Tango auf dem Babypopo
„Als Sandbaden (auch:
Staubbaden) bezeichnet man eine vor allem unter Vögeln anzutreffende Form des
Komfortverhaltens (…) Vögel ducken sich beim Sandbaden dicht an den Boden und
wackeln mit dem Körper hin und her, wobei das lockere Bodenmaterial empor
gewirbelt wird. Dabei spreizen sie meist auch einen oder beide Flügel ab.
Anschließend schütteln sie sich meist heftig und zeigen Putzverhalten.
Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes zur Käfighennenhaltung vom 6. Juli 1999 ordnete das
Sandbaden ebenfalls der „Eigenkörperpflege“ zu, die jede Tierhaltung einer
Henne zu gestatten habe.“
(Quelle: Wikipedia)
Die
Qualität des Tanzbodens ist beim Tango ein Dauerthema. Selbst Kollege Cassiel beklagte sich jüngst: „Bei zu harten Böden ‚bezahle‘ ich drei
Stunden Tango mit zwei Tagen Gelenkschmerzen.“ (Wobei ich die Beschwerden
in diesem Fall eher als venöse Stauungserscheinungen durch langes Herumstehen
deuten würde – als Therapie kämen Kompressionsstrümpfe oder ein mehr
bewegungsfokussiertes Tanzen in Frage.)
Sicherlich
ist es toll, auf einem elastischen, griffigen Parkett zu tanzen. Jedoch sollten
wir uns – gerade wenn wir dem traditionellen Tango anhängen – daran erinnern,
dass unseren Altvorderen als Untergrund oft nur das Straßenpflaster oder der
festgestampfte Boden in einem Hinterhof zur Verfügung standen.
Für
solche Probleme halte ich als Fußbekleidung immer eine Alternative bereit:
Meine normalen Straßenschuhe (mit Ledersohlen) an den Füßen und die Tanzschuhe
(mit der üblichen Chromledersohle) in dem Behältnis, das uns Tänzer ja schon
auf weite Entfernung als „Beuteltiere“
erkennbar macht. Bei relativ glattem Boden kommen die Tanzschuhe zum Einsatz –
und wenn’s eher pappt, lasse ich die Straßenschuhe an.
Meine
Haare sträuben sich allerdings regelmäßig, wenn ich – meist weibliche –
Mitwirkende beim Griff nach einem Plastikdöschen beobachte: Schnell und
routiniert wird dann das Parkett mit weißem Puder bedeckt, worauf sich
Bodennebel sowie ein Geruch nach Säuglingsstation ausbreiten.
Über
die Beschaffenheit dieses Zeugs schweigt sich selbst das Internet weitgehend
aus (was mich nicht unbedingt beruhigt): Offenbar gibt es Pulver zum Glätten
des Parketts, wobei hier das wirksame Agens wohl aus dem wasserabweisenden
Schichtsilikat Talkum besteht, das ja
auch gegen das Wundsein von Babypopos eingesetzt wird, siehe z.B. (http://www.hygi.de/dr_becher_tanzglaette_pulver,pd,18453.html).
Oft
greifen gerade tanzende Mütter gleich zum preiswerten Hinterneinstäuber aus dem
Supermarkt.
Es
gibt allerdings auch Mittel mit dem gegenteiligen Effekt: https://www.letsdanceshop.de/DanceCos-Anti-Slip-Antirutschpulver-Streupulver
Möglicherweise
ist hier Wachs die rutschhemmende Komponente.
Ein Tipp, den ich Profitänzern abgeschaut habe: In einer Ecke den Boden und sodann die Sohlen mit einem Schlückchen Wasser benetzen (oder bei Regen mal kurz vor die Tür gehen)!
Ein Tipp, den ich Profitänzern abgeschaut habe: In einer Ecke den Boden und sodann die Sohlen mit einem Schlückchen Wasser benetzen (oder bei Regen mal kurz vor die Tür gehen)!
Ob
hier wirklich stets das passende Mittel zur Bestäubung eingesetzt wird,
erscheint mir nach langjähriger Erfahrung zweifelhaft. Oft fühlt sich der
Untergrund hinterher schlimmer an denn je. Im positivsten Fall hält die
Wirkung nicht lange an – im Gegensatz zu dem Papp an den Schuhen und den „Kreidestrichen" an den Hosenbeinen.
Warum
sind es oft gerade Frauen, welche die Milongagäste mit einem Staubbad
beglücken? Biologisch wäre an ein ritualisiertes Brutpflegeverhalten zu denken,
wobei hier der zu betreuende Babyhintern durch den Tanzboden ersetzt wird. Fairerweise wollen
wir dem weiblichen Geschlecht allerdings zugestehen, dass es gerade beim Tango
natürlich auch mehr drehen muss und somit stärker an stumpfen Böden leidet.
Im
Vordergrund steht für mich aber, dass die Gerätschaften, welche Tangueras
häufig an den Füßen haben, mit dem Begriff „Schuhe“
sehr optimistisch umschrieben sind: In Wahrheit bestehen sie zur Befriedigung
der Eitelkeit aus ein bisschen Sohle, einigen neonglitzernden Riemchen sowie
viel heißer Luft – inklusive ungewohnter Absatzhöhen. Da der Fuß in einer sonst
unüblichen Position ist und im „Schuh“ keinen guten Halt hat, lässt sich die
Kraft aus den höheren Körperregionen nur unzureichend „in den Boden bringen“.
Ein
Standardtrainer beobachtete uns einmal sinnend beim Aufrauen unserer Tanzschuhe
und dem Hantieren mit Puder. Sein Kommentar: „Ich hab meine Sohlen noch nie gebürstet. Ich zieh meine Tanzschuhe
einfach so lange an, bis sie kaputt sind – dann werf ich sie weg. Und wieso
wollt ihr mangelnde Technik durch Chemie ersetzen?“
Inzwischen
kommt bei mir die Stahldrahtbürste auch nur noch dann zum Einsatz, wenn ich
nach einer „Puderattacke“ am nächsten Tag gezwungen bin, das pappige Zeug von
den Sohlen zu kriegen. Und die unzureichende Tanztechnik ist als Problemquelle
sehr realistisch: Wenn ein Ocho bei optimalem Reibungskoeffizienten gerade noch
halbwegs klappt, ist bei dessen leichter Erhöhung halt Schluss mit rutschig!
Ein
zu stumpfes Parkett ist manchmal zu stark gewachst, meistens jedoch schlichtweg
dreckig. Und wenn dann Wachsreste, normaler Schmutz, Feuchtigkeit und
verstreutes Pulver in den Jahren eine perfekte Symbiose eingegangen sind, ergibt
das die besten Voraussetzungen für den „umarmungsfokussierten
Tango“.
Insofern
ist es mir unerklärlich, dass die Ausrichter von Tangoveranstaltungen nicht im
Vorfeld einmal zu Scheuerbürste und Seifenlauge greifen und den „Papp von
tausend Jahren“ energisch beseitigen (eine Disziplin, in der ich etlichen von
ihnen mehr Sachkunde zutraue als im Tango). Bei unserer „Wohnzimmer-Milonga“
besorgt dies übrigens wöchentlich eine Putzfrau, wodurch sich bei unseren
Gästen noch nie der Wunsch nach etwelchen Pülverchen geregt hat…
Irgendwie
erinnert mich die übliche Art der „Parkettpflege“ an die hygienischen
Verhältnisse zur Zeit des „Sonnenkönigs“ (Ludwig XIV.): „Waschen war seinerzeit verpönt; im Wasser vermutete man Erreger für
Krankheiten und Epidemien. So versuchten die feinen Damen, den Dreck und
unangenehmen Geruch mit Puder und Parfum zu überdecken.“ (http://www.planet-wissen.de/kultur/metropolen/paris/pwieversailles100.html)
Apropos
Wasser: Böden werden auch häufig stumpf, wenn man zu wenig lüftet und sich
somit ein Kondensfilm bildet. Frischer Wind (gerne auch im übertragenen Sinne
bei konventionellen Milongas) könnte also nicht schaden!
Ich bin da aber eher für die „rauchfreie Milonga“!
Und wer eine Fußmassage (sehr zu empfehlen!) benötigen sollte:
http://im-prinzip-tango.blogspot.de/2016/03/egal-ob-du-in-der-pflege-arbeitest-oder.html
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