Das darf die Satire!
„Zensur besteht aus Frechheit und Angst.“
(Kurt Tucholsky)
Tucholsky
hätte es von Anfang an gewusst. Spätestens seit heute ist hoffentlich den
meisten klar, dass es hierzulande nicht ganz einfach ist, Satiriker zu
verurteilen, gar hinter Gitter zu bringen (ob wegen „normaler“ Beleidigung nach
§ 185 StGB oder wegen „Majestätsbeleidigung" nach § 103):
Hinter
schwedischen Gardinen sahen ja die (nicht nur in der Türkei beheimateten) Vertreter
der Humorfreiheit bereits den Harald-Schmidt-Nachfahren Jan Böhmermann. Der
Grund: Der TV-Satiriker hatte im „NEO
Magazin Royale“ des ZDF am 31.3.16 ein „Schmähgedicht“ über den türkischen
Präsidenten Erdogan verlesen – freilich mit der satirischen Einkleidung, die darin
enthaltenen, absurden und gossenhaften Beleidigungen dürfe man auf keinen Fall
äußern.
In
der Folge ging eine vierstellige Zahl von Strafanzeigen ein, unter anderem auch
die des „Beleidigten“ selber. In einer Verbalnote an die Bundesregierung forderte
die türkische Regierung am 7.4.16 die Strafverfolgung des Moderators.
Auch
die Bundeskanzlerin ließ via Pressesprecher erklären, man sei sich mit der
Türkei einig, dass es sich um einen „bewusst
verletzenden Text“ handle (was Frau Merkel
später öffentlich bereute). Am 11.4.16 ermächtigte sie die Staatsanwaltschaft
zu Ermittlungen wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer
Staaten.
Auch
beim ZDF breitete sich Achselnässe aus: Programmdirektor Norbert Himmler betonte, man habe zwar bei „Satireformaten breite Schultern", aber es gebe auch „Grenzen der Ironie und der Satire. In
diesem Fall wurden sie klar überschritten."
Man
bewirkte die Löschung der Fernsehaufzeichnung in der eigenen Mediathek und auf
YouTube.
Heute
hat nun die Staatsanwaltschaft Mainz
– mit Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts –
das Ermittlungsverfahren eingestellt.
Aus
der Begründung:
„Nach dem Ergebnis
der Ermittlungen waren strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen
Sicherheit nachzuweisen. (…) Nach dem Ergebnis der Ermittlungen wird sich der
Tatnachweis eines Beleidigungsdeliktes nach §§ 103, 185 Strafgesetzbuch –
insbesondere hinsichtlich der inneren Tatseite, also des erforderlichen
Vorsatzes – nicht mit dem für eine strafgerichtliche Verurteilung
erforderlichen Maß an Gewissheit führen lassen.
Es ist bereits
fraglich, ob der objektive Tatbestand eines Beleidigungsdeliktes nach §§ 103,
185 Strafgesetzbuch in rechtswidriger Weise erfüllt ist. Dagegen könnte bereits
sprechen, dass der Beitrag vom 31. März 2016 als Beispiel für eine
Überschreitung der Meinungsfreiheit dienen sollte und daher weder ausdrücklich
eine Ansicht des Beschuldigten im Hinblick auf persönliche Eigenschaften des
türkischen Staatspräsidenten wiedergeben noch - wenn auch überzogene satirische
- Zuweisungen enthalten sollte.
Zudem fehlt es bei
Karikatur oder Satire am Merkmal der Beleidigung, wenn die Überzeichnung
menschlicher Schwächen eine ernsthafte Herabwürdigung der Person nicht enthält.
(…)
Dass mit einem
Kunstwerk eine bestimmte Meinung zum Ausdruck gebracht wird, nimmt ihm nicht
die Eigenschaft als Kunstwerk. Der in Rede stehende Beitrag dürfte als
satirische Darbietung diesen Anforderungen genügen. (…)
Ferner findet sich in
dem Text des so genannten ‚Schmähgedichts‘ selbst eine geradezu absurde
Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ
bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen, denen jeder Bezug zu
tatsächlichen Gegebenheiten – offensichtlich beabsichtigt – fehlt.“
Hier
der Originaltext:
Am
2. November soll noch eine zivilrechtliche Klage Erdogans gegen Böhmermann in
Hamburg vor Gericht kommen. Das Landgericht Hamburg hatte eine
einstweilige Verfügung erlassen, nach der ein Großteil des Werkes nicht
weiterverbreitet werden darf.
Ob
sich diese nach der Beurteilung der Staatsanwaltschaft noch halten lässt, ist zu
bezweifeln.
Was
mich besonders amüsiert:
Ein
gewisser Cassiel hatte ja schon
öffentlich den Verdacht geäußert, auch gewisse Äußerungen von mir seien von der
Meinungs- und Kunstfreiheit des Grundgesetzes nicht mehr gedeckt. Nun weiß ich
nicht, wo der Herr seinen Wohnsitz hat – ich jedenfalls lebe in Deutschland und
nicht in einem Staat, in der man mit solchen Unterstellungen bei der Justiz
vielleicht Erfolg hätte.
Scherzhaft
habe ich mich einmal auf einem Foto als „Tango-Böhmermann“
bezeichnen lassen: http://milongafuehrer.blogspot.de/2016/05/doppel-selfie.html
Seine Antwort kam prompt: „Dein Selbstvergleich mit Jan Böhmermann ist in meinen Augen hart
an der Grenze zur Peinlichkeit.“
Ah
ja – sonst natürlich nix…
Was mich allerdings weiterhin bedrückt: Auch in unserem Land gibt es Kreise, die offenbar mit hängender Zunge darauf warten, dass unangepasste Stänkerer mal so richtg eins auf die Glocke kriegen. Tröstlich bleibt, dass sie sich wohl noch etwas gedulden müssen...
Was mich allerdings weiterhin bedrückt: Auch in unserem Land gibt es Kreise, die offenbar mit hängender Zunge darauf warten, dass unangepasste Stänkerer mal so richtg eins auf die Glocke kriegen. Tröstlich bleibt, dass sie sich wohl noch etwas gedulden müssen...
Einer
Dame aus dem Theresa Faus-Dunstkreis meinte neulich, mein Rumgemecker sei ja nicht zum Aushalten. Doch, das wird man in einem
freiheitlichen Staat müssen – ebenso wie das von Böhmermann. Ich habe der nicht
am Pluralismus Leidenden damals den Satz einer berühmten Sozialistin ins
Poesiealbum diktiert, die zeitlebens gegen Betonköpfigkeit kämpfte – ob links
oder rechts.
Ich
freue mich, dass Susanne Spröer, einer
Autorin der Deutschen Welle, in ihrem
Kommentar tagesaktuell genau dieser Satz einfiel:
„Auch die
Staatsanwaltschaft hat das so gesehen und sich mit ihrer Entscheidung klar auf
die Seite der Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland gestellt.
Und das ist gut so.
Denn auch geschmacklose Satire bleibt Satire – und ist in Deutschland nicht
strafbar. Anders als in der Türkei, wo Präsident Erdogan Journalisten, Künstler
und jegliche Regime-Gegner mit harter Hand verfolgt und von Meinungsfreiheit
mittlerweile keine Rede mehr sein kann – wie ja auch die Deutsche Welle
kürzlich erlebt hat. (…)
Die Entscheidung der
Mainzer Staatsanwaltschaft ist ein wichtiges Signal an die Despoten der Welt.
In Deutschland halten wir ein weites Spektrum von Meinungen und künstlerischer
Freiheit aus, auch wenn sie uns persönlich nicht unbedingt gefallen (wie mir
die Formulierungen des ‚Schmähgedichts‘). Um es mit Rosa Luxemburg zu sagen: ‚Freiheit
ist immer die Freiheit der Andersdenkenden‘. Das ist es, was unsere Demokratie
ausmacht.“
Und hier die Stellungnahme von Jan Böhmermann vom 5.10.16 - das Schlusslied ist übrigens eine Hommage an Monty Python! Es stammt aus dem Film „Life of Brian": „Always look on the bright side of life" ist der Schlusstitel zur „Kreuzigungsszene". Kostprobe:
“For life is quite absurd
And death’s the final word
You must always face the curtain with a bow.
Forget about your sin – give the audience a grin
Enjoy it – it is your last chance anyhow.”
And death’s the final word
You must always face the curtain with a bow.
Forget about your sin – give the audience a grin
Enjoy it – it is your last chance anyhow.”
“Denn das Leben ist
absurd,
und der Tod hat’s letzte
Wort.
Verbeug‘ dich daher,
wenn der Vorhang fällt.
Vergiss nur deine
Sünden – gib dem Publikum ein Grinsen!
Genieß es, das ist alles, was dir bleibt.“
Kommentare
Kommentar veröffentlichen