Das Streben der anderen
Auf
der Facebook-Seite eines bekannten, aber nicht namentlich genannt sein
wollenden Tangobloggers entdeckte ich eine Empfehlung des folgenden Textes, den
ich nun übersetzt habe. Er stammt von dem Tango-DJ Konrad Krynski aus Budapest, der ein Blog mit dem Titel „Tango Music for All“ führt. In seiner
Selbstbeschreibung ist er ein enthusiastischer Tangotänzer, passionierter
Musiksammler und Veranstalter regulärer Milongas.
Wie
man aus einem verlinkten Interview mit ihm erfährt, kam der gelernte Gitarrist
über Piazzolla-Stücke zum Tango. Inzwischen legt er – seffaständlich – kaum noch
Aufnahmen nach 1960 auf. Allerdings dürfe es gelegentlich ein bisschen moderne
Musik schon sein, da man ja die Jugend anlocken müsse. Das alles jedoch eh
unter der Überschrift: “I think that
in every case a DJ should adjust to the audience and not vice versa.”
(Statt „Publikum” darf man wohl „Veranstalter” einsetzen…)
Näheres
dazu hier:
Nun aber zum Blogartikel von Konrad Krynski:
Gute
contra populäre DJs
Was macht einen guten
DJ aus – was einen populären? Sind alle populären DJs gut bzw. alle guten
populär? Ich denke, das sind sehr interessante Fragen, und ich will Ihnen meine
Antworten dazu geben. Obwohl es schwierig ist, möchte ich in diesem Beitrag nicht
zu wertend klingen. Ich möchte hier lediglich meine bescheidene Sicht
beitragen.
Ich meine, dass nicht
alle populären DJs gut sind. Und es gibt viele großartige DJs, welche nicht
populär sind. In diesem Text verstehe ich unter „populär“, dass man häufig auf
Events hoher Qualität zum Auflegen eingeladen wird. Wie ist das möglich? Es
klingt doch nicht korrekt und fair, oder?
In meiner Sicht gibt
es nur einen Grundstoff, der einen guten DJ ausmacht: die Musik, die er spielt –
ganz einfach, nicht mehr und nicht weniger. Aber es gibt einige Elemente, die
einen populären DJ ausmachen. Ich möchte sie unter die Oberbegriffe Musik,
persönliche Erscheinung und Selbstvermarktung stellen. Die Musik ist das wichtigste,
aber persönliche Eigenschaften sind ebenfalls sehr einflussreich. Eigenwerbung
wird wohl überbewertet, spielt aber auch eine Rolle. In einer mehr bildhaften
Weise würde das so aussehen:
Einflüsse ein guter DJ ein
populärer DJ
Musik 100 50
persönliche Erscheinung 40
Eigenwerbung 10
(…)
Sie sind vielleicht
überrascht, aber es ist meine feste Überzeugung, dass persönliche Aspekte fast
so wichtig sind wie die Musikauswahl, wenn wir an die Gründe der Popularität
denken. Dazu zählen positive Einstellung, Lächeln, physische Attraktivität,
tänzerisches Können, Zahl der Freunde, Charisma etc. All das ist absolut
positiv, macht aber die Musik von niemand besser.
Warum also spielen
solche Elemente eine so große Rolle? Es gibt zwei Gründe dafür: Der erste ist
völlig offensichtlich: Positive, lächelnde, gut tanzende Leute mit Charisma und
Freunden geben Veranstaltungen einen Mehrwert. Sie locken mehr Teilnehmer an
und machen Veranstaltungen erfolgreicher und vergnüglicher.
Nach meiner Meinung
wird der heutige Tango zum Markt, ähnlich wie der für Konsumgüter und
Dienstleistungen. Mehr und mehr werden Tangoveranstaltungen zu Marken mit einer
klaren Marketing-Strategie dahinter. Tango DJs bilden einen wichtigen Teil
dieser Strategie (z.B. die coolsten DJs für den coolsten Event).
Der andere Grund,
wieso persönliche Aspekte einen DJ in bedeutendem Ausmaß populär machen, ist…
die Ignoranz der Veranstalter. Einige von ihnen haben schlicht keine Ahnung von
Musik oder achten nicht genug auf sie. Ich habe Fälle erlebt, wo DJs eingeladen
wurden – auf der Basis einer Empfehlung eines Freundes eines Freundes eines
Freundes… Das ist respektlos gegenüber den Teilnehmern und riskant für den
Erfolg der Veranstaltung.
Das letzte Element
ist die Eigenwerbung. Kommerziell gesehen: Ein DJ ist ein Dienstleister, und
Dienste verkaufen sich besser, wenn man dafür Werbung macht. Es gibt zwei Wege
dafür: den direkten (z.B. Kontakt zum Organisator mit der Bitte um einem Job)
oder den indirekten (z.B. viel Getue auf Facebook, ein eigener Youtube-Kanal
oder ein Blog). Bleiben Sie dran… ich habe eine Facebookseite, einen
Youtube-Kanal, und Sie lesen mein Blog. Heißt das, ich… ?
Ich habe überhaupt kein Problem mit der Eigenwerbung von DJs. Was ich nicht
schätze, ist, wenn DJs sich profilieren, indem sie z.B. tanzen oder extrem nett
zu jemand sind, nur weil er oder sie Veranstalter sind. Mich öden auch die DJs
ein wenig an, welche in den sozialen Medien keine interessanten Inhalte bieten,
sondern weitgehend Werbung (z.B. Facebookseiten mit nichts anderem als DJ-Auftrittsplänen
oder Youtube-Kanälen, die Stücke nochmal publizieren, die in der Vergangenheit
schon viele Male veröffentlicht wurden).
Zusammengefasst:
Alle drei Elemente (Musik, persönliche Aspekte und Eigenwerbung) wirken
sich auf die Popularität eines DJ aus. Es ist verständlich, warum die letzten
beiden Faktoren eine Rolle spielen. Gleichzeitig ist es sehr bedauerlich, dass
diese so wichtig sind. Einige wirklich großartige DJs spielen nicht oft auf
Veranstaltungen, nur weil persönliche Erscheinung und Selbstvermarktung nicht
zu ihren Gunsten arbeiten. Und umgekehrt legen manche DJs oft auf, weil sie
cool und attraktiv sind, weil sie gut tanzen oder eine Menge Werbung machen.
Ich glaube nicht, dass dies ein großes Problem ist, aber es ist wichtig, dass
Tangotänzer und Veranstalter darauf achten. Mehr Aufmerksamkeit bei diesem
Thema würde eine bewusstere Auswahl bedeuten – und bessere Musik bei den
Veranstaltungen.
(Hier der Originaltext: http://tangomusic4all.blogspot.de/2016/02/good-vs-popular-djs.html?spref=fb)
Seit der Tango (nicht nur in
Argentinien) zu einem Wirtschaftszweig geworden ist, kann man wohl viele
Einsichten des Autors nicht von der Hand weisen. Von Tangoveranstaltern weiß
ich um die lange Schlange von DJs, Musikern, reisenden Lehrerpaaren sowie Schuh-
und Kleiderverkäufern, die vor ihrer Pforte stehen und ihnen teilweise ziemlich
aggressiv auf die Pelle rücken (Honorardebatten inklusive). Und mehr auf die
Musik achten – da rennt der Autor bei mir offene Türen ein (die sich allerdings
wohl nicht dort befinden, wo er meint…).
„Tango-Musik
für alle“ legt er jedenfalls nicht auf – det wüsst‘ ick…
Dennoch: Gehört es zu den Eigenheiten
des Musikgeschäfts, dass sich die Künstler mit einem Kartoffelsack über der
Birne vor jeder persönlichen Wirkung schützen? Ich bin da skeptisch.
Meine Zweifel wurden eindrucksvoll
bestätigt, als ich mich einmal auf der Facebook-Seite des Herrn Krynski umsah:
Reihenweise bunte Bildchen von Veranstaltungen, bei denen er auflegt – dazu Fotos
eines lächelnden, smarten, gut aussehenden jungen Mannes hinter dem Pult,
wahlweise mit und ohne Kopfhörer.
Und er hat 2185 Facebook-Freunde… Irgendwelche eigene Texte zur selbst getroffenen Musikauswahl – Fehlanzeige!
Und er hat 2185 Facebook-Freunde… Irgendwelche eigene Texte zur selbst getroffenen Musikauswahl – Fehlanzeige!
Somit sollte man vielleicht die obige
Tabelle noch ergänzen:
Einflüsse ein guter DJ ein
populärer DJ Konrad Krynski
Musik 100 50 10
pers.
Erscheinung 40 40
Eigenwerbung 10 50
Fazit: Die anderen
sollen gefälligst auf Selbstdarstellung verzichten!
P.P.S Einen halben Tag nach Erscheinen meines Beitrags schickte mir Konrad Krynski eine "Gefällt mir"-Angabe für meine Facebook-Seite. Immerhin eine subtile Reaktion – Kompliment!
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