen Fingerhandschuh mit
dem Gefühl deiner Hände.
Spüre die Vibrationen
und die Temperatur/Oberfläche/etc. des Lenkrads oder der Haltestange in
der Tram.
Zweck der
Übung: Du kannst nur gut bewegen, was du gut spürst.
1. Schultern
fallen lassen!
Der gebellte
Befehl „Brust raus! Schultern zurück!" gehört auf den Kasernenhof –
vielleicht adäquat, um ein Staatsoberhaupt hübsch militärisch aufgereiht zu
begrüßen, aber für den Alltag oder gar Tangotanzen taugt diese Haltung gar
nicht.
Die Schultern
möchten einfach locker dem Brustkorb aufliegen und sich dort bewegen,
damit die Verlängerungen (vulgo Arme) von ihrer Verbindung zum Rumpf aus
ungebremst agieren können.
Ja, ich
weiß, folgende Übung kennt wahrscheinlich jeder: Altbekannt, aber höchst
wertvoll – gerade, weil sie so simpel daherkommt.
Vorher: Damm
unter's Herz, Hintern locker, Bauchatmung freischalten (siehe Teil 1)
Ziehe im
Stehen oder Sitzen deine Schultern hoch zu den Ohren.
Die Arme
hängen völlig unbeteiligt herab wie bei einer Marionette. (Armstützen am
Schreibtischstuhl stören dabei. Stell dich einfach kurz hin.)
Dann lass
deine Schultern einfach fallen. Nutze die Schwerkraft. Das
Gewicht deiner Arme hilft dir dabei. Zur Effektverstärkung kannst du einfach
Milchtüten, Mineralwasserflaschen oder schwere Bücher in die Hände nehmen.
Darfst das Fallenlassen auch onomatopoetisch unterstützen mit „Bumpf!", „Padauz!",
„Klonk!" oder dir einen Ton oder Geräusch aussuchen.
Mach das ein
paar Mal.
Dein Schultergürtel
wird – vorausgesetzt, du hast deine Mitte gut ausgerichtet – genau dahin fallen,
wo er hingehört!
Im Stehen
mit leicht angebeugten Knien pflanzt sich die Erschütterung bis in die
Fingerspitzen und Füße fort. Die Schulterlandung purzelt durch dich hindurch.
Beobachte
dich im Alltag
und beim Tanzen.
Wenn du
merkst, dass eine oder beide Schultern Computermaus- oder
Tanzpartnerarm-induziert an den Ohrwatscheln kleben: Fallenlassen! „Klonk!"
Oben
Hinauflangen und die Schultern locker unten Lassen geht wirklich! Eine sehr
bequeme Art, sich zu recken. Ob du diese neue Bewegungsmöglichkeit nutzt, um
mit einem viel größeren Partner eng zu tanzen oder endlich das obere
Schrankregal zu entrümpeln, bleibt dir überlassen.
Zweck der
Übung: Sind deine Schultern biomechanisch passend ausgerichtet, müssen andere
Körperteile nicht gegenziehen. Das sichert deine Achse. Rücken und Arme dürfen
entspannen und energiesparend arbeiten.
2.
Zähneklappern!
Zähne sind
zum Beißen da. Die nötige Kraft dafür liefern die Kaumuskeln - wahre
Superhelden, die vom Unterkiefer bis über die Schläfen hinaus reichen. Zum
Kauen ist aber höchste Präzision nötig, damit die Zahnreihen sauber aufeinander
treffen und diese enorme Energie auf die harte Nuss, die du knacken
willst, übertragen können. Da muss ganz genau justiert werden! Nur dann
wird die Nuss zu Brei.
Manchmal
geht die korrekte Einstellung aber leider daneben:
Die
Kiefermuskeln arbeiten dann auf der einen Seite mehr als auf der anderen,
werden in Folge verkrampft beleidigt. Unsere Superhelden sind mit der Haltemuskulatur
für den (doch oft recht schweren) Kopf verknüpft und ziehen selbige in
Mitleidenschaft.
Bleibt
dieser einseitig angespannte Zustand eine Zeitlang bestehen, kommen
zwangsläufig Halswirbelsäule samt Kopf in Schieflage. Ein Auge
sitzt dann einfach ein bissel höher als das andere.
Für unsere
raumorientierende, balancezuständige Bewegungszentrale ein Fiasko! „Augen
verschieden hoch" geht gar nicht! „Pupillen in einer Ebene" hat
höchste Priorität und wird einfach mit entsprechenden Regulationsanspannungen
in Rücken und Nacken kompensiert.
Vielleicht
passt der Biss nicht optimal? Winzige Abweichungen genügen in manchen Fällen,
um eine Dysbalance einzurichten. Das erkennen mittlerweile auch schon einige
Zahnärzte und behandeln die sogenannte CMD: craniomandibuläre Dysfunktion.
Falls du unter dauerhaften, hartnäckigen Nackenproblemen leidest, die trotz
Physiotherapie und fleißigem Üben nicht weichen möchten, wäre ein
Zahnarztbesuch eine gute Idee.
Oder hast du
einfach nur schief geschlafen?
Auf der Seite, mit einer Hand unter der Wange?
Den ganzen
Tag in einen schräg seitlich platzierten Monitor gestarrt und wegen des
Arbeitspensums die Zähne zusammengebissen?
Die Kiefer „einfach
mal so" locker zu lassen ist schwierig. Sie sind schließlich zum Zubeißen
da. So drehen wir den Entspannungsspieß einfach um und lassen sie ein wenig
werkeln:
Zähneklappern beschäftigt und besänftigt
die kraftstrotzenden Gesellen.
Klappern
gehört zum Handwerk. Es bringt das Gefühl für An- bzw. Entspannung im Kiefer
zurück. Wirkt auch, wenn du bei Bedarf ganz heimlich, fast tonlos klapperst.
Oder übe nur, wenn du alleine mit deinen Zähnen bist.
Beobachte
dich im Alltag: Wann beißt du die Zähne zusammen?
Auf welchen
Ärgersorgen kaust du denn gerade herum? Oder fühlst du dich gezwungen, die
Zähne zusammenzubeißen?
Sobald dir
das bewusst wird, einfach klappern.
Zweck der
Übung: Reguliert den Tonus der Kaumuskeln. Löst Verspannungen in Kiefer,
Nacken, Rücken.
3. Die Zunge
ans Gaumendach schmiegen lassen
Deine Zunge
hat so viele verschiedene Aufgaben: derbleckendes Rausstrecken,
Schmecken, Schlucken einleiten, Schnalzen und andere Töne produzieren helfen
(Sprechen). Ihre Beteiligung bei so manchem Kuss und seinen Folgen ist auch
nicht zu vernachlässigen.
Was dir
vielleicht nicht bewusst ist: Deine Zunge hat einen Lieblingsplatz
in deinem Mund. Dort möcht' sie sich ausruhen zwischen ihren zahlreichen
Aktionen. Dann dürfen auch ihre Steuerungsmuskeln, die reflektorisch und
physisch mittels Muskelkette bis zum Steißbein verlinkt sind, mal entspannen.
Das geht
aber nur, wenn du sie in ihr angestammtes Bett kuscheln lässt:
Idealerweise
schmiegt sie sich mit ihrer Oberfläche an den Gaumen.
Die
Zungenspitze liegt lässig kurz hinter den oberen Schneidezähnen.
Zwischen den
oberen und unteren Zähnen bleibt ein Spalt.
Beobachte
dich im Alltag: Wo befindet sich deine Zunge, wenn sie nicht gebraucht wird?
Verkrampfelt im Unterkiefer? Auf dem Mundboden wie ein gestrandetes Boot? Oder
hochzufrieden ans Gaumendach geschmiegt?
Keine Sorge: Beim Tanzen oder anderen
Aktivitäten, bei denen dein Beckenboden aktiv wird, könnte dein Zunge
anfangen, in ihrem Bett zu zappeln. Die Zungenspitze wird sich
vielleicht mal kurz an die Innenseite der Schneidezähne pressen. Das ist
normal.
Schuld an
der gegenseitigen Beeinflussung ist eine Muskelkette, die vom Steißbein
über den Beckenboden nach vorne zum Schambein zieht. Weiter geht es mit den
geraden Bauchmuskeln (unseren Sixpack-Brüdern) nach oben. Kurz unterbrochen vom
Brustbein zieht die Kette am Hals entlang nach oben und dockt am Mundboden an.
Zweck der
Übung: Lockert die oben genannte Muskelkette.
4. Lächle!
Probier's
aus!
Wann und so
oft du willst, da nebenwirkungsfrei!
Dann weißt
du, was ich meine ;)
Mehr sog i
net.
... Zusammenfassung:
aus Teil 1:
Damm unter's
Herz
Hintern
lockern
Sixpack
lockern, atmen
Schultern
fallen lassen
Zähne
klappern
Zunge an's
Gaumendach schmiegen lassen
Lächeln
...
Fortsetzung folgt!
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Also, besonders gespannt bin ich auf
Katze und Waschmaschine…
Wir werden es ja demnächst lesen.
Für heute herzlichen Dank!
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