Livemusik nicht nur beim Tango – ein Interview
Was unmittelbar gespielte Tangomusik betrifft, bin ich äußerst privilegiert: Öfters habe ich das Glück, diese im eigenen Haus zu erleben, wenn sich die Damen des „Duo Tango Varieté“ zu einer Probe treffen. Wenn ich Bettina Kollmannsberger (Akkordeon) und meine Frau Karin (Violine und Gesang) schon am Vormittag höre, sinkt meine Lust, mich des Abends zu einer „Dudelmilonga“ zu begeben, zuweilen drastisch.
Das "Duo Tango Varieté" |
Im
Gegensatz zu „typischen“ Tangomusikern verfügen sie über ein Repertoire,
welches auch zahlreiche andere Musikgattungen umfasst. So werden sie (oft
mit mir als zauberndem Moderator) zu verschiedensten Anlässen
gebucht.
Wie
wirkt die Welt – auch die des Tango – vom Musiker aus gesehen? Und ist Vielfalt
Segen oder Fluch? Glücklicherweise war Karin
Law Robinson-Riedl bereit, mir dazu ein Interview zu geben:
Meine Leser wird
sicherlich interessieren, wie Bettina und Du Euch kennengelernt habt.
Unser
erster Kontakt entstand etwa 2007 durch den Kirchenchor in unserem Heimatort
Pörnbach. Bettina war dort schon seit ihren Kindertagen aktiv, vor allem auch
als Akkordeonspielerin. Nach dem Tod des langjährigen Dirigenten suchte man nach
einem neuen Leiter; wegen meiner Gesangsausbildung bot man mir diese Aufgabe an.
Daraus ergab sich eine unglaublich motivierende Zusammenarbeit zwischen uns,
mit voller Unterstützung der Gemeinde und des Chors. Dieser tritt natürlich bei
kirchlichen Anlässen, aber auch bei weltlichen Festen auf, bei denen dann
entsprechende Musik gefragt ist.
Wie wurde aus zwei
Kirchenmusikerinnen das „Duo Tango Varieté“?
Unser
„weltliches“ Repertoire umfasst ein ziemlich breites Spektrum. Da ich schon
lange Tango tanze, kam natürlich irgendwann auch die Tangomusik ins Spiel, die
Bettina sofort begeisterte, zumal das Akkordeon sich ja für die Umsetzung
förmlich anbietet. In früheren Jahren hatte ich schon mit Pianisten und anderen
Ensembles Tangos einstudiert, dann gab es eine Phase, in der Bettina und ich
zusammen mit einer Pianistin als Trio auftreten konnten, aber eine regelmäßige
Zusammenarbeit mit ihr war und ist leider aus räumlichen und zeitlichen Gründen
schwierig. So bleibt es also (vorerst?) beim „Duo Tango Varieté“. Der
Namensbestandteil „Varieté“ soll daran erinnern, dass wir verschiedensten
Musikrichtungen gegenüber aufgeschlossen sind. Mit Verlaub: Man isst ja auch
nicht jeden Tag nur Kuchen, so gut er vielleicht schmeckt. Irgendwann braucht
man dazwischen wieder mal ein Schinkenbrot!
Mehrmals pro Woche
spielt Ihr miteinander. Welche Auswirkungen hat das auf Euer persönliches und
musikalisches Verhältnis?
Natürlich
verstehen wir uns nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich. Ich glaube,
es wäre schwierig, gemeinsam zu musizieren, gerade zu zweit, wenn man einander
nicht sehr gut kennt und schätzt. Wir haben das riesen Glück, dass uns eine
wirkliche Freundschaft verbindet, auf deren Grundlage die Musik und andere
gemeinsame Aktivitäten wachsen.
Neulich sagte ich bei
einer Anmoderation, die Zuhörer sollten kräftig spenden, damit Ihr das Gefühl
hättet, dass sich jahrzehntelange, bezahlte Musikstunden doch rentierten. Kann
man hierfür Zahlen nennen?
Wir
haben beide nicht Musik studiert, aber jeweils sehr soliden Privatunterricht
bei verschiedenen professionellen Lehrern gehabt. Bettina fing im Kindesalter
schon mit dem Akkordeon an, lernte dann Klavier und nimmt derzeit
Orgelunterricht.
Ich
habe mit 11 Jahren mit der Geige begonnen, später dann Gesangsunterricht
erhalten und lerne seit kurzer Zeit Klavier.
Bettinas
und mein „Musikleben“ ergeben zusammen – etwa 90 Jahre! Davon hatten wir
vielleicht 30 Jahre insgesamt Unterricht. Angenommen, man nimmt pro Jahr 20 bis
30 Unterrichtsstunden (meist nicht in den Ferien) und rechnet pro
Unterrichtsstunde etwa 20 bis 30 Euro (dies ist nur eine grobe Angabe) dann
macht das… jedenfalls ganz schön viel Geld!
Dabei
ist noch nicht einberechnet, dass wir beide schon jahrelang in weiteren
musikalischen Ensembles und Orchestern tätig sind (z.B. im Symphonischen Salonorchester
bzw. dem Akkordeonorchester Ingolstadt). Jede Probe, jeder Auftritt ist mit
Kosten verbunden, die nicht immer ausgeglichen werden. Hinzu kommen Ausgaben
für die Instrumente, deren Zubehör, Noten, Kleidung usw.
Beide
leben wir nicht von der Musik, aber all der Aufwand rechtfertigt es wirklich,
zumindest einen finanziellen Ausgleich bei Auftritten zu erhalten. Ich kenne
Aussagen von professionellen Musikern, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen
und fuchsteufelswild werden, wenn man ihnen Angebote macht wie: „Spielen Sie
doch bitte bei unserer Firmenfeier! Wir können Ihnen zwar kaum Gage bieten,
aber bedenken Sie, was dieser Auftritt Ihnen für eine Werbung bringt.“ (Nebenbei:
der Firma schon auch!)
So
geht es natürlich nicht! Da fallen wir in ein düsteres Mäzenatentum zurück, wo
die Künstler froh sein konnten, wenn sie das vereinbarte Honorar überhaupt
erhielten und sich dann durch die Hintertür trollen durften!
Also:
Kunst kommt von Können, und das darf dann auch was kosten. Oft genug begegnen
wir aber erheblicher finanzieller Großzügigkeit der Veranstalter bzw. des
Publikums!
Ich habe ja das
Vergnügen, öfters bei Euren Proben dabei zu sein. Was mir immer wieder
auffällt: Wenn mir ein Stück nahezu perfekt erscheint, übt Ihr es zwei Tage
später schon wieder!
Deine
Anwesenheit bei unseren Proben ist ungeheuer wichtig. Als selbst Musizierender
ist es sehr schwer, gleichzeitig auf die Wirkung des Zusammenspiels zu achten.
Diesen Eindruck vermittelst Du uns, indem Du wertvolle Tipps für die Gestaltung
gibst und auch sagen kannst, ob wir schon so spielen, dass es Lust macht,
darauf zu tanzen.
Unsere
vermeintliche Übe-Wut scheint, so formuliert, ziemlich verrückt, stimmt. Aber –
ich gebe es zu – wir musizieren einfach gerne, und das Wiederholen von Stücken,
das gemeinsame Üben oder auch nur Durchspielen bringt einfach Routine und
Sicherheit. Davon profitiert man bei den Auftritten kolossal. Mein Geigenlehrer
sagte einmal: „Wenn du ein Stück aufführen willst, dann musst du es zu 120 Prozent
können, denn 20 Prozent gehen bei der Aufführung ziemlich sicher verloren,
durch Lampenfieber oder andere, unvorhersehbare Umstände.“
Auf diesem Fundament können wir es uns dann meistens auch erlauben, beim
Auftritt nicht mehr „auf Sicherheit“ zu spielen!
Mit Euren Setlists
gebt Ihr Euch große Mühe – keine zwei davon sind gleich. Welche Wirkung
versprecht Ihr Euch davon?
Uns
bedeutet es viel, das jeweilige Publikum mit unserer Musik individuell
anzusprechen. Das gilt nicht nur für den Tango, sondern auch für die
Kirchenmusik. Bei einer Hochzeit z.B. besprechen wir selbstverständlich die
Musikauswahl mit dem Brautpaar, spielen die Stücke an; auch haben Angehörige
Verstorbener oft spezielle Wünsche für die Beerdigung, die kirchlichen Feste
sollen ihren jeweils besonderen musikalischen Akzent haben.
Unbescheidenerweise
muss ich sagen, dass die Zuhörer das sehr goutieren. Sie fühlen sich „gemeint“
und berührt.
„Varieté“ bedeutet ja
nicht „Tingeltangel“, sondern „Vielfalt“: Euer Repertoire umfasst ganz
verschiedene Genres wie Volksmusik, Operette, Musical, Wienerlied, Schlager,
Jazz, Chansons – und auch Tango. Auf Milongas will man doch vor allem Letzteren
hören. Oder?
Danke
für die Erwähnung dieser Bedeutung von „Varieté“, auf die unser Name verweist.
Nebenbei aber: Das Varieté ist eine Bühne, die ich sehr hoch
schätze. Künstler, die in dieser heutzutage fast versunkenen Einrichtung
auftraten, waren Allrounder, wie sie derzeit kaum mehr „hergestellt“ werden!
Was
die Musik und das Auflegen bei Milongas angeht, gibt es ja schon länger eine
Art „Glaubenskrieg“ zwischen Traditionalisten und Modernen. Ich bezeichne das
jetzt mal so pauschal, denn auf die Feinheiten einzugehen würde hier viel zu
weit führen.
Also,
ich denke, auf einer Milonga will man Tango tanzen (sowie Vals und Milonga).
Wenn ich auf einen eleganten Ball gehe, erwarte ich Latein- und Standardtänze.
(Dass auf den üblichen Bällen die meisten Gäste auch auf einen Paso doble Foxtrott tanzen oder auf eine Rumba
„Schieber“, das hat, meines Wissens, noch keiner wirklich kritisiert…)
Wenn
ich auf einen bayerischen Volkstanz gehe, tanze ich Boarischen, Zwiefachen usw.
Ein
Tanzfest mit einer Band à la „Die Blue Dance Singers“ bietet ziemlich sicher
Schlager, auf die man alles oder nichts tanzen kann.
Meiner
Meinung nach sollte auf einer Milonga Tangomusik im Vordergrund stehen, wobei
ich nichts dabei finde, wenn man dem Tango verwandte Stücke mit einfließen
lässt. Der berühmte Schostakowitsch-Walzer aus der Jazz-Suite, Edith Piafs „La
foule“ sind schon längst geradezu etabliert, zur „Tarnung“ hört man ja manchmal
Letzteres auf Spanisch, und bei Schostakowitsch merkt’s eh kaum einer!
Viele
sogenannte „moderne“ Nontango-Stücke wirken zwar musikalischem Einerlei
entgegen, haben aber auch Nachteile: Sie sind oft endlos lang und leben von
bedauerlich wenigen musikalischen und rhythmischen Einfällen. Das macht es
Tänzern, deren choreografisches Material noch gering ist, zwar leicht – das
Stück tänzerisch spannend umzusetzen allerdings fällt schwer!
„Tanzbarkeit“ ist ja
eine im Tango häufig gebrauchte Vokabel. Trifft sie auf Eure Musik zu?
Das
hoffen wir sehr! Wir legen auch Wert darauf, dass gleich beim ersten Stück
unseres Auftritts getanzt wird. Dafür sind wir schließlich engagiert worden.
Ich
gestehe, dass Chansons, wie wir sie auch gerne bringen, nicht so leicht
tänzerisch umsetzbar sind, weil man hier, noch weniger als bei anderen Stücken,
die Rhythmik glattbügeln darf.
Wir
erarbeiten uns aber auch deshalb immer wieder neue Tangostücke, um dieses
Segment unseres Repertoires zu erweitern. Wen die „komplizierten“ Chansons
abschrecken, der darf sich einfach eine Ruhepause gönnen und (hoffentlich)
genussvoll zuhören. Der nächste Tango kommt bestimmt – ob von uns oder in den
Pausen zwischen den Sets „von der Scheibe“.
Wie wirkt es sich
aus, wenn man die Musik, welche man spielt, auch selber tanzen kann?
Das
gibt allerdings einen kleinen inneren Konflikt: Eigentlich möchte man ja gerne
tanzen, aber eigentlich will man auch gerne spielen… Beides gleichzeitig geht
leider nicht!
Das
Problem lösen wir am besten in den Pausen zwischen den Sets, wo wir uns auf der
Tanzfläche austoben können, soweit es die Kondition erlaubt, die für den
nächsten Einsatz nötig ist!
Neulich zitierte ich
Paul Potts: Bei Live-Darbietungen entstehe eine geheimnisvolle, nicht
erklärbare Verbindung zwischen Musikern und Publikum. Wie sind da Eure
Erfahrungen?
Das
kann ich nur unterstreichen. Es ist wie eine Strömung, die zwischen Publikum
und Musikern hin und her fließt. Warum manchmal Ebbe herrscht, manchmal Flut,
manchmal sanfte Ausgeglichenheit, kann man kaum erklären bzw. dazu bedürfte es
einer detaillierten Analyse der jeweiligen, ganz individuellen Kommunikationssituation.
Aber
zwei Grundsätze gibt es vielleicht doch, damit es funktionieren kann:
Offenheit auf Seiten des Publikums – Bereitschaft, sich zunächst
einfach auf das einzulassen, was kommt.
Spätere
(konstruktive) Kritik ist natürlich erlaubt, ja erwünscht, wenn man die gesamte Darbietung erlebt hat – alles
andere wäre nicht fair!
Seriöse
und intensive Vorbereitung auf den
jeweiligen Auftritt durch die Künstler.
Kein Publikum verdient es, nur weil es sich halt nicht in der Wiener Staatsoper
oder in der angesagtesten Milonga irgendeiner Großstadt befindet, mit
„irgendwas“ abgespeist zu werden. Daher kommen schlichtweg arrogant wirkende,
sich dem Publikum sichtlich überlegen fühlende und schlampende Künstler, die es
leider gibt, auf die Dauer nicht so gut „rüber“.
Es
gibt Auftritte, bei denen man spürt, dass es einfach stimmt, der Funke
überspringt. Das sind Momente, die „süchtig“ machen!
***
Herzlichen
Dank für die Einblicke, welche das Thema „Live-Musik“ einmal von der anderen
Seite beleuchten!
Nach
drei „Auswärtseinsätzen“ in kurzer Zeit ist das „Duo Tango Varieté“ mit
Sicherheit wieder bei einer unserer „Wohnzimmer-Milongas“ im Herbst zu hören.
Eine Einladung dazu wird es rechtzeitig geben.
P.S.
Mehr zu Karins musikalischen Aktivitäten:
http://www.robinson-riedl.de/index.php/violine-sopran-start
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