Gesunde Szene für München
„Verantwortliche,
die sich selber suchen,
finden
sich in der Regel nicht.“
(Werner
Schneyder)
In
der ansonsten ziemlich meinungsfreien Facebook-Gruppe „Tango München“ tut sich
seit heute Unglaubliches: Beim Tango in der bayerischen Landeshauptstadt wird Elite- und Cliquenbildung beklagt!
Ich
habe mir diese Debatte sofort kopiert, da nach meiner Erfahrung kritische
Beiträge dort unter hohem Löschungsrisiko stehen. Sollte der Link noch
funktionieren:
https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen/permalink/10154313625616186/?pnref=story.unseen-section
(Wusste ich's doch: Inzwischen ist der Link gelöscht...)
(Wusste ich's doch: Inzwischen ist der Link gelöscht...)
Anmerkung:
Zur sprachlichen Schmerzreduzierung habe ich alle Zitate (bis auf das letzte)
in fast fehlerfreies Deutsch verwandelt.
Ein
Tangotänzer legt dort mit unglaublichen Ansichten vor:
„Es gibt etwas, was
ich im Tango liebe. Den Kontakt. Es gibt etwas, was ich im Tango hasse. Den
Elitismus. Dass ich in den Unterricht von X gehen muss, um mit Y zu tanzen.
Dass ich zum Grüppchen P gehören muss, um mit Q tanzen zu dürfen. Ein Wahnsinn,
den ich dachte, nur in Barcelona gesehen zu haben. Ein Inzest, der den Tango in
München nicht weiterbringt. Ein Tanzen mit immer denselben, das niemanden
weiterbringt. Und ein Kämpfen um die wenigen Schüler, das eine Stimmung
erzeugt, die alle Neuankömmlinge abschreckt. Anstatt miteinander zu arbeiten einander wegzubeißen in dieser Stadt, in der niemand mit dem Tango reich werden
wird. Machen wir aus München eine Stadt, in der wir nicht mit Elitismus
entscheiden, mit wem wir tanzen, sondern mit dem Herzen. Eine Stadt, in der wir
Lust auf die Begegnung mit den anderen haben. Dann werden viele Schüler mehr da
sein, um die sich niemand prügeln muss. Ich habe jedenfalls keine Lust mehr auf
das Cliquentanzen. Echt nicht. Lieber mit dem Herzen tanzen. (…)
Ich möchte wirklich
nicht mit jemandem tanzen, den ich nicht mag und wo die Kommunikation im Tanz
nicht stimmt. Und das will ich auch niemandem mit mir zumuten.“
Meine
erste Reaktion war: Na klar, so geht es im Münchner Tango (und wohl auch an
anderen Orten) doch seit vielen Jahren zu – was ist daran neu?
Als
meine Frau und ich zwischen 2002 und 2010 sehr oft auf Münchner Milongas waren,
machten wir häufig ganz ähnliche Erfahrungen: Veranstalter (speziell argentinische),
denen wir jahrelang das Geld auf ihre Events trugen, marschierten mit
unverändert glasigem Blick an uns vorbei. Gern gesehen wurde es, wenn ich mit
allen herumsitzenden einsamen Herzen tanzte, während man meine Partnerin auf
ihrem Stühlchen schmoren ließ. Um Tango-VIPs, welche (meist mit größerer
Entourage) auf Milongas einmarschierten, wurde ein Getue veranstaltet, das an
die 1.Mai-Aufmärsche in sozialistischen Staaten erinnerte…
Eines
der „Gründungsmitglieder“ der Münchner Szene, Ralf Sartori, schrieb schon 2007
in seinem Buch „Tango in München“ über Tangolehrer-Kollegen:
„Manche offenbarten
bereits – allgemein gesprochen – bei unscheinbarsten Anlässen eine so possessiv
kontrollierende oder erpresserische Mentalität, dass man sich, verbunden mit
dem Kult, den solche Lehrer nicht selten um ihre Person pflegen, an das
Verhalten von Sekten-Gurus erinnert fühlt. Ohnehin neigen Aficionados des Tango
öfter dazu, ihn mit dem Nimbus des Religiösen zu umgeben. Eine Konstellation,
die dann an Skurrilität und Peinlichkeit kaum mehr zu überbieten ist.“
(Ein
„Shitstorm“ gegen solche Aussagen blieb übrigens aus – der war dann mir
vorbehalten, als ich 2010 in meinem Tangobuch zu ähnlichen, eher lustiger
klingenden Einschätzungen kam.)
Für
den Wahrheitsgehalt solcher Beobachtungen spricht, dass der anfangs zitierte Verfasser
auf Facebook durchaus Zustimmung erhält:
„Diese ‚elitäre‘ Cliquenbildung
wird auf manchen Milongas leider zelebriert. Clique, zur Schau getragene
Arroganz und Elitärgehabe ist häufig nichts anderes als Unsicherheit und zeugt
nicht selten von einem mangelnden Selbstbewusstsein. Kommt nicht nur im Tango
vor.“
„Ich weiß auch nicht,
woran es liegt. Ich komme aus Barcelona und dort hat man viel mehr Partnerwechsel
gemacht. Es war ganz normal, bei einer großen Milonga mit acht Frauen zu
tanzen. In München, wenn ich mit drei Frauen tanze, bin ich sehr zufrieden.“
Höchst
amüsant finde ich es aber, dass nun ein Tanzlehrer, den ich aus meinen
Münchner Zeiten noch gut als „Obercliquen-August“ im Gedächtnis habe, ganz
unbefangen das Wort ergreift:
„Ich bin jetzt sehr
gespannt auf diese Diskussion, denn wenn ich in deinen Duktus einschwenken
darf: Jetzt werden hier alle schreiben, wie recht du hast. Keiner wird dir
großartig widersprechen. Diese Erkenntnis ist nämlich weder neu noch besonders
schwer zu erlangen. Und trotzdem ändert sich nichts.
In den 90er-Jahren
haben sich die ‚normalen‘ Tanzschulen in München gegenseitig mit gerichtlichen
Klagen überzogen, Leute abgeworben, Plakatwände wurden direkt vor der
Konkurrenz gebucht und die eigenen Gäste bedroht, wenn sie auf die Tanzparty
der anderen Tanzschule gingen, bekamen sie Hausverbot. Diese Zeiten sind zum
Glück vorbei. (…)
Ich mache lieber was,
jammere nicht so gern und bin vielleicht naiv, aber was wäre, wenn wir all die
oben genannten Leute (…) zusammensetzen und z. B. ein großes Beginner-Festival
machen.“
Sogar
einen kostenlosen Raum will der Gute – nach Verzehr einer ordentlichen Portion
Kreide – für solch löbliche Kooperation zur Verfügung stellen. Na, das muss ja
was werden! Oder?
Oder
nicht: Die Idee einer Zusammenarbeit wird in regelmäßigen Abständen durchs
Milllionendorf gejagt. Schon Ralf Sartori schwärmt in seinem oben zitierten
Buch von einer „Tango-Cooperativa München“.
Geworden ist aus solchen Ideen nie etwas. Und warum? Weil dazu ein Minimum an
sozialer Begabung gehören würde.
Logischerweise
befindet sich die Diskussion auf Facebook nun schon wieder im Rückwärtsgang:
Fallweise mal Grenzen überschreiten und mit einer Fremden respektive Anfängerin
tanzen… na gut, wenn’s denn sein muss! Ansonsten aber doch lieber innerhalb der
eigenen, erlauchten Kreise:
„Als Anfängerin habe
ich das auch gemacht, ich fühlte mich als Opfer dieser guten Tänzer, die mich
einfach links liegen ließen...! Heute, mit einem besseren tänzerischen Niveau,
mache ich z.T. genau dasselbe. Ich suche mir die Tänzer viel sorgfältiger aus
und ignoriere einige Cabeceos.“
„Dass nun Tänzer
lieber mit Tänzern ihres Niveaus oder darüber tanzen, ist eine Binsenweisheit,
gilt für alle anderen Tänze ebenso und wohl auch für viele andere Sportarten
und Lebensbereiche. Z.B. verspricht Bayern München gegen Real Madrid mehr
spannenden Fußball als Bayern gegen FC Sandhausen. (…) Ich kann mich da auch
selbst nicht ganz ausnehmen, denn ganz selbstverständlich tanze ich anfangs
überwiegend mit Tänzerinnen aus meinem Freundeskreis.“
Man
sollte allerdings hinzufügen, dass dies nur für den Münchner Fußball gilt –
beim Tango-Leistungsniveau in der bayerischen Metropole wäre Preußen Münster gegen ESV Lok Berlin-Schöneweide der
treffendere Vergleich!
Und
immerhin bleibt ja gegen soziale Missstände unsere geliebte Allzweckwaffe, der Cabeceo:
„Und das Auffordern
mit Cabeceo hat ja schließlich den Grund, dass man es vermeiden möchte,
jemanden zu brüskieren. Ich bin sehr froh, dass es diese Form des Aufforderns
im Tango gibt und möchte es nicht anders!
Ich finde z.B. in Berlin
gerade den unangenehmen ‚Rumtigern-Trend‘ schrecklich. Männer laufen unruhig
hin und her durch den Saal auf der Suche nach einer Tänzerin. Und sie
ignorieren die Signale. Es gibt fast kein Entrinnen, will man nicht unhöflich
werden. Wenn sie ruhig mit Blickkontakten suchten, tanzten viel mehr Damen mit
ihnen.“
Nun
weiß ich endlich, was meine Partnerin damals in München – noch in den Zeiten
vor dem traditionellen Tango – falsch gemacht hat: Sie hat einfach nicht
geguckt! Die Männer allerdings auch nicht…
Und
auch der Auslöser des ganzen Facebook-Palavers zieht nun die verlängerte
Wirbelsäule ein: „Ich bin nicht radikal
genug. Ich bin zu harmoniesüchtig.“
Da
die Situation zwar hoffnungslos, aber nicht ernst ist, möchte ich den Schlusskommentar einem Facebook-Schreiber
überlassen, bei dessen Text ich mich zu Korrekturen außer Stande fühlte:
„Ist tango ein
Spiegel von dem taglichen gesellschaftlichen verhaltniss?wenn ja ist das
logisch,aber auf jeden fall muss mann nicht unterschatzen dass jemandem der gut
tanzt hat er viel muhe gegeben und ausserdem die tango gesicht vom anfang pruft
das elitistische verhaltnis war ein consequence auch vom educative perspectiven
eingesetzt.beziehungsweise die ehrfahrende tanzer haben ein pflicht die
anfanger zu helfen unterstutzen und erziehen was ist los in a monga,warum ist
das wichtig cabeseo zu machen usw zum schluss haben die weniger ehrfahrende
tanzer die pferpflichtung zu warten.respektieren funktioniert auf jeden fall
und ein prinzip qualitat des tango tanzes ist uns 3 respektierte munute zu
teilen.“
Ich
glaub, das mein‘ ich auch…
Na DIE Kennmelodie klingt eher wir Bachata.
AntwortenLöschenAber halt! Nein! Die kam je erst später nach Deutschland. Oder hat der Fendrich das schon gekannt? Zutraun würd man´s ihm.
Andererseits, wird wohl doch irgendwie Tango sein.
Is ja eh alles irgendwie Tango...
Wir Älteren wissen noch, dass es sich um einen Calypso handelt! Aber Harry Belafonte ist nun auch schon 90.
LöschenMir ging es hier jedoch ausnahmsweise eher um den Text...
Die 'Begründung', warum mit so vielen Frauen nicht getanzt wird ("Ich will auf meinem Nivo bleiben"), geht an der Wirklichkeit vorbei. Frauen werden deshalb nicht betanzt und Männer von den einheimischen Eingeborinnen 'bekörbert', weil sie fremd sind, weil sie nicht dazugehören. Beweis: Die Damen werden nicht aufgefordert, die Körbe verteilt, bevor die Nicht-Dazugehörigen überhaupt zum Tanzen kamen! Denn die Ignoranten schauen gar nicht auf die Tanzfähigkeit, die sie mit ihrem mageren Repertoire meist gar nicht beurteilen können; sie schauen nur darauf, ob ihnen das Gesicht bekannt ist. Wenn nein, dann eben nein. Wir wollen doch nicht besser sein als Schimpansen!
AntwortenLöschenJa, das männliche Heldentum ist beim Tango schwach ausgeprägt. Der Grund: Ein Mann ist nur in der Horde stark, möglichst mit Uniform, da er sich dort dem Gruppendruck der Mitmänner zu unterwerfen hat. Und wenn dann halt Tapferkeit befohlen wird...
LöschenIm Tango würde er allein einer fremden Frau gegenüberstehen. Ein vermeidbares Risiko!
Frauen knüpfen eher Einzelbeziehungen. Daher ist im umgekehrten Fall die Korbchance relativ gering. Es mag aber Milongas geben, wo die Ladies von der Szene genügend elitär sozialisiert sind. Aber auf solche Events gehe ich kaum!
Gelesen und gelacht! Danke :-)
AntwortenLöschenDer Poster Andre Dino Deutsch
Verbindlichsten Dank!
LöschenDu hast ja selber gemerkt, welch heißes Eisen das Thema in der Münchner Szene darstellt.
Lustig finde ich, dass du einen Haufen Likes für deinen Post bekommst und ich nun - inhaltlich gar nicht weit davon entfernt - mal wieder der Böse bin.
Aber Schauspieler wissen: Das ist die interessanteste Rolle!
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschenwas ich gut fand in der Diskussion ist der von M.K. eingestellte Link zu einem Artikel von Veronica Toumanova, was es wohl auf den Tango bezogen bedeutet "sozial" zu sein. Der spricht mir eigentlich am meisten aus der Seele.
Und ich bezweifle auch, dass es zB. in R oder in Entenhausen anders zugeht.
Neugierig gemacht hat mich diese FB-Diskussion auf jeden Fall - jetzt muss ich nur schauen, wie ich mal nach M komme.... ;-)
Liebe Grüße in den Süden
Liebe Sandra,
Löschenna ja, München ist tangomäßig schon ein besonderes Pflaster - aber ich möchte dir die Vorfreude nicht verderben. Komm selber und schau's dir an!
Den Artikel von Veronica Toumanova wollte ich neulich eigentlich schon besprechen. Dann kam mir das Münchner Gedöns in die Quere. Kommt aber noch!
Liebe Grüße
Gerhard
Übrigens hat es dieser Beitrag nun in der Zugriffsstatistik auf Platz 2 von allen 416 Artikeln gebracht.
AntwortenLöschenWenn es den Münchner Tango nicht gäbe, müsste man ihn erfinden...