Kamele und das Nadelöhr
Kürzlich
erblickte ein neues Blog das gedimmte Licht der Tangowelt:
„Danceandsew“ nennt die Herausgeberin
Ursula Assmann ihre Website, in der
es – wie der Titel sagt – um Nähen und Tanzen geht: Nach Beschäftigung mit
anderen Bewegungsformen wie Ballett, Jazz und Flamenco hat sie vor sieben
Jahren den Tango entdeckt. Nadelseits bietet sie handgearbeitete Milonga-Utensilien
wie Kleidung, Fächer und Schuhtaschen. Und, noch schöner, seit wenigen Wochen veröffentlicht
sie auch Texte zum Tango!
Meines
Wissens bewegt sich die Autorin in der sehr konservativen Tangoszene Münchens sowie
auf Encuentros – und 2015 habe ich von ihr schon einmal gehört, als sie mich im
Kampfgetümmel des „Münchner Cabeceo-Krieges“ wissen ließ, sie sei „oft schlichtweg
entsetzt, wie Satire hier zu persönlichen Angriffen missbraucht wird. Es gibt
mehrere Beiträge, die einfach verletzend sind und eine erschreckende Intoleranz
zur Schau tragen.“
Ich fürchte, sie meinte meine Artikel…
Umso überraschender, dass sie nun für ihren
neuesten Text eine Überschrift wählte, die von mir sein könnte: „Tango der Langeweile“. Worum geht es?
Vor einiger Zeit habe sie eine unerfreuliche
Entdeckung gemacht: Tandas, die sie
langweilten. Sie meine damit nicht das Leiden in Schraubstock-Umarmungen
und durch heftiges Herumgezerre – da kämpfe Frau ja „ums Überleben“.
Mit dem „Figurenrepertoire“
der zugehörigen Tänzer habe das nichts zu tun: „Die meisten Tänzerinnen
wollen keine hektische Aneinanderreihung von akrobatischen Meisterleistungen,
die möglicherweise wochenlange teure Osteopathietermine bescheren.“
Worum es wohl im Kern ginge, sei mangelnde Musikalität. Vielleicht habe die
Autorin eben „das Pech, zu viel zu hören,
alle Noten dazwischen, zu viele Instrumente, all die Pausen, Verzierungen,
Spielereien der Orchester“. Aber diese Angebote vernähmen viele Männer
einfach nicht – allenfalls wanderte man somit im Takt dahin.
Führen sei sicherlich eine schwierige Aufgabe, und Ursula Assmann möchte den Tangueros auch nicht pauschal
unterstellen, sie nähmen zu wenig Unterricht, seien „faul, geizig“ oder litten an „gnadenloser
Selbstüberschätzung“. Ihr Resümee: „Was
Not täte, wäre eher die Eigeninitiative. Mehr Tangos hören, wirklich hören,
lernen, die Musik zu verstehen und sie zu interpretieren. Dazu braucht es nicht
mal einen Kurs, davon gibt es auch nicht arg viele. Vermutlich liegt das daran,
dass das keinen interessiert und keiner kommt..... So ist das mit Angebot und
Nachfrage.“
Letztere Aussage wundert mich im Einzugsgebiet von Theresa Faus schon sehr: Die bietet doch gerade zu solchen Themen
seit Jahren gut besuchte Seminare ohne Ende – zeigt das alles so wenig Wirkung?
Doch beginnen wir am Anfang: Es freut mich sehr, dass nunmehr eine
Vertreterin des traditionellen Tango immerhin feststellt, bei diesem löblichen
Tun könne gelegentlich Langeweile aufkommen! Ja, was denn sonst?
Welches Publikum lockt man denn an, wenn man den Tango seit Jahren vorwiegend auf
Formalismen wie Aufforderungsweise, Verkehrsregeln auf dem Parkett und
Beinhebeverbote reduziert, wenn man propagiert, wie simpel dieser (!) Tanz doch
zu erlernen sei? Welche tänzerischen Begabungen zieht man auf die Fläche, wenn
man modernere Aufnahmen mit ein paar Ritardandi, Accelerandi, Pausen und
rhythmischen Variationen als „untanzbar“ abtut? Wundert man sich anschließend,
wenn es auf der Piste nicht gerade von Nurejews
wimmelt? Auf „Eigeninitiative“ warten, wenn man
den Tango mit Reglements zubetoniert? In diesem Zusammenhang halte ich den Optimismus
der Verfasserin für – gelinde gesagt – mutig.
Natürlich hat sie mit ihrer Analyse und vor allem ihrer
abschließenden Forderung recht – tragischerweise ist ihr jedoch nicht klar, wie
sehr: Dazu müsste man aber wieder Menschen für den Tango gewinnen, die sich diesem
Tanz kreativ und ohne Scheuklappen nähern. Mit „anarchisch“ (wie die Schreiberin in einem anderen Beitrag es
nennt) hat das genau nichts zu tun – allerdings ebenso wenig mit engstirnig, kleingeistig
und talentfrei.
Selbstredend enthalten schon traditionelle Tangoeinspielungen musikalische
Feinheiten, die man vertanzen könnte, sollte man sie hören. Welch ein Reichtum
erschlösse sich aber erst, wenn man die „tanzbaren Stücke“ nicht auf die Jahre
bis 1955 begrenzen würde! Die Kamele, welche man derzeit durch die Ronda treibt,
passen durch dieses Nadelöhr freilich nicht: Die Karawane zieht weiter…
Bei Feuerwehrleuten, so las ich einmal, gilt hinsichtlich der Verpflegung die Regel: „Ein Tofugericht kann man verbessern, indem man es vor dem Servieren durch Schweineschnitzel ersetzt.“
Bei Feuerwehrleuten, so las ich einmal, gilt hinsichtlich der Verpflegung die Regel: „Ein Tofugericht kann man verbessern, indem man es vor dem Servieren durch Schweineschnitzel ersetzt.“
Thomas Kröter, dem ich den Hinweis
auf diesen Artikel verdanke, hat bereits auf einen anderen Aspekt aufmerksam
gemacht: „Besonders wichtig finde ich die Eigeninitiative: Eine Partnerin, die nicht nur ‚brav‘
macht, was ich führe und im Zweifel ihre Verzierungen beisteuert, sondern als
selbstständiges Wesen zu Charakter und Dynamik unserer gemeinsamen tänzerischen
Interpretation der Musik beiträgt – und mich im besten Fall auf Ideen bringt,
auf die ich ohne sie nicht gekommen wäre. Man/frau darf das ruhig Dialog
nennen. Womit wir mal wieder bei der immer wieder aufpoppenden Debatte über Führen
und Folgen wären, ob die beiden Begriffe überhaupt angemessen sind...“
Nein, sind sie nicht! Und daher als Tipp für
die Autorin, welche ja die Zeiten im Tango nicht mehr mitbekommen hat, als dies
noch Allgemeingut war: Man muss sich als Tänzerin nicht der Langeweile ergeben,
sondern kann zumindest versuchen, die Initiative zu ergreifen und eigene
Impulse beizusteuern. Und sollte der betreffende Langweiler-Tanguero dies dann
mit dem Satz kommentieren: „Das habe ich
aber nicht geführt“, so kann ich kann ich nur Peter Ripotas legendäre
Antwort empfehlen: „Das habe ich aber getanzt!“
Ursula Assmann bleibt es nun überlassen,
meine Zeilen als hilfreich oder zumindest interessant zu sehen, wieder über
satirische Grenzüberschreitungen zu lamentieren oder das Ganze in guter
Münchner Tradition zu ignorieren. Nicht nur hierbei plädiere ich für eine
Absenkung der Empfindlichkeit: Eingangs schreibt sie ja, Tangueras kämpften auf
der Piste manchmal „ums Überleben“. Nun,
aufgrund der Erzählungen meines Vaters, der als Kriegsgefangener fünf Jahre
Sibirien überlebt hat, habe ich zu diesem Thema etwas andere Vorstellungen. Und
schließlich wollte ich ja – den Kalauer kann ich mir nicht verkneifen – an dem
besprochenen Artikel nur einige Abnäher hinterlassen…
Gerne gehe ich auch auf das Angebot der Schreiberin ein: „Und ich schwöre, der nächste
Tänzer, der bei Di Sarli die Synkopen tanzt, bekommt den
Tango-Musikalitäts-Orden verliehen....“ Liebe Ursula, dann
komm doch zu unserer nächsten Wohnzimmer-Milonga! Ich lege eine Tanda des
Meisters auf, und dann tanzen wir nicht nur die Synkopen! Den Orden brauche ich
allerdings nicht.
Hier der Originaltext: https://danceandsew-shop.de/blog/tango-der-langeweile
Zur Facebook-Diskussion über Gerhards Artikel mit Theresa Faus und Thomas Kröter:
AntwortenLöschenNur ungern und daher selten mische ich mich in digitale Diskussionen ein. Vielleicht weil ich einer Generation und/oder einer (aussterbenden?) Spezies angehöre, die in Texten/Dialogen noch Kohärenz, gedankliche Entwicklung zu suchen gewohnt ist.
Daher wende ich mich hilfesuchend an die versierten „digitalen Freunde“ mit der Bitte, mir die Zusammenhänge des Facebook-Dialogs zu erklären, den ich heute las:
Es ging um Gerhards Blogbeitrag: „Kamele und das Nadelöhr“ (14.2.2017)
Altmodischerweise fasse ich (ohne Anspruch auf Vollständigkeit!) den Inhalt des Blogbeitrags zusammen:
Ursula Assmann, die Gerhard übrigens früher einmal scharf kritisiert hat, beschreibt in einem Text, auf den er durch Thomas Kröter aufmerksam wurde, Erkenntnisse, die seinen ähneln – zu seiner Freude – klar! Ihre Äußerungen stellen den Anlass des Blogbeitrags dar:
Ursula spricht von „Langeweile beim Tango“, die vor allem durch mangelnde Musikalität des Tänzers/der Tänzerin entstehe.
Gerhard ergänzt ihre Ausführungen, da diese eigenen Erlebnissen entsprechen, in kritisch formulierten Vorschlägen zur Abhilfe, die derzeit jedoch leider realitätsfern scheinen:
Größere Bandbreite der Musikstile, keine vom musikalischen Tanzen ablenkenden Meta-Reglementierungen, Förderung der Kreativität und Vermeidung der Angst, irgendwelchen „Anforderungen“ (von wem?) nicht zu genügen.
Die Reaktionen:
a) Gerhard stilisiere sich zum „aufrechten Rebellen“, indem er die Verkrampfung zum Mainstream deklariere.
b) Nicht jeder „Paranoiker“ werde nicht verfolgt. (Komplizierte doppelte Verneinung – kommunikationstechnisch problematisch – was ist nun gemeint?)
Meine Fragen zu a und b:
1. Wo befinden sich in diesen beiden Reaktionen irgendwelche (qualifizierten) Aussagen zum Thema „Langeweile beim Tanzen“?
2. Kann man ein „aufrechter Rebell“ gegen Verkrampfung sein? Selbst wenn irgendwer die Verkrampfung zum „Mainstream“ deklarieren sollte oder sie tatsächlich so omnipräsent ist. Vielleicht sollte man Psychologen oder Soziologen fragen, wie verkrampft unsere Gesellschaft ist…?
Ich fürchte, diese Bezeichnung im gegebenen Kontext stellt eine Beleidigung gegenüber Menschen dar, die wirklich rebelliert haben, weil sie beispielsweise in unerträglichen politischen Verhältnissen lebten.
Oder sollte das ironisch sein, jemanden ins Lächerliche ziehen, der sich – übrigens in weitgehender Übereinstimmung mit der Autorin des zitierten Textes – für seine Meinung einsetzt? Meinungsfreiheit adieu?
3. Inwiefern passt eigentlich hier der Ausdruck „Paranoiker“, also ein Begriff aus der Psychologie bzw. aus psychiatrischen Gutachten? Liegt ein solches vor oder wurde es gar schon in Auftrag gegeben? Was hat Paranoia – eine Krankheit (!) - damit zu tun, dass jemand bezüglich - seiner Ansicht nach – herrschender (Miss-) Zustände hartnäckig eine bestimmte Meinung vertritt? Menschen, die „anders denken oder sind“, mit Krankheiten zu assoziieren, hat einen unangenehmen Beigeschmack.
Gerhards Antwort, er poste sein eigenes geistiges Eigentum und nicht das anderer und die Ablehnung seiner angeblichen Rebellenrolle wegen der zu geringen Bedeutung seiner Gegner:
Diese Antwort ist das Einzige, das für mich als Textkohärenz entsteht:
Anstatt einer Diskussion über eine Sachfrage entstand ein Schlagabtausch über Gerhards Person, die er zurückweist, da sie eine Themaverfehlung darstellt.
Ich bin kein Facebook-affiner Mensch. Und solche oberflächlichen sowie völlig themafernen Ein- oder Zweizeiler als Reaktion auf einen mit viel Sorgfalt geschriebenen Text bringen mich diesem Medium nicht näher…
Hermann Hesse hat in seinem „Glasperlenspiel“ das „Feuilletonistische Zeitalter“ beschrieben, unser heutiges bereits in den 1940-er Jahren genial vorwegnehmend. Viel Erkenntnis bei der Lektüre!
http://www.buecherlei.de/fab/hesse/feuill.htm
Ich darf sicherheitshalber hinzufügen, dass ich diesen Kommentar nicht "bestellt" habe. Wer meine Frau kennt, der weiß, dass dies aussichtslos wäre. Karin entscheidet äußerst souverän, was sie für gut, schlecht bzw. kommentarwürdig erachtet!
LöschenErstmal...gut geschrieben, unterhaltsam und informativ (ich meine Deinen Post, Gerhard...das andere Blog sehe ich mir gleich noch an).
AntwortenLöschenIch persönlich hätte einem deutschsprachigen Blog keinen wortspielerischen englischen Namen gegeben...aber das ist ja Geschmackssache.
Wirklich schade, dass mir wohl einige unterhaltsame Sachen entgehen, aber Facebook ist, abgesehen vom gelegentlichen Drüberfliegen, für mich immer noch eine no go-Area bzw das Äquivalent zu einem failed state. Na ja, vielleicht werden sie ja demnächst anständig reguliert und müssen sich an die selben Spielregeln halten wie andere Medien.
Macht nix, vielleicht fasse ich die Diskussion auf FB mal in einem weiteren Artikel zusammen.
LöschenDerzeit arbeitet man sich eh wieder mal mehr an meiner Person denn am Inhalt des Artikels ab.
Ansonsten ist beim Tango die Flucht in die Fremdsprachen ja weit verbreitet: hispanisierte Künstlernamen, englische Blogtitel (oder japanische Pseudonyme...).
Danke jedenfalls für das Lob!
Point taken...
AntwortenLöschenNix für ungut, aber wenn sich der Ball schon halbhoch auf den Elfmeterpunkt herabsenkt...
LöschenViele sehen eben nur ganze Rudel von Pudeln, und vermeinen das böse zu erkennen, und meistens sind es doch nur fluffige Pudels.
AntwortenLöschenDer Funken der Erkenntnis geht dann bei dem ganzen Fell unter.
Aber bei einem, mindestens einem, schlägt der Funken immer, wirklich immer, tatsächlich Feuer, meist im bösen - aber immer auch mal wieder im guten, und um genau diese guten, um die geht es jedem Schreiber(Künstler, Dichter, Texter, Musiker... Tänzer?), oder?
Hoffen wir auf weitere Funkenschläge, immer schön weiter Hämmern... (\m/)
Soweit ich den sicherlich literarisch anspruchsvollen Text verstanden habe und er sich auf mich beziehen sollte:
AntwortenLöschenFunken entstehen nur, wenn man auf etwas Solides schlägt: Schon das begrenzt die Wirkung von Tango-Satire.
Gut oder böse? Diese Kategorien sagen mir nicht viel - kommt sehr auf die persönliche Perspektive an.
Ich beobachte halt Geschehnisse oder Entwicklungen und schildere meine Gedanken dazu - völlig subjektiv. "Draufhauen" klingt mir da zu heftig, aber auch das ist Ansichtssache.
Danke für den Beitrag!