Liebes Tagebuch… 54
Vor einiger Zeit hatte ich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils ein
Tangoerlebnis – und über den Kontrast
zwischen beiden Erfahrungen habe ich ziemlich nachgedacht.
Das
erste bestand aus einer längeren Beobachtung auf einer Practica, auf der es ziemlich locker zugeht: Man darf dort einfach
so tanzen oder sich Hilfe holen. Glücklicherweise werden häufig die Partner
gewechselt, so dass ich oft mehr auf dem Parkett bin als auf einer größeren Milonga.
Und, hurra, Platz ist genug – außerdem kommt die
Musik nicht ausschließlich aus
der Traditionskiste!
Genau
ein anwesendes Paar tanzte jedoch ausschließlich miteinander: Beide waren
für den Anlass schon recht tangotypisch ausstaffiert und übten an irgendwelchen
ziemlich schwierigen Bewegungsmustern. Besser gesagt: Die Dame wurde von ihrem
Herrchen „abgerichtet“. Unentwegt
prasselte eine Flut von Erklärungen
auf sie hernieder, in kurzen Abständen zeigte er ihr immer wieder, wie es
aussehen sollte, wobei mich seine Aktionen nicht immer voll überzeugten, er
kochte durchaus mit Wasser…
Vielleicht
lag es ja im Auge des Betrachters – aber einen sehr glücklichen Eindruck machte mir die Belehrte nicht. Eher spürte ich
zunehmende Unsicherheit und Verkrampfung. Und natürlich war sie zu
hundertprozentiger Passivität
verurteilt – tanzen durfte sie nur das, was der Herr und Meister befahl. Dabei
war sie keine schlechte Tänzerin – sie befand sich nur völlig in der Defensive,
konnte und durfte ihre vermutlichen Stärken gar nicht ausspielen.
Die
Musik spielte für die beiden ausschließlich die Rolle des Rhythmusgebers. Kein einziges Mal konnte das Eingehen auf eine
Phrasierung oder gar den Aufbau eines ganzen Tangostücks erkennen. Klar: Zuerst die Schritte – und außerdem bekamen
sie bei des Tangueros Dauervortrag auch kaum etwas von den Klängen mit.
Ich
glaube, ihre Gedanken gingen in die
Richtung: „Oh weh, ich bin nicht gut genug
für ihn." Dabei war es genau umgekehrt: Er hatte eine solche Tänzerin gar
nicht verdient! Vermutlich wird er irgendwann Tangolehrer (wenn er es nicht schon ist), auf dass die Zahl seiner Opfer zunehme.
Als
wir danach im Auto zur Heimfahrt starteten, sagte ich zu meiner Frau: „Des arme Madl“. Sie wusste sofort, wen
ich meinte…
Es
war einen Tag später auf einer „normalen“ Milonga, Atmosphäre und Musik
durchaus vergleichbar: Die mir völlig unbekannte
Tänzerin war mir gleich zu Beginn aufgefallen. Obwohl mir eine genauere
Einschätzung angesichts ihres aktuellen Tanzpartners nicht möglich war, sah
das, was sie mit ihm machen durfte, schon sehr
gut aus: Haltung, Balance, Fußtechnik, Eleganz der Bewegungen. Als sie
einige Zeit später alleine herumsaß, lud ich sie zu einer Tanzrunde ein.
Es
gibt Tangueras, wo du schon im ersten Moment der perfekten Umarmung weißt, was
kommt – und dich darauf freust. Dennoch blieb ich beim ersten halben Stück lieber
beim vorsichtigen Ausloten. Doch immer öfter erhielt ich von ihr diese winzigen Botschaften: „Du, ich könnt‘ da schon noch mehr machen,
wenn du willst. Dann müsstest du mir halt ein bissel mehr Raum geben!“ Na,
gerne doch!
Man
sollte beim Tango nie glauben, dass man schon alles erlebt hat: Was dann
zunehmend folgte, war ein Feuerwerk
von wunderschönen, größeren Bewegungen, Verzierungen und einer breiten Auswahl
aus der Abteilung „höherer Unfug“. Fast wäre ich ein wenig nervös geworden: An
dem, was mir da geboten wurde, musst du viele Jahre stricken, damit es so
wirkt!
Nach
dem ersten Tango strahlten wir einander nur an: Was willst da noch sagen?
Und die folgenden drei Stücke? Die Dame war offenbar wild entschlossen,
ihr gesamtes Repertoire auszupacken,
und ich war heftig bemüht, dabei keine allzu schlechte Figur zu machen. Führen, folgen? Vergiss es! Es waren
wechselseitige Inspirationen, und nur wenn ich ihr deutlich signalisierte, mal
zwischendrin Luft holen zu müssen, stellte sie ihre dynamischen Anregungen
gnädigerweise einen Moment zurück.
Die
„Schritte“? Keine Ahnung, was wir da
zusammengetanzt haben – und ich will es auch nicht wissen!
Ach
ja, und die Musik: Amüsanterweise
waren es vier traditionelle,
ziemlich rhythmische Tangos – und meine
Partnerin verstand jede einzelne Wendung in den Stücken. Na gut – wir haben
wohl zusätzlich einige Synkopen hineingetanzt, welche die EdO-Instrumentalisten
damals noch nicht hinbekamen. So what?
Irgendwann
zwischendurch habe ich meiner Partnerin – gegen meine Gewohnheiten – doch noch
etwas gesagt, das mir am Herzen lag: „Ach,
ist das schön, wenn eine Frau selber so tanzen kann. Da muss man als Mann gar
nicht mehr viel machen!“
Nach
meinen Beobachtungen kann diese Tanguera aber auch „brav“ tanzen – ein Glück für sie in der heutigen Tangoszene. Desto
größer ist wohl ihr Spaß, wenn man sich mal austoben darf!
Rückblickend
hätte ich die Frauen in den beiden
Geschichten gerne ausgetauscht: Was wohl der „Lehrmeister“ aus der Practica mit
meiner kreativen Tänzerin anfangen würde? Hätte sie sich von ihm derartig bequatschen und herumdirigieren lassen?
Und wäre es mir gelungen, das „arme Mädel“
davon zu überzeugen, dass man selbstbewusst
und mit Spaß tanzen darf, auch wenn
das manche Herren anders sehen?
Und
ich erwarte gar nicht, dass man mir meine Geschichten glaubt. Nein, der Mann
führt, die Frau pariert, wichtig
sind vor allem die Schritte, Anfänger muss man mit dem Kreuz traktieren und
Tango lernt man nur in offiziellen
Kursen bei zertifizierten Lehrern.
Wer hier nicht dreht, ist ein Depp * www.tangofish.de |
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