Was Blogger unterbreiten sollten
Der Kollege Jochen Lüders veröffentlichte kürzlich einen bemerkenswerten Text: „Über EdOlogie – Eine kleine Psychologie des Musikgeschmacks“. Allen, die ihn noch nicht kennen, sei die Lektüre wärmstens empfohlen!
Der Autor untersucht darin die Gründe für die Popularität der „alten“ Musik in der Tangoszene. Zum Schluss wagt er ein Zukunftsszenario: Wie, wenn eine Tango-Autorität wie der Brite Michael Lavocah (Autor mehrerer Bücher über die EdO-Musik) plötzlich umschwenken und die „Feinheiten“ im Schaffen neuerer Tango-Ensembles wie dem „Solo Tango Orquesta“ preisen würde? Alsbald würden Gurus wie Cassiel auf den aktuellen Zug aufspringen und fragen, wann denn endlich „richtiger Tango“ aufgelegt werde (und nicht das bisherige alte Zeug).
Zugegeben ein reichlich optimistischer
Ansatz, der allerdings einem realistischen Mechanismus folgt:
Die meisten (nicht nur im Tango) finden die Musik gut, welche von Autoritäten
so bezeichnet – und daher oft genug gespielt – wird. Das eigene Urteil dagegen ist
volatil. Schon deshalb, weil Musik bei den meisten heute Tanzenden nicht
zur Kernkompetenz zählt (sonst würde man beispielsweise nicht die ersten
30 Sekunden eines Tangos auf der Piste „verquatschen“). Oder zum 500. Mal zur selben Aufnahme tanzen.
Blogger-Kollege Helge Schütt hat nun dazu (wie nicht selten) einen genialen Einfall in Sachen Lavocah. In einem Kommentar zum Artikel schreibt er: „Warum besprichst Du nicht deine Thesen mit ihm und unterbreitest ihm den Vorschlag mit einem Artikel zum Solo Tango Orquesta?“
Aha, damit die Rangordnung schon mal klar ist: Lüders hat dem bekannten Autor also was zu „unterbreiten“!
Die Replik des Kollegen lautet daher auch:
„Ernsthaft? Ich soll einfach mal so auf eigene Kosten nach England reisen, um mit jemand zu „diskutieren“, dessen Ansicht ich bereits kenne und nicht teile? Die „Diskussion“ wäre sehr kurz: Wir würden feststellen, dass wir einen unterschiedlichen Musikgeschmack haben. Dann erzählt er mir noch was von „feinen Phrasierungen“, „technischer Brillianz“ und „unerreichter Virtuosität“ und das war’s dann.“
Na gut, Lavocah gibt gelegentlich auch bei uns Seminare und verkauft seine Bücher – man müsste also nicht nach England reisen. Zudem es dort meines Wissens auch Internet gibt. Inhaltlich ändern würde das nichts. Wieso sollte der Autor nun umschwenken? Sein Marketing ist an die EdO geknüpft – und so lange die in allen Landen rauf und runter gespielt wird, wäre er doch bekloppt, wenn er seine geschäftliche Tätigkeit umkrempeln würde!
Daher habe ich auch noch nie Gustavo Naveira per Mail gefragt, was er von meinen Ideen hält. Auch als Amateur sollte man die Zeitverschwendung in Grenzen halten.
Klar, dass Helge Schütt nun feststellt, Kollege Lüders sei „an einem echten fachlichen Dialog nicht interessiert“. Tja, wenn der halt zustande käme – und gar noch öffentlich! Wäre in Internet-Zeiten ja grundsätzlich möglich…
Wird aber nicht passieren!
Sind die Zelebritäten des internationalen Tango denn überhaupt an Blogs wie dem von Jochen Lüders oder gar meinem interessiert? Ich fürchte: So gut wie gar nicht! So lange die ihre Shows, ihren Unterricht und anderes Geldwerte praktisch ungestört verkaufen können, tangieren die unsere Texte kein bisschen. Noch dazu, weil sie auf Deutsch erscheinen. Die Musik der EdO und der Schleichtanz dazu beeindrucken immer noch geschätzte 90 Prozent der Szene-Aktiven. Dass wir Blogger mit unseren Artikeln maximal ein Prozent der Tangopopulation auf falsche Gedanken bringen könnten, juckt die Stars kein bisschen – zumal solche Leute vielleicht eh zu den „schwierigen“ Kunden gehören, welche den Maestros nicht jedes Wort von den Lippen ablesen. Das ist somit eingepreist.
Zu den Ausnahmen zählt, dass ich tatsächlich mal die Aufmerksamkeit von Stars wie Nicole Nau oder Ricardo Klapwijk errang – aber das hatte sehr spezielle Gründe, welche eher nicht auf Sympathie mit meinen Artikeln beruhten. Dennoch habe ich mir erlaubt, auf solche seltenen Erfolge stolz zu sein!
Immerhin gelang es mir öfters, Ziel von Beschimpfungen aus der deutschen Tango-Regionalliga zu werden. So schrieb beispielsweise die Berliner Tangolehrerin Ines Moussavi zu meiner Person: „Er ist für mich der Obertroll, nichts was er schreibt, findet meine Zustimmung, und sein Stil ist mir zutiefst zuwider. (…) Mir wäre eine Antwort darauf schon zu viel der Würdigung“ (FB-Post Thomas Kröter, 28.10.19)
https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/10/wo-der-mann-noch-macho-sein-kann.html
Legendär sind ferner die Redeschlachten mit dem deutschen Tangolehrer-Urgestein Klaus Wendel. Na gut, wer Sensationen dieser Art sucht, wird sie auf meinem Blog finden. Stolz bin ich darauf nicht. Ich bin auch kein Blogger, der Verkehrsunfälle filmt, um die Gaffer auf seine Seite zu locken. Daher veröffentliche ich solche Kommentare auch nur, wenn es wenigstens noch um Reste von Inhalt geht.
Nicht ausschließen kann ich, dass manche Tango-Unternehmer so etwas schreiben lassen – aber wie soll ich das beweisen? Klar, ein winziger Stachel im Fleisch der Anbieter sind wir schon. Aber den halten die locker aus – auch wenn sie sich mal ärgern sollten.
Bleibt natürlich die Sinnfrage: Warum machen wir Blogger das überhaupt?
Lüders will immerhin Tango unterrichten. https://jochenlueders.de/?cat=8
Schütt auch. Ich habe das nie angestrebt, und auch den Verkauf meiner Tangobücher habe ich längst eingestellt.
Ich las einmal, wer einen Gedichtband veröffentliche, werfe sozusagen Rosenblätter in eine Schlucht und erwarte ein Echo. Ich glaube, mit einem solchen Motiv sollte man auch Tango-Blogs betreiben.
„Unterbreiten“ werde ich allerdings nichts. Höchstens die Rosen zum Draufsetzen. Damit es ordentlich sticht!
P.S. Und ja, das „Solo Tango Orquesta“ spielt wirklich toll. Man kann sogar dazu tanzen. Das Publikum nahm es gefasst zur Kenntnis:
In der Tat, sehr schöne Performance, die beiden sind, wie sich das für Profis gehört, wunderbar in der Musik. A propos Musik, bei Milonga funktioniert das mit den Zeitgenossen noch einigermaßen, das eher Maschinell-eindimensionale ist ein guter Antrieb zum schnellen, dynamischen Tanzen. Für lyrische Tangos braucht es wohl noch etwas Evolution - selbst die besten Zeitgenossen wirken da, wenn ich die emotionale Ebene mal mit Licht vergleiche, wie Neonröhren, kaltweiß und hart, gegen das nuancenreiche Warmweiß der Edos. Und a propos Altersstruktur, nein, ich glaube nicht, daß es die Musik ist. Ich höre, in Buenos Aires tanzt junges Publikum zu überwiegend Edo-Musik - aber eben weitgehend unter Ähnlichaltrigen. Meine persönliche These ist momentan, daß viele Jüngere hierzulande entweder von der entspannten Sinnlichkeit beim Tango überfordert und abgeschreckt sind, da sind die Argentinier vielleicht souveräner. Oder vielleicht wollen sie auch einfach nicht Party in Gesellschaft von uns alten Säcken machen.
AntwortenLöschenLeider beschäftigt sich die Zuschrift so gut wie gar nicht mit dem Inhalt meines Artikels. Daher erspare ich mir eine Antwort.
LöschenKleiner Tip zum Verständnis: Du schreibst am Anfang was zum Thema "Popularität der Edo-Musik". Dazu äußere ich eben eine Vermutung - es könnte etwas mit der emotionalen Wärme der Musik zu tun haben. Und Du hast natürlich recht, daß der kleine Schwenk zur Frage der Altersstruktur nicht direkt auf den Blogtext Bezug nimmt. Aber so geht das eben manchmal. Man schreibt los - sagen wir irgendwas mit aktueller Politik - und landet dann irgendwie bei "was darf Tangosatire", wenn Du weißt was ich meine. Wobei mir gerade eine nette Parallele zum Tango einfällt: Führen und Folgen - der Führende legt was vor, und entweder folgt die Gegenseite brav oder bietet ein paar eigene Ideen an. Kann man mögen oder nicht.
LöschenJa, nur sollte man sich wenigstens darauf verständigen, miteinander dieselbe Tanzfläche zu benutzen.
LöschenUnd klar, wenn der Autor das Thema weit auffasst, darf dies auch der Kommentator. Er sollte sich aber wenigstens darüber klar werden, worum es in der Hauptsache ging. Dann braucht man nämlich eher keine „Tipps zum Verständnis“.
Ich habe mich in all den Jahren durch diverse Tangoblogs gekämpft und fand es stets nervig, wenn es in den Zuschriften plötzlich um ganz andere Dinge ging. Ich hatte ja einen bestimmten Artikel gelesen, weil mich dessen Thema interessierte – und nicht irgendein Geschreibsel unter dem Motto „Was mir übrigens gerade auch einfällt“. Das möchte ich meinen Leserinnen und Lesern ersparen.
Wer andere, vermutlich ganz neue Ideen hat, darf mir gerne einen Gastbeitrag (Größenordnung 1000 Wörter) anbieten. Oder noch besser: ein eigenes Blog aufmachen.
Ansonsten bitte ich um Verständnis dafür, dass ich thematisch irrelevante Beiträge nicht veröffentliche.
Ich empfange hier "mixed signals". Da Du meine Kommentare veröffentlicht hast, waren sie möglicherweise ja doch thematisch relevant. Ich will natürlich nicht ins Leere kommentieren - vielleicht definierst Du mal sowas wie ein relevant-o-meter, mit einer Skala von 0 für komplett irrelevant bis 100 für total relevant. Ansonsten: ja, ich hatte auch schon drüber nachgedacht, mal wieder zu bloggen. Aber worüber? Musik und Musikalität - nice, aber habe ich so viel Sendungsbewußtsein? Andere Blogs? Die konventionelle Schiene ist durch, der Spaßfaktor geht gegen Null. Vielleicht füttere ich mal ein KI-Tool mit einschlägigen Blogtexten und lasse es dann Beiträge im Stil des jeweiligen Autors verfassen. Nicht sicher, ob das copyrightmäßig okay wäre ( bei Pseudonym-Bloggern wäre das vielleicht ein Spaß an und für sich). Bei solchen mit Klarnamen - wie wärs, gibst Du mir Deine Texte dafür frei?
LöschenTja, lieber Wolfgang, als Blogger darfst du dich dann ausführlich mit dem Urheberrecht befassen. Musste ich auch, da man mich immer wieder beschuldigte, es zu verletzen. Unterricht erteile ich da sicher nicht. Per Suchfunktion kannst du aber eine Reihe von Artikeln finden, in denen ich mich mit dem Thema befasst habe.
LöschenAuf mein Angebot, mir mal einen eigenen Text zur Veröffentlichung anzubieten, bist du ja leider nicht eingegangen.
„Freigeben“ werde ich da gar nichts. Wie wäre es, mal selber Qualität zu liefern? Ansonsten: Halte dich einfach an das Urheberrecht. Muss ich ja genauso.
Was man unter einem Kommentar versteht, kann man in der Fachliteratur nachlesen. Hier als Kurzzusammenfassung: https://de.wikipedia.org/wiki/Kommentar_(Journalismus)
Interessant, dass man heute nach Messgeräten für Dinge sucht, die man früher im Deutschunterricht gratis erhielt…
Das Veröffentlichen von Kommentaren anderer ist für mich stets eine Gratwanderung: Gelingt es mir, ein Minimum an Einsicht zu wecken, oder ist das ein hoffnungsloser Fall? Mach einfach weiter – und du wirst meine Entscheidung mitbekommen!
Den weiteren Käse, der mich dazu noch erreichte, habe ich gelöscht.
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