Schleier-Haft
Gerade
verfolge ich wieder eine tränentreibende Diskussion auf Facebook:
Der
geschätzte Anhänger eines erweiterten Begriffs von Tangomusik, Thomas Kröter, postet nachts im halb
Zwei gefrustet die Country-Ballade „Long
Black Veil“ (Mick Jagger & The
Chieftains).
Der
Grund: „wenn ich von 1
strictly-classic-milonga komme, brauche ich 1 kontrastprogramm, das mir die
ohren durchpustet.“
Im
Verlauf der Diskussion kann dann nicht mehr verschwiegen werden, dass an dem
Abend die Münchner Star-DJane Theresa
Faus auflegte, von der sich Thomas
chronisch mehr erwartet, als sie gemeinhin zu liefern bereit ist. Die Klage des
wieder einmal enttäuschten Liebhabers hört sich dann so an:
„mindestens zu später stunde hätte es für meine begriffe
durchaus etwas heftiger werden werden dürfen - ohne verletzungsgefahr auf der
pista zu induzieren. aber du kriegst halt bei salamanca (e tutti quanti)
pickel. bei mir stellt sich ein starker drang richtung garderobe ein, wenn ich
um mitternacht herum zeitlupenmusik von donato hören soll.
(…)
„meine
bereitschaft, bis in die frühen morgenstunden zu warten, bis endlich musik
kommt, die mich begeistert, sinkt stündlich. es gibt - wieder kein name - djs,
die pugliese et alii (um ganz bescheiden zu bleiben) schon nach weniger als 3
stunden anlauf auflegen.“
Immerhin wandelt die so gescholtene DJane
angesichts der Seelenqualen eines ihrer Liebhaber schon ein Rest an Mitleid an:
„ok
Thomas, das Timing für die bewusste Troilo Tanda und die noch später folgende
Pugliese Tanda war gestern nicht optimal, das muss ich im nachhinein einräumen.
Ich pflege solche - für mich - spezielle Musik sparsam und dann einzusetzen,
wenn ich das Gefühl habe, dass alle hinhören.“
Bei genügend gestählten Geschmacksnerven
sollte man sich das schon nochmal auf der Zunge zergehen lassen:
Wir Anhänger einer vielfältigen Tangomusik hängen
auf einer Tradi-Milonga folgsam stundenlang herum und ertragen klaglos die
Langweiler-Musik in der Hoffnung, dass uns das gestrenge Frauchen an den
Reglern nach Mitternacht noch ein Leckerli wenigstens aus der Troilo / Pugliese-Hundekuchen-Schachtel
hinwirft. Jaul, braver Hund!
Dagegen verlassen die Herrschaften von der
Abteilung Museumsmusik erklärtermaßen umgehend die Örtlichkeit, sollten ihre
empfindsamen Ohren auch nur von einer einzigen Tanda Otros Aires beleidigt werden.
Wenn man dann – wie ich – auf solche
eklatanten Widersprüche hinweist, trifft einen der Vorwurf, man „polarisiere“.
Nö, liebe Leute: So polarisiert ist die Szene schon seit Langem!
Der Tragik ganzes Ausmaß: Und nun ging – nach
Auskunft der Jane an den Lianen – Tarzan Thomas
ausgerechnet in dem Augenblick, wo ihn eine „Troilo
Tanda mit 4 Sängern (darunter Goyeneche)“ erwartet hätte. Da bleibt eigentlich nur die
sofortige Entleibung…
Nein, ihr Verteiler spärlich dosierter
Liebesgaben, da antworte ich mit Tucholsky:
„Gut. Das ist der Pfennig. Aber wo ist die Mark?“ Will sagen: Ich erwarte
von einem DJ, dass ihm nicht erst nach Zwölf alle zuhören, und er somit auf die
musikalische Niveaubegrenzung von Anfang an verzichten kann.
Übrigens passt der obige, lediglich zum Ohren
Auspusten verwendete Musiktitel hier im Sinne eines Gesamtkunstwerks. Die
Ballade handelt von einem Mann, der unschuldig gehängt wird, obwohl er ein
Alibi hätte: Er war zur Tatzeit mit der Gemahlin seines besten Freundes zugange,
was er natürlich – den beiden zuliebe – nicht bekennen kann. Also wird er exekutiert.
Somit bleibt mir schleierhaft, wie man sich mit
gewissen Frauen einlassen kann. Ich hoffe, Thomas
wird wenigstens die Ehre zuteil, welche der letzte Vers der Ballade beschreibt:
„Now she walks these
hills, in a long black veil.
She visits my grave, when the night winds wail.
Nobody knows, nobody sees.
Nobody knows, but me.”
She visits my grave, when the night winds wail.
Nobody knows, nobody sees.
Nobody knows, but me.”
P.S. Des Leidens ganzes Epos findet man hier:
https://www.facebook.com/thomas.kroter.5?fref=ts
Das mit dem "Kontrastprogramm" kenn ich (ich musste vor Jahrzehnten, vor meiner Tangozeit, mal nach einem etwas "süsslichen" Konzert dann gleich im Auto noch John Zorn zur Entspannung und zum Ohren durchpusten anhören ;-)) ).
AntwortenLöschenDass Theresa einen Tango-Geschmack hat, der mit meinem nicht sehr kompatibel ist, weiß ich nun auch schon seit ein paar Jahren. Sie hatte (auch schon wieder vor vielen Jahren) mal die für meinen Geschmack ödeste Milonga aufgelegt, die ich (auch aus heutiger Sicht) je erlebt hab. Die damalige Diskussion auf Tangomünchen ist allerdings schon lange gelöscht ... Andererseits kann sie aber in ihrem Bereich auch sehr gut auflegen, man muss sich halt mal drauf einlassen (aber das weiß man ja, wenn man hingeht, wo sie auflegt).
Das, was du beschreibst: "Wir Anhänger einer vielfältigen Tangomusik hängen auf einer Tradi-Milonga folgsam stundenlang herum und ertragen klaglos die Langweiler-Musik ..." hab ich an mir auch schon öfters erlebt, ist doch irgendwie seltsam ;-)
Apropos: "Museumsmusik" oder "Museumstango" geht ab sofort in meinen aktiven Wortschatz über ;-)
PS: auch mir fehlen Milongas, wo Tangomusik von Piazzolla bis heute (keine "Non-Tangos", wenig "Elektro") gespielt wird. Diese (oft sehr tolle!) Musik wird von beiden Gruppen ausgeblendet :-(
Theresas Fachkenntnisse stelle ich nicht in Zweifel. Ich war früher öfters und gerne im "Giesinger Bahnhof", als es dort noch keine "Verhaltensvorschriften" gab.
LöschenDas ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt: Der moderne Tango geht unter zwischen traditionellen Milongas und solchen, die für sich "Neotango" reklamieren und oft nur "neo" sind, aber mit Tango kaum etwas zu tun haben. Ist halt beides ziemlich einfach zu tanzen...
Inzwischen entsteht aber - von Wien bis Berlin - eine Art Netzwerk für den zeitgenössischen Tango, das mir Mut macht. Und in Pörnbach tun wir das Unsere dazu!
"Ist halt beides ziemlich einfach zu tanzen..." ;-)
AntwortenLöschenEinerseits ja, andererseits finde ich es immer besonders schwierig, auf Musik zu tanzen, die mir so gar nicht zusagt (und das gilt sowohl für "geraden, leicht tanzbaren", aber langweiligen Museumstango wie auch für Discomusik ähnlich geringer Komplexität) ;-)
Manchmal "träume" ich von ner Milonga, die mit komplexer Musik und hohem Anspruch an die Tänzer wirbt ;-))
Das geht mir auch so:
AntwortenLöschenManchmal bin ich eine halbe Stunde nach Eintreffen auf einer Milonga schon derartig müde...
Ich hab es lange Zeit auf mein Alter geschoben (sicherlich auch eine Komponente) - aber es gibt Musik, da werde ich sofort hellwach!
Von Milongas mit komplexen Einspielungen und tänzerischem Anspruch müssen wir zumindest einmal im Monat nicht träumen: Da legen wir daheim genau das auf, was uns begeistert!
Ich weiß, ich sollte nach Pörnbach kommen ;-) (da müsste ich nur immer schon rechtzeitig wissen, ob ich da Zeit hab, daran haperts bei mir am meisten. Fr. hab ich meist keine Zeit ...)
AntwortenLöschenUnsere nächste Wohnzimmer-Milonga ist am Sonntag, 19.6., von 15.30 bis 19.00 Uhr. Du kriegst eh noch eine Einladung per Mail!
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