Wird schon nichts werden

 

„Herr Doktor, der Simulant auf Zimmer 13 ist gestorben.“ „Jetzt übertreibt er’s aber!“ (alter Ärztewitz)

Inzwischen darf ich mich als profunden Kenner diverser Facebook-Schwurbelseiten bezeichnen, auf denen Esoteriker, Heilpraktiker, Gesundbeter und sonstige Weltenretter ihren pseudo-wissenschaftlichen Schmus verbreiten.

Was mir immer wieder auffällt: Fast jede und jeder dort kennt Personen, welche nach der Corona-Impfung an schwersten Nebenwirkungen litten – natürlich ebenso nach dem Einsatz anderer hochwirksamer Medikamente wie Antibiotika. Manchmal werden diese Schäden sogar dann vermutet, wenn der Betreffende gar keine Impfung erhalten hat. Ich habe davon berichtet:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/01/ist-er-geimpft.html

Nun gilt natürlich die alte Apotheker-Weisheit: Je stärker die Hauptwirkung, desto wahrscheinlicher sind auch fühlbare Nebenwirkungen. Dennoch ist es schon seltsam, dass sich bei Menschen, welche der Impfung vertrauen, eher die üblichen Unpässlichkeiten wie Schmerzen im Injektionsbereich, Abgeschlagenheit und kurzes Fieber zeigen. Erzeugen solche Behandlungen die Folgen, welche der Patient erwartet bzw. befürchtet?

Medizinisch ist dieser Effekt längst bekannt: Therapien, welche der Erkrankte für sinnvoll und erwünscht hält, erzeugen oft Besserungen, obwohl nur ein Scheinmedikament verabreicht wurde – die Placebo-Reaktion (lat. „placebo“ – „ich werde gefallen“). Doppelt verblindete Studien werden schon lange so durchgeführt, dass die Hälfte der Probanden den Wirkstoff, der Rest ein Placebo erhält. Wer was bekommt, ist weder den Testpersonen noch den verabreichenden Ärzten bekannt.

Weniger geläufig ist der negative Placebo-Effekt, den man als Nocebo-Reaktion bezeichnet (lat. „nocebo“ – „ich werde schaden“): Ein Medikament oder eine Behandlung, welche der Patient als schädlich ansieht, erzeugt tatsächlich negative Wirkungen.

Beide Mechanismen kann man nicht pauschal mit dem Begriff „Einbildung“ abtun – die positiven oder negativen Auswirkungen sind oft wirklich klinisch messbar:

„Die von den Betroffenen beklagten Nebenwirkungen sind meist Erkrankungen, denen im Allgemeinen ein hoher Grad an psychosomatischen Ursachen zugeschrieben wird. So äußert sich der Nocebo-Effekt üblicherweise durch subjektive Symptome, wie beispielsweise Übelkeit, Kopfschmerzen, Erschöpfung oder Benommenheit. Daneben sind allerdings auch objektive Symptome diagnostizierbar. Dies sind vor allem Hautausschlag, erhöhter Blutdruck und erhöhte Herzfrequenz. Diese Symptome können leicht und von vorübergehender Natur, aber auch chronisch und im Extremfall sogar letal sein.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Nocebo-Effekt

Beim Test neuer Medikamente werden die Probanden normalerweise auf etwaige Nebenwirkungen hingewiesen. In der Größenordnung von 25 Prozent treten diese auch bei denen auf, welche ein Scheinmedikament erhalten haben. Man kennt das ja vom „Abarbeiten des Beipackzettels“: Wenn man dort Dutzende von möglichen Nebenwirkungen zur Kenntnis nahm, welche die Firma aus juristischen Gründen aufgeführt hat, kriegt man auch was davon. 

Diese Wirkung reicht weit über die Medizin hinaus: Ob nur simulierte Stromstöße, Infraschall von Windkraft-Anlagen oder Elektrosmog von Mobilfunk-Sendemasten: Wer Schlimmes erwartet, erhält es häufig auch – obwohl die schädlichen Einflüsse nur vorgetäuscht werden. Das scheint auch für Corona-Impfungen zu gelten:

Forscher des Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston haben gerade in der Fachzeitschrift „Jama Network Open" das Ergebnis einer Meta-Analyse publiziert, die zeigt, dass etwa zwei Drittel der milden Nebenwirkungen nach einer Covid-19 Impfung wohl mit dem Nocebo-Effekt zusammenhängen. Ausgewertet wurden 12 Studien mit insgesamt 44.380 Teilnehmern. Die eine Hälfte der Probanden wurde mit einem der gängigen Corona-Impfstoffe geimpft, die andere Hälfte erhielt eine Spritze mit Kochsalzlösung. In welcher Gruppe sie sind, wurde den Teilnehmern nicht verraten.

Das Forschungsteam um Julia W. Haas hat verglichen, wie oft die jeweiligen Gruppen Impfreaktionen meldeten. Nach der ersten Dosis klagten 35 Prozent der Schein-Präparat-Empfänger über Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Müdigkeit. Bei den tatsächlich geimpften Probanden waren es rund 46 Prozent. Nach der zweiten Impfung klagten allerdings deutlich mehr tatsächlich Geimpfte über Impfreaktionen (61 Prozent) als scheinbar Geimpfte (32 Prozent).

Für die Mit-Autorin Friederike Bender von der Philipps-Universität Marburg liegt das Ganze in der Größenordnung anderer Nocebo-Effekte. Als weiteren Faktor sieht sie die Atmosphäre, in der eine Behandlung stattfindet: Strahle der Arzt Wärme, Freundlichkeit und Kompetenz aus, lassen sich Nocebo-Effekte verringern – ebenso, wenn der Patient das Gefühl hat, über die Behandlung mitentscheiden zu können und gut aufgeklärt wurde.

https://www.br.de/nachrichten/wissen/nebenwirkungen-nach-impfung-die-psyche-spielt-mit,Sv3Ml7X

An der „sprechenden Medizin“ mangelt es heute sehr. Während die Berufskollegen vor 200 Jahren den Dialog mit dem Kranken dringend für ihre Diagnose benötigten, verlässt man sich heute lieber auf bildgebende Verfahren, Labordiagnostik und ähnlich Objektivierbares. Solche Verfahren lassen sich auch besser abrechnen. Zwischen 15,50 und 30,70 Euro kann der Mediziner für das Patientengespräch bei der Kasse verlangen – aber nur einmal im Quartal. Eine Studie ergab, dass der Arzt seinem Gegenüber nach durchschnittlich 18 Sekunden ins Wort fällt. Der Kranke fühlt sich häufig im Schnellverfahren „abgefertigt“.

https://web.de/magazine/gesundheit/arzt-abgefertigt-studien-zeigen-erschreckende-folgen-gesundheit-36574916

Damit verzichten die Schulmediziner auf eine wichtige Waffe gegen Erkrankungen: eben den Placebo-Effekt. Dazu hörte ich einmal den Spruch: Wer als Arzt keine ordentliche Placebo-Wirkung hinbekomme, solle Pathologe werden.

Diese Lücke füllen schon lange die Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker aus, die sich oft eine Stunde und länger mit dem Patienten unterhalten. Das tut nicht nur der Seele gut – in vielen Fällen fördert erst der längere Dialog Krankheitsursachen zutage, während die schulmedizinischen Kollegen oft nur an Symptomen herumdoktern. Auf der anderen Seite wirken etliche naturheilkundliche Methoden halt ausschließlich über den Placebo-Effekt, wie durchaus ernstzunehmende Studien belegen.

Aber gut: Wer heilt, hat Recht. Leider meinen viele Schulmediziner: Wer Recht hat, heile. Ich halte das für eine gewagte Behauptung.

Was aber gar nicht geht: Dass nun heilpraktisch Tätige bei ihren Patientinnen und Patienten unwissenschaftlichen Horror vor Impfungen lostreten. Wenn sich der Nocebo-Effekt schon bei Probanden zeigt, die ja freiwillig an Impfstoff-Tests teilnehmen, kann man sich vorstellen, wie der auf Menschen nach einer esoterischen Gehirnwäsche wirkt. Ich finde, die Naturheilkunde sollte beim Placebo-Effekt bleiben!

Ich lese jedenfalls Beipackzettel nur im äußersten Notfall. Als ich mich vor mehr als zehn Jahren einer Chemo- und Antikörpertherapie unterziehen musste, unterschrieb ich die mehrseitigen Aufklärungsbögen sofort, ohne mich mit dem Inhalt zu beschäftigen. Stattdessen stellte ich mir in Visualisierungen vor, welch tolle Waffen gegen kranke Zellen nun in meinem Körper zirkulierten. Das Ergebnis: Ich absolvierte die Infusionen ohne größere Nebenwirkungen. Und bis heute ist die Krankheit nicht mehr aufgetreten.

Ich kann daher nur dazu raten, ein positives Verhältnis gegenüber Therapien zu entwickeln, zu denen man sich aus Vernunftgründen entschlossen hat – und nicht, sie „trotzdem“ durchzustehen.

Man kann das Thema durchaus auch auf den Tango beziehen: Wem dieser Tanz als eine Betätigung verkauft wird, bei der man vor allem viel falsch machen kann, wird genau das auch tun. Stellt man den Tango als Quelle von Freude und Spaß hin, werden dieselben „Fehler“ zur Nebensächlichkeit!   

Dass beispielsweise Globuli nur dann wirken, wenn der Patient diese Behandlung wünscht, zeigt einer meiner Lieblingswitze:

Eine homöopathisch tätige Heilpraktikerin beschloss, ihren Mann mit Rattengift umzubringen. Sie mischte ihm das Mittel heimlich in seine Getränke – allerdings in der Verdünnung D 12. Daraufhin ging es dem Männe sogar besser als vorher – was die Gattin als Erstverschlimmerung deutete…

Lassen wir das Ganze noch die Bloggerin Mai Thi Nguyen-Kim erklären – die kann das eh besser:

https://www.youtube.com/watch?v=giYDHZV5Y-k

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