Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 5
Ich hatte wirklich
nicht erwartet, dass so schnell derartig viele Artikel zusammen kommen – wie schön!
Noch toller finde ich die unterschiedlichen Blickwinkel, aus denen die
einzelnen Autoren schreiben. Da ist hoffentlich für jeden etwas dabei.
Heute ist Manuela Bößel dran. Natürlich hat sie
sich als Heilpraktikerin eines ihrer Lieblingsthemen ausgesucht: Die
Zusammenhänge im menschlichen Bewegungsapparat – wobei sie nachdrücklich für
Entspannung plädiert.
Ich kann ihr da nur
zustimmen: Was ich beim Tango an Verkrampfungen körperlicher und seelischer Art
kennengelernt habe, übertrifft jeden Exerzierplatz!
Noch etwas ist neu:
Dieser Beitrag erscheint zeitgleich (wegen unserer doch etwas unterschiedlichen „Kundschaft") auf beiden Blogs – auf ihrem natürlich mit
schönerem Layout und bebildert.
Genug der Vorrede –
das Wort hat nun…
Manuela Bößel: Pimp
dein Gestell ganz schnell - Teil 1: Deine Mitte
Was ich bei
fast allen meinen Tanzlehrern – auch denen aus anderen Bereichen -
vermisst habe, sind ganz pragmatische, funktionierende, schnell umsetzbare
Tipps für eine gute Haltung: auf gut Neudeutsch life hacks.
Manche der
anno dazumal doch erhaltenen Ratschläge sind einfach biomechanischer Quatsch!
Und etliche dieser Mythen halten sich bis heute und stören so manchen
Tangofluss empfindlich.
Tango ist
eine sinnliche Sach'! Er findet im Körper statt, nicht im Hirn. Denn selbiges kann (vielleicht
sogar hervorragend) denken, aber nicht fühlen. Und Tango tanzen schon gar
nicht. Dein Gestell reguliert deine Bewegungen selber. Vorausgesetzt, du lässt
das zu, anstatt deine Schaltzentrale für „coole Moves" mit
siebenundachtzig Korrekturanweisungen zu überfluten.
Tango ist,
dem Himmel sei Dank, ein Tanz, der mit recht organischen, physiologischen
Bewegungsmustern auskommt. Das Praktische daran ist, dass du die folgenden
Pimp-Vorschläge in deinen ganz normalen Alltag integrieren kannst.
Die
Pimpungen wirken u.a. über Sensomotorik, Stellreflexe und Aktivierung von
Muskelketten. Trotzdem erfordern sie Übung, bis sie dir in Fleisch und Blut
übergegangen sind und zur sofortigen Nutzung bereitliegen. Je öfter du im
Alltag „trainierst", umso schneller werden sie sich etablieren.
Bis die
alten, spannungsgeprägten Haltungsmuster komplett durch die neuen, entspannten
ersetzt sind, kann sich dein Körper eine Zeitlang eigenartig oder sogar schlaff
anfühlen. Das ist ganz normal beim Umlernen. Hab Geduld. Übe einfach weiter. Im
Vertrauen: Entspanntes Tanzen fühlt sich fantastisch an! Wenn sich dein Körper
so bewegen darf, wie er konzipiert wurde – nicht mehr gegen hirninduzierte
Kontrollspannungen kämpfen muss – wird der Tango zu einem hochsinnlichen
Erlebnis. Versprochen!
Nutze dein
gepimptes Gestell, wo und wann du willst! Ich bin dir gewiss nicht gram, wenn
du mit Tango nix am Hut hast und die Vorschläge für tangoferne Aktivitäten
verwendest, z.B. in der Arbeit, beim sonntäglichen Verwandtenspaziergang,
Tennisspielen oder Kartoffelschälen. Ersetze dann einfach „Tango" durch
deine Lieblingsaktivität.
Los geht's!
Vorübung:
Schlüpfe in deinem Körper hinein!
Schon auf
der Fahrt zur Milonga (oder wohin auch immer) kannst du damit beginnen, deinen
Körper auf's Tanzen (oder was auch immer) vorzubereiten: Schlüpfe mit deiner
Aufmerksamkeit in deine Arme und Beine hinein wie in eine Strumpfhose bzw.
lange Handschuhe. (An den Herrn der Schöpfung: Keiner sieht deine
Robin Hood-Spielhöschen, die sind doch unsichtbar.)
Spüre mit
deinem Allerwertesten und tief im Bauch die Vibrationen des Motors. Ein
alter Karren ist da natürlich von Vorteil.
Zweck der
Übung: Du kannst nur gut bewegen, was du gut spürst.
1. Die
Achse: Bringe deinen Damm unter dein Herz!
Der Damm
(Perineum) ist die geheime Stelle am Beckenboden vor dem Hinterausgang. Falls
du den Damm nicht oder nur schwer spürend orten kannst, hilf deiner inneren
Landkarte in einem ruhigen Alleinsamkeitsmoment mit Berührung.
Beim Herz
meine ich den Teil, der hinter dem Brustbein bumpert.
Ganz simpel:
Damm unters Herz und unter allen Umständen beim Tanzen dort lassen!
Die Verbindungslinie
zwischen Herz und Damm zeichnet deine Achse. Verlängere sie nach Belieben bis
tief in den Boden hinein oder in den Himmel hinauf. Darfst sie auch an einem
Glitzersternle anbinden. (Mit Raumschiffen wäre ich allerdings vorsichtig.)
Oder Feuer aus dem Erdinneren tanken.
Zweck der
Übung: Klärt deine Haltung – für dich und deinen Tanzpartner. Verleiht deiner
Basis – dem Beckenboden – einen passenden Tonus. Verbessert Aufrichtung und
Balance.
2. Lockere
deinen Hintern!
Darf ich
vorstellen: Musculus gluteus maximus (großer Gesäßmuskel)!
Laut
Stellenbeschreibung liegt eine seiner Hauptaufgaben in der Hüftstreckung. Das
macht er gut. Bleibt er aber bei sonstigen Aktionen in Beinen und Hüfte
dauerangespannt, behindert unser Kraftmeier das Bewegungsausmaß in diesem
Bereich (erfahrungsgemäß eine Lieblingsverspannung der Männer). Er zwingt dann
sogar seine gegen- und mitspielenden Muskelbrüder zu erhöhtem Energieaufwand.
Beinmuskulatur, Hüfte und Rücken müssen biomechanisch ungünstig arbeiten und
verlieren an Tempo in der Impulsumsetzung. Bleibt das eine Zeitlang so, lassen
Rücken- respektive Hüftschmerzen nicht lange auf sich warten.
Besonders
gut fühlbar ist diese Situation, wenn du versuchst, mit verkrampftem Hinterteil
in die Hocke zu gehen oder dich abzusetzen.
Ist unser MG
Maximus schon in Ruhe zu 80 Prozent angespannt, bleiben ihm nur noch 20 Prozent
zum Kraft-Maximum. Mehr Anspannung auf einen eh schon angespannten Muskel
draufstapeln ist schwierig! Darf er dagegen ein bissele lockerer sein, wenn du ihn
nicht oder nur wenig brauchst, hat er weit mehr Kraftpotenzial zur
differenzierten, schnellen Anpassung zur Verfügung.
Beobachte im
Alltag und beim Tango, in welchen Situationen du deinen Hintern über die Maßen
anspannst. Lass locker! Gib der Balletteuse ihr sagenumwobenes 5-Mark-Stück,
das sie zwischen ihren Pobacken eingezwickt umherträgt, und schick sie damit
zum Eisessen.
Zweck der
Übung: Befreit Hüften und Beine. Ermöglicht schnelle, differenzierte Aktionen
3. Öffne
dein Korsett und atme!
Die geraden
Bauchmuskeln – vorne am Rumpf Schambein und Brustbein verbindend – sind auf
keinen Fall die alleinseligmachenden Haltungsaufbauer. Wie auch? Ihr Hauptjob
besteht darin, den Rumpf zu beugen.
Im Stehen
kippen sie das Becken, indem sie dein Schambein Richtung Kinn ziehen.
Beide
Möglichkeiten scheinen mir für eine aufrechte Haltung sinnlos.
Eine
knackige Dauerspannung im Sixpack-Geschwader zu halten ist unnötig! Brettlhart
angespannt bremst es die Atmung aus. Das macht missmutig und bewirkt weitere Verspannungen.
Wie willst du dann so locker-flockig-fröhlich tanzen?
Hältst du
deinen Beckengürtel mit dem oben beschriebenen Achsenaufbau im richtigen
Kippwinkel und ihm angestammten Platz unter deinem Brustkorb, beginnen auch
Beckenboden und die anderen Bauchmuskeln lässig ihre Arbeit. In der Tiefe
verbinden sie Wirbelsäule bzw. Becken mit den Oberschenkelknochen. Die
Querfraktion hält Rippen und Becken zusammen, am Unterbauch die beiden
Darmbeinschaufeln. Das reicht doch! Wie ein feines Stützmieder (Nierengurt) mit
Atemöffnung rund um den Bauchnabel.
Zweck der
Übung: Eine leichter, angepasster Tonus in den geraden Bauchmuskeln erleichtert
die Atmung und die dringend benötigte Drehung in der Brustwirbelsäule enorm –
bei Ochos oder beim rückwärts Einparken.
...
Fortsetzung folgt!
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Wie du deine
Füße für eine gute Haltung einsetzen kannst
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Was die Lage
deiner Zunge im Mund, Knirschekiefer und ein Lächeln mit Balance zu tun haben
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Warum du hin
und wieder ein Kind oder eine Katze ausleihen solltest, um schneller zu werden
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