Von der Sprengkraft des Wortes

Wem ich über den Kabarettisten Dieter Hildebrandt (1927-2013) Näheres erzählen müsste, der sollte diesen Artikel lieber nicht lesen. Es wäre vergeblich. Sein Kollege Georg Schramm, ebenso wie ich durch Hildebrandt und die legendäre „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ sozialisiert, zitierte einmal seine Eltern: „Wenn’s so Leute wie den Hildebrandt nicht gäbe, dann wäre alles noch viel schlimmer.“

Mit dem österreichischen Multitalent Werner Schneyder (1937-2019) spielte Hildebrandt von 1974 bis 1982 fünf sehr erfolgreiche Duo-Programme. Als Österreicher gelangen Schneyder auch zwei Gastspiele in der DDR. 1985 wurde er von den Kollegen der Leipziger „Pfeffermühle“ für ein Jubiläums-Programm engagiert. Angeblich mit der persönlichen Genehmigung von Erich Honecker durfte er dabei den „Klassenfeind“, seinen Partner Hildebrandt, mitbringen.

Unter dem Titel „Zugabe Leipzig“ hatten die beiden sechs Auftritte, die in die Kabarett-Geschichte eingingen. Das Programm enthielt Nummern aus ihren Duo-Programmen, angereichert mit aktuellen Texten und doppelbödigen Andeutungen zur Situation in ihrem Gastland.

Die je 500 Eintrittskarten gingen in den „freien Verkauf“ (wobei die Hälfte jeweils für „gesellschaftliche Kräfte“ reserviert war). Der 6. Auftritt fand vor Kabarett-Kollegen aus der DDR statt.

Wie weit durfte man unter den gestrengen Augen der Stasi gehen? Die Texte gerieten zu einem Ritt auf der Rasierklinge: Er öffne dem Staat sein Herz, und der ihm dafür die Briefe, so Hildebrandt unter tosendem Applaus.

Was ist ein Weltbürger? Auf diese Frage antwortet Schneyder: „Einer, der überall hinfahren kann und wieder zurück“.

 https://www.youtube.com/watch?v=kWp1HlE12qY

Ein Höhepunkt war sicherlich die Schneyder-Umdichtung der Arie „Zwei Märchenaugen“ aus der „Zirkusprinzessin“ von Emmerich Kálmán:

„Des Staates Augen

Können nichts übersehn.

Des Staates Augen

Überwachen dich schön.

Was du besessen, ist gespeichertes Glück,

Was du vergessen,

kommt auf Knopfdruck zurück.“

https://www.youtube.com/watch?v=nHPt0uP9IAU

Es muss eine unglaubliche Atmosphäre geherrscht haben. Die beiden erinnerten sich, dass die Zuschauer sich nicht gemütlich zurücklehnten, sondern ganz vorne auf der Stuhlkante saßen. Jede Nuance war aufregend und wurde voll verstanden: Front-Kabarett im besten Sinne.

Eine ähnliche Situation könnte ich mir persönlich höchstens vorstellen, wenn ich bei einem Encuentro zur Lesung aus meinen Texten eingeladen würde. Die Satire habe es im Fernsehen der Bundesrepublik ja nach wie vor ziemlich schwer, so Schneyder. Darauf Hildebrandt: „Dazu lässt es die DDR gar nicht erst kommen.“

Der offizielle Tango auch nicht.

Von dem legendären Gastspiel kann man noch einen Ton-Mitschnitt erwerben. Verantwortlich dafür ist der Leipziger Journalist Werner Köhler, der diesen damals aber sofort bei den Behörden abzuliefern hatte. Man hatte aber nicht mit einem listigen Toningenieur gerechnet, der von dieser Pretiose eine zweite Kassette hergestellt hatte. Die Doppel-CD ist bei verschiedenen Online-Anbietern noch heute zu beziehen.

Ich erlebe darin eine Sternstunde des Kabaretts, die beweist, welche Sprengkraft Worte haben können – vor allem, wenn sie von einer respektlosen Ehrlichkeit zeugen. Das politische Beben bei den SED-Funktionären währte angeblich noch ein ganzes Jahr. Und die Zuschauer von einst werden sich noch heute daran erinnern.

Werner Schneyder erzählt von ihrem letzten Auftritt, der vor DDR-Kollegen stattfand: Zum Schluss stehende Ovationen und Sprechchöre: „Wiederkommen, wiederkommen!“ Und von Hildebrandts gerührten Satz beim Verbeugen: „Für diesen Abend hat sich der ganze Beruf ausgezahlt.“

Quelle: Booklet der CD

Gute Satire ist stets „respektlos“, weil sie diejenigen ärgert, welche nur eine Meinung kennen: die „richtige“.

So muss es sein!

Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag, herzallerliebster Riedl!

    Besser kann man gar nicht darstellen, was gute Satire ist.

    Und dann haben Sie echt den Mut, sich damit zu vergleichen und können sich eine ähnliche Situation vorstellen? Da fehlen mir echt die Worte - was Sie sehr freuen wird.

    Wie auch immer: Niemand wird sich an Sie erinnern. Ihre "Satiren", die gar keine sind, werden in der Belanglosigkeit untergehen, denn wen interessiert es schon, wenn sich jemand über das Hobby anderer lustig macht? Ich kenne keinen einzigen guten Satiriker, der das gemacht hat und schon gar nicht Schneyder/Hildebrandt.

    Lassen Sie die Menschen, die einfach ihr Hobby ausüben, endlich in Frieden!

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    1. Das würde ich mir von Ihnen auch wünschen.
      Tango wie Kabarett sind Ihnen doch völlig egal. Sie benützen beides doch nur, um mich runterzumachen. Selber habe ich von Ihnen noch keinen längeren Text gesehen. Klar: Mehr als rumstänkern können Sie nicht!

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    2. Herzallerliebster Riedl: Tja, das Leben ist kein Wunschkonzert :-).

      Unterstellen Sie mir nicht, was mir egal oder ist oder nicht.

      Wenn'S von mir was lesen wollen, bestellen Sie sich die Wiener Zeitung in der Nationalbibliothek und lesen'S meine Konzertkritiken. Sind ja genug da.

      Und keine Sorge: Ich mache Sie nicht runter - das tun Sie selber! Und so lange Sie andere Menschen nicht in Ruhe lassen, werde ich hier weiter meine Kommentare schreiben und dabei ist es mir völlig egal, ob Sie diese veröffentlichen oder nicht.

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    3. Na ja, seit 2023 gibt es die „Wiener Zeitung“ in der gedruckten Form nicht mehr. Ich hoffe, es lag nicht an Ihren Kritiken?
      Ich fände es interessant, mal einen Ihrer Artikel zum Lesen zu erhalten. Vielleicht schreibe ich dann eine Besprechung dazu.
      Und ob Sie hier weitere Kommentare anbringen können, hängt nicht allein von Ihrer Entscheidung ab. Es kostet mich zwei Mausklicks – dann bringt hier (außer mir) überhaupt niemand mehr einen Text unter.
      Derzeit wird mir diese Alternative immer sympathischer.

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