Aus dem Gruselkabinett der Tango-Verunstalter
„Fieleichd gibt es in
Breißen grösserne Säu als bei ins, wofon ich fieleichd ieberzeigt bin, und
fieleichd sind Zäu in Breißen fornemer in der Absdammung, awer die gewenliche
Bauernsau in Bayern isd gros genug, so das mir sagen kennen, mir hawen fiele
Säu und mir hawen grosse Säu in inserm gelibden Faderlande Baiern, und mir
haben ins dafon glenzend ieberzeigt.“
(Ludwig Thoma: Jozef
Filsers Briefwexel, Kapitel 11)
Gerade erreichte mich wieder die Mail einer Leserin: Ja, sie könnte auch
so manche Erlebnisse der besonderen Art von einzelnen „sich wichtig nehmenden Personen“ in der Münchner Szene beitragen. „Manchmal so arg, dass man nur noch
verwundert den Kopf schütteln kann.“
Ich
werde sie ermutigen, solche Erfahrungen nicht für sich zu behalten. Der Mensch
lebt von konkreten Schilderungen,
nicht von pauschalen Behauptungen. Daher will ich mit gutem Beispiel vorangehen
und etliche selbst erlebte Situationen dieser Art darstellen. Und damit keiner behaupten kann,
diese seien auf meine lästerlichen Veröffentlichungen zurückzuführen, habe ich ausschließlich Erlebnisse vor der Drucklegung meines
ersten Buches (Mai 2010) herausgesucht.
Begeben
wir uns zunächst nach Regensburg, wo
wir sintemalen Tango lernten: Unser dortiges
Lehrerpaar beherrschte immerhin die Kunst der Willkommenskultur. War man
dann allerdings fest ins Kurssystem integriert, wurde der Ton schon rauer.
Insbesondere die „Frau Mutter des Salontango“ legte bei „Fehlern“ immer öfter
verbale Rüpelattacken in höchstem Diskant hin. Aus dem laufenden Kurs stieg ich
aus, als sie mir erklärte, eine bestimmte Milonga-Figur (die ich mir irgendwo
abgeschaut hatte) gebe es so nicht.
Dennoch
besuchten wir die dortigen Milongas sehr gern. Einmal aber erschienen wir
(wegen eines anderen Termins in dieser Stadt) äußerst pünktlich – außer dem
Lehrerpaar, welches sich versunken auf dem Parkett bewegte, war noch niemand
da. Wir beschlossen, es ihnen gleichzutun. Mein vermutlicher Fehler: Ich hatte
wohl den Dreck von der letzten Veranstaltung nicht sorgfältig genug von den
Sohlen meiner Tanzschuhe entfernt, so dass meine Schritte auch etwas hörbar
waren.
Dies
führte zu einer famosen Intervention des
Chefs: Durch das laute Schlurfen habe man kaum noch die Musik gehört! Zudem
hätte selbiges Fußgeräusch den weißen Argentiniern dereinst dazu gedient, den
Tanzstil der Schwarzen zu verhöhnen. Aha, also Rassismus… Wir tanzten noch das
Eintrittsgeld ab und kamen nie wieder.
Später
hörten wir dann von diversen Hausverboten,
wenn jemand es wagte, im Umkreis von 100 Kilometern eine Tangoveranstaltung
aufzumachen oder auch nur dafür zu werben.
Den Knaller lieferte erst kürzlich der
ehemalige Tangoblogger Cassiel,
welcher über die beiden noch eine weitere Geschichte wusste:
„So bespitzelte das
Lehrerehepaar K. (bei dem Du ja wohl auch Deine ersten Schritte im Tango
gelernt hast) Konkurrenz-Milongas vom Auto aus um diejenigen unter ihren
Schülern, die diese Milonga besucht haben, beim nächsten Kurs ins Gebet zu
nehmen…“
Na,
wenn dies der gekrönte Meister der Wahrheit und Lauterkeit im Tango berichtet,
muss es wohl stimmen…
Bleiben
wir noch kurz in der Hauptstadt der
Oberpfalz, wo man immer noch in seligem Angedenken fallweise die „Salonbasse“
lehrt und Ganchos gelegentlich als „Baa
stöll’n“ bezeichnet: Auf einer Milonga, die man neuerdings doch (nach zirka
zehn Jahren) als Gipfelpunkt der Cliquenwirtschaft identifizierte, brach einmal
der auf zwei Nägeln ruhende Besenstiel, den sie dort für eine Garderobe halten,
unter der Last von mehr als 50 Wintermänteln zusammen. Wir wühlten uns (wie
viele andere Gäste) längere Zeit im Schummerlicht (a media luz) durch einem Berg von gleichförmig schwarzen Klamotten, während der
Veranstalter drei Meter weiter unbeeindruckt sowie locker-flockig mit einigen
Schönheiten plauderte. Tja, man kann sich halt nicht um alles kümmern…
Ebenfalls
noch gut erinnerlich ist mir der erste Besuch der wöchentlich stattfinden
Vereinsmilonga in der schwäbischen
Tangometropole: Da wir sehr zeitig erschienen und noch fast alle Plätze
frei waren, setzten wir uns an einen Tisch direkt an der Tanzfläche. Nach einer
ersten Tanzrunde fanden wir unsere Stühle mit Leitzordnern und Fremdklamotten verziert:
Nichtsahnend hatten wir Unwürdigen es gewagt, uns an den Vorstandstisch zu
setzen! Beschämt und unauffällig traten wir den Rückzug in die hinterste Ecke
an…
Ins
oberbayerische Ebersberg lockte uns
in grauer Vorzeit die Ankündigung einer Milonga. Pünktlich war auch dort zu
früh: Spontan hatte man sich entschlossen, vorher eine „Schnupperstunde“ abzuhalten,
in welche wir zwanglos integriert wurden. Von deren Inhalt ist mir nur noch
erinnerlich, dass es eine Unmenge Text sowie mehrmaliges Laufen im Kreis gab.
Bei der nachfolgenden Milonga hing der Hund tot überm Zaun…
Als ich in meiner Verzweiflung die Tangolehrerin aufforderte, verspürte ich bei dieser deutlichen tänzerischen Feinfrost, was mich zum Vorschlag animierte: „Du darfst mir ruhig sagen, wenn dich was stört.“ Ihre Antwort, begleitet von einem Schleierblick nach oben: „Das würde jetzt zu weit führen…“
Als ich in meiner Verzweiflung die Tangolehrerin aufforderte, verspürte ich bei dieser deutlichen tänzerischen Feinfrost, was mich zum Vorschlag animierte: „Du darfst mir ruhig sagen, wenn dich was stört.“ Ihre Antwort, begleitet von einem Schleierblick nach oben: „Das würde jetzt zu weit führen…“
Beim Heimgehen kamen wir an zwei zirka sechzehnjährigen Damen vorbei, welche rauchend im
Hof standen. Die eine sprach gerade zu anderen, dabei in G’schau und Duktus
heftig die Chefin kopierend: „Ich kann
schon den Grundschritt.“ Na dann…
Bereits
in unseren Tango-Anfängerjahren bot jedoch die Isarmetropole das skurrilste
Typenkabinett, das ich im Tango kenne. Bis auf wenige Ausnahmen kann man
davon ausgehen, dass eine Milonga und/oder Tangoschule kurz vor der Pleite
steht, falls die einschlägigen Gurus Gäste freundlich begrüßen anstatt mit
glasigem Alien-Blick an ihnen
vorbeizulaufen.
Auch
wenn man schon seit Jahren zu den Stammgästen
einer Milonga gehören sollte, erreicht man höchstens mit knapper Not
Augenkontakt zu einer gelangweilten Studentin an der Kasse oder ihrer
muffeligen Kommilitonin, welche am Getränkeausschank minutenlang nach einem
Korkenzieher sucht (obwohl die Großraum-Flasche Schraubverschluss hat).
Ein
weitere, fast sichere Garantie für Benimm-Autismus
ist die Propagierung von Códigos und Ronda-Regeln – so bei einem Tangolehrer,
den ich nun schon seit drei Ehefrauen kenne, was allerdings seine Knigge-Skills
in keinster Weise verändert hat.
Auch
Tangobuchautoren, welche in ihren
Werken viel vom „Tanz der Herzen“ und
umliegenden Dörfern schwobeln, habe ich in der Praxis eher im Zustand der
sozialen Bewusstlosigkeit erlebt, welche jeglichen unbezahlten Kontakt zur Außenwelt
unterband.
Spitzenreiter der
Empathiefreiheit war aber ein Tangoinstitut, deren Chef sich gleich beim Erstbesuch seiner
Milonga die unverbrüchliche Sympathie meiner Ehefrau erwarb: Auf deren Frage,
ob man denn im Hof parken dürfe, erhielt sie die genervte, wegwerfende Replik: „Na, wenn Platz is…“
Nur
mal so als Fortbildung für
Tangoveranstalter: falscher Text! Bei neuen Gästen muss es richtig heißen: „Na klar, gerne, und wenn kein Platz mehr
ist, versucht es doch am besten gegenüber in der ersten Querstraße. Woher kommt
ihr denn? Schön, dass ihr uns einmal besucht!“
Obwohl
wir diese Milonga etliche Jahre regelmäßig frequentierten, ließ sich der Herr
Schulleiter kein einziges Mal dazu hinreißen, meine Frau aufzufordern – und seine Musterschüler taten es ihm
nach. Deren Partnerinnen zu betanzen blieb mir als Aufgabe.
Eines
Tages suchte man dort einen Springer für
einen Anfängerkurs. In meiner Unbedarftheit meldete ich mich, was auch zwei
Abende lang gut ging. Beim dritten Mal kämpfte ich mich 80 Kilometer durch
Schneetreiben und Glatteis und kam leicht verspätet an. Die Assistentin des
Chefs (für mich der Nullpunkt der weiblichen Münchner Charme-Skala)
unterrichtete mich, die Dame habe nun einen festen Tanzpartner und benötige
meine Hilfe nicht mehr. Darauf der Tango-Meister zu ihr (!) im Vorbeigehen: „Gib ihm einen Kaffee und schreib ihn für
die nächste Milonga auf die Gästeliste!“
Wie
gesagt: „ihm“ – in der dritten
Person! Was wäre eigentlich gewesen, wenn ich auf diese Unverschämtheit in traditionell kreolischer Weise reagiert
und das Messer gezogen hätte? Ich bin mir sicher: Inzwischen wäre ich wieder
draußen! (Aber immerhin weiß ich seither, dass gewisse Gäste dort wohl vom
Eintrittsgeld befreit waren…)
Die
Nachrichten, welche mich inzwischen aus dieser Stadt und auch anderswo
erreichen, machen mir keine Hoffnung, es könnte sich seither etwas verbessert
haben. Warum auch? Viele dieser Milongas sind zwar längst verschwunden, aber die Nachfolger treiben es noch schlimmer! Solange die Tango-Konsumenten kein Kunden-Bewusstsein entwickeln, werden in diesem Metier weiterhin
die gnadenlosen Selbstdarsteller den
Ton angeben – also Menschen, welche bei ansonsten mäßiger Lebensleistung
endlich ein Feld entdeckt haben, auf dem sie ihren Narzissmus und ihre Machtgelüste befriedigen können.
Liebe
Leser, ich schreibe das ja nicht für mich – mir bleiben genügend Refugien, wo Veranstalter herzlich mit ihren Gästen
umgehen und selbstverständlich auch mit
ihnen tanzen (erst in der zurückliegenden Woche besuchte ich drei solcher
Veranstaltungen). Der Mehraufwand an Benzin und Fahrtzeit reut mich kein
bisschen – und die „To be seen“-Events
brauche ich überhaupt nicht.
Also,
es ist eure Entscheidung: Kritik
äußern und/oder nicht mehr hingehen. Dann haben nämlich die Großkotze das nicht
mehr, was sie dringend benötigen: Publikum.
P.S.
Eine noch nicht lange zurückliegende Geschichte muss ich noch ergänzen: Sie
begab sich auf einem Tangoball in Ingolstadt.
Meine Begleiterin und ich hatten uns auf der Flucht vor den Zelebritäten in die
hinterste Ecke des Foyers zurückgezogen. Dennoch konnten wir der lautstarken
Ankunft eines Münchner Tangolehrers nicht entgehen: Passend gewandet mit
Cargo-Jeans und Eigenreklame-T-Shirt fuchtelte der mit einer Kamera mit
Phallus-Teleobjektiv herum und knipste alles, was nicht bei drei auf dem Baum
war. Das gesamte Persönlichkeits-Viagra, wie bei ihm üblich, unter lautem Geblöke sowie Gekreische
seiner Verehrerinnen.
Auf
ihrer Website bekennt sich diese Person übrigens mit Verve zu den „Códigos de la Milonga“…
Schließlich
konnte ich meiner Tanzpartnerin einen Lieblingswitz
nicht ersparen: Britisches Zugabteil, besetzt von einem Gentleman alter Schule.
Plötzlich bricht eine Gruppe angetrunkener Hanswürste herein und benimmt sich
längere Zeit nach Kräften daneben. Der soignierte ältere Herr tut natürlich,
als bemerke er dies alles nicht, und vertieft sich in die „Times“. Schließlich
verlassen die Ruhestörer bis auf einen den Zug. Da blickt der Gentleman von
seiner Zeitung auf und sagt zu dem verbliebenen Hansel einen einzigen Satz:
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