Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 7
Meine „Co-Autoren“ sind wirklich sehr
produktiv! Heute erreichte mich von Peter
Ripota ein neuer Text, den ich sehr gerne veröffentliche.
Stamm-Lesern wird auffallen, dass ich
zum selben Thema in dieser Serie auch schon einen Beitrag verfasst habe:
Aber das macht nichts. Erstens ist die
Kommunikation im Paar einer der wichtigsten Aspekte des Tanzes, und zweitens
wird gerade an diesem Beispiel deutlich, dass die verschiedenen Schreiber keine
deckungsgleichen Standpunkte vertreten. Wie schön – wir sind ja keine Ideologen…
Daher übergebe ich das Wort nun sehr
gerne an…
Peter Ripota: Die Führung im Tango
Im
Deutschen und im Spanischen („la marca") ist Führung etwas Weibliches -
das sollte uns zu denken geben. Führen heißt auch nicht, einen Kartoffelsack
vor sich her zu schleifen. Darum meine Bitte an die Herren: Nicht mit den Armen
rudern! Geführt wird mit dem Oberkörper, niemals mit den Armen. Führen heißt: Einen
Dialog führen, bei dem der Führende – im Folgenden „Mann“ genannt – Impulse
setzt, also den Dialog beginnt. Das erfordert viel Energieaufwand (nicht
unbedingt Kraft!): Der Mann muss sich auf die Musik konzentrieren, auf das, was
er als Nächstes machen will, auf seine Schritte, auf seine Partnerin, und auch
auf seine Umgebung. Ziemlich viel auf einmal.
Deswegen
eine Bitte an die Damen: Seid nicht zu streng zu den Herren, sie haben's
wirklich schwer. Wie der Anfänger beim Autofahren, wenngleich der Tango nicht
ganz so gefährlich ist. Jedenfalls nicht körperlich, seelisch schon.
Der
Führende muss alles genau im Voraus wissen und dennoch spontan aus dem
Augenblick heraus agieren – keine leichte Aufgabe. Die Männer scheinen auch
Probleme mit der Festigkeit der Führung zu haben. Manche (besonders die, welche
gerade aus Buenos Aires kamen) halten die Damen unerbittlich in einem Stahl-
oder Betongriff fest und erlauben keinerlei Eigenständigkeit. Andere machen das
Gegenteil: Sie lassen die Dame an der langen Leine. Aber die ist so lang (die
Leine, nicht die Dame), dass letztere nicht mehr weiß, was nun eigentlich
geführt wurde und was getanzt werden soll.
Wie sieht
dann die richtige Führung aus? Wie alles im Tango: Mal so, mal so. Also
flexibel.
Dazu
kommt, dass der Mann immer wissen muss, auf welchem Bein die Dame steht. Sie
steht niemals auf dem „falschen" Bein, das gibt es im Tango nicht! Das
Bein, auf dem sie zu stehen kommt (sei es durch, sei es gegen die Führung des
Mannes) ist ihr Standbein und darf nicht weggeschlagen werden. Spiele mit einem
Damenbein sind nur möglich mit ihrem Spielbein, das ist das freie Bein. Darum
heißt es so.
Frauen
machen oft zwei Fehler: den des vorauseilenden Gehorsams, und dass sie zu
schnell tanzen. Anfängerinnen meinen, sie müssten die Absichten des Herrn
sofort erraten und schon vor seiner spürbaren Führung das tun, was sie glauben,
dass er möchte, dass sie tun sollen (müssen). Er möchte das aber vielleicht gar
nicht. Der vorauseilende Gehorsam mag manchen Chef erfreuen oder manche Ehe
retten, im Tango ist er tödlich. Also, liebe Damen: Abwarten! Wenn Sie nicht
wissen, was Sie tun sollen, hat der Herr schlecht geführt, und Sie brauchen gar
nichts zu machen. Im Tango ist immer der Herr an allem schuld, eine sehr
bequeme Angelegenheit, denn endlich können Frauen schuldfrei ihr Tun genießen.
Auch ohne
vorauseilenden Gehorsam gibt es ein Problem beim Tanzen, nämlich dann, wenn die
Dame zu schnell wird. Manche Figuren sind allein ihre Sache, z.B. Ochos. Wenn
die zu schnell getanzt werden, kann der Mann die Dame kaum bremsen. Er wird
also auch schneller, sie auch, und das kann sich ins Groteske steigern. Also:
Zeit lassen, verzögert reagieren, keine Schuldgefühle haben, wenn etwas nicht
klappt!
Und an die
Damen gerichtet (immer wieder): Zeit lassen. Viele Figuren benötigen Zeit. Die
Körper müssen in die richtige Position gebracht werden. Hat die Dame dann ihr
Bein schon abgesetzt und das Gewicht verlagert, muss der Herr die intendierte
Figur abbrechen und die Dame erfährt nie, was da alles möglich gewesen wäre.
Beim
Führen scheint es noch ein Problem zu geben, das sehr subtil wirkt und manchen
Männern das Führen erschwert – und manchen Frauen das geführt Werden. Wenn sich
die Tanzenden überwunden haben und in inniger Umarmung den Tanz beginnen, ist
die Welt noch in Ordnung. Denn die Umarmung ist erst mal statisch. Doch beim
Tanzen verändern sich die Positionen der Tanzenden, auch gegenseitig. So dringt
der Mann beim Vorwärtsgehen, oder wenn nach einer Figur die enge Position
wieder eingenommen wird, in den Bereich der Frau ein. Umgekehrt (aber viel
seltener) macht das auch die Frau, wenn sie dem Mann beim Rückwärtsgehen folgt.
Das Gefühl für eine Verletzung der Intimsphäre ist kulturbedingt. Die Porteños scheinen damit kein Problem zu haben, die Europäer und Amerikaner schon, von anderen Völkern ganz zu schweigen. Was hier helfen könnte, ist die bewusste Akzeptanz dieser Tatsache, oder ihre Neuformulierung – nicht als Verletzung, sondern als Verbindung: Wir beide gehen einen gemeinsamen Weg, und das funktioniert nur in enger Nähe.
Das Gefühl für eine Verletzung der Intimsphäre ist kulturbedingt. Die Porteños scheinen damit kein Problem zu haben, die Europäer und Amerikaner schon, von anderen Völkern ganz zu schweigen. Was hier helfen könnte, ist die bewusste Akzeptanz dieser Tatsache, oder ihre Neuformulierung – nicht als Verletzung, sondern als Verbindung: Wir beide gehen einen gemeinsamen Weg, und das funktioniert nur in enger Nähe.
Herzlichen Dank an Peter Ripota für
diesen Text!
"vorauseilender Gehorsam" : richtig, "tödlich" beim Tango. Wobei ich mich wundere, beim Ehemann schaffens die meisten doch auch, den nicht zu haben :-P
AntwortenLöschenDa kann man sich auch meist nicht vor Publikum blamieren...
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