Birkenbihl, die Männer und der Tango



Vera F. Birkenbihl (1946-2011) war eine deutsche Managementtrainerin und Sachbuchautorin. Sie gilt als einzige bekannte Frau in diesem Bereich.
Beeinflusst wurde sie sicher von ihrem Vater, dem Personal Trainer und Unternehmensberater Michael Birkenbihl.
1970 hielt sie erste Vorträge in den USA, Mitte der 1980-er Jahre entwickelte sie eine spezielle Methode des Sprachenlernens. Sie verkaufte über zwei Millionen Bücher. Ihren besonderen Erfolg verdankte sie der Verknüpfung ihrer Ideen mit einem umfangreichen Literaturstudium und der Einbeziehung modernster Forschungsergebnisse. Dies gab sie dann an Manager, Trainer und das breite Publikum weiter.
Ihre fulminante Wirkung auf die Zuhörer kommt weniger von ihrem Äußeren, sondern durch eine herausragende rhetorische Begabung, mit welcher sie auch schwierige Zusammenhänge anschaulich und unterhaltsam darstellte.

Durch Zufall stieß ich auf einen Vortrag der Trainerin zum Thema „Männer und Frauen“ – und war hingerissen! Und obgleich die Rednerin sicherlich nie Tango getanzt hat und wohl darüber nicht mehr weiß als der Durchschnitt der Bevölkerung, ging mir zu unserem Tanz eine ganze Lichterkette auf!

Bei ihrer Besichtigung der Spezies „Mann“ kommt sie zum Ergebnis, dass in diesem Geschlecht die Extreme vorherrschen: In Prüfungen erreichen mehr Männer Spitzennoten, allerdings ist auch ihr Anteil bei den Durchfallern höher. Im Schnitt haben Frauen bei uns die besseren Noten, höhere Anteile beim Abitur und bei Studienabschlüssen – in den Vorstandsetagen jedoch: fast Fehlanzeige!

Männer leiden auch weit stärker als Frauen: Sie begehen drei Viertel aller Suizide, verursachen zwei Drittel der Verkehrsunfälle mit Personenschaden und stellen fast 95 Prozent aller Gefängnisinsassen. Beinahe egal, welche Statistik man bemüht – ob Geschwindigkeitsüberschreitungen, zu dichtes Auffahren, Alkohol, Drogen oder Gewaltkriminalität: Stets haben die Männer die (oft gerötete) Nase deutlich vorn!

Als generelle Ursache sieht Vera F. Birkenbihl das männliche Hormon Testosteron, welches Aggression und Sexualität pushe – zwei Faktoren, welche für sie untrennbar verbunden sind.

Tatsächlich bewerten Männer Gewalt in Videoszenen dramatisch weniger heftig als Frauen: Auf einer Skala von 1-7 sähen Frauen eine Vergewaltigung durchschnittlich bei 6,5 – Männer bei 3,5. In einem anderen Test wurden folgende Fragen gestellt:

1.    Darf man beim Kartenspiel mogeln?
2.    Ist es okay, zu lügen, um des eigenen Vorteils willen?
3.    Ist es okay, zum eigenen Vorteil zu betrügen?
4.    Ist es okay, zu diesem Zweck eine Körperverletzung zu begehen?
5.    Wie sieht es zu diesem Zweck mit Mord und Totschlag aus?

Bei fast allen Fragen geht das männliche Geschlecht weiter als das weibliche:
Lügen würden notfalls 74 Prozent, betrügen 50, eine Körperverletzung könnten sich noch 25, selbst Tötungsdelikte noch 15 Prozent vorstellen. Nur das Mogeln im Kartenspiel wird von den Männern rundheraus abgelehnt, während dies die meisten Frauen durchaus okay finden!

Wieso diese Diskrepanz? Männer orientieren sich an Regeln, während Frauen eher situations- und partnerbezogen denken.

Das identitätsstiftende soziale Gebilde ist für Männer die Horde (siehe das Gebrüll von Fußballfans):

„Eine Frau kann einem Mann nicht sagen, dass er ein richtiger Mann ist. Daher tendieren diese dazu, sich mit anderen Männern aufzuhalten. (…) Männer neigen zur Hordenbildung und Frauen zu Grüppchen. Das heißt, Frauen gehören mehreren kleinen Grüppchen an, mit denen sie kommunizieren, Männer möchten einem möglichst großen Verband angehören, je größer, desto besser. (…)

In einer Horde gilt nur das interne Gesetz der Horde. Gesetze der Zivilisation sind quasi außer Kraft gesetzt. Hordengesetz Nummer eins ist Konkurrenz: Jeder konkurriert um einen besseren Platz in der Hierarchie der Horde. (…) Das Gremium ist die Horde im Zustand der Veredelung. Gremien ohne Agenda nennt man Stammtische… Beliebte Disziplinen dort: Sprüche klopfen und Witze erzählen.“

Eine wichtige Ursache maskuliner Fehlentwicklungen sieht die Autorin in der „Entvaterung“ seit Beginn der Industriegesellschaft: Während Männer früher zu Hause oder in der nahen Umgebung arbeiteten, sind sie heute flächendeckend außer Haus – wenn sie die Frau nach ein paar Jahren nicht eh verlassen haben. Jungen sind umgeben von weiblichen Wesen: von der Hebamme über die Kindergärtnerin bis zu den Lehrerinnen. Geeignete männliche Rollenvorbilder sind selten – ersatzweise werden sie den Medien oder der gleichaltrigen Horde entnommen. Die Schule favorisiert weibliche Begabungen: über Probleme zu reden statt etwas praktisch auszuprobieren – bis hin zum Schönschreiben.

Dermaßen vorgeschädigte junge Männer müssen dann mit einer zunehmend permissiven Gesellschaft klarkommen – Kirche und Staat trennen sich, jedem ist selbst überlassen, wie er leben will: „Früher waren Gesellschaften geschlossen. In einer geschlossenen Gesellschaft ist ganz klar: Es gibt Gesetze, was, wo, wer, mit wem, jeder weiß Bescheid… und das versuchen ja Männer weltweit krampfhaft zurückzuholen und die Zeit zurückzudrehen – siehe Taliban – da fühlen sie sich wohl, wenn ganz klar die Regeln feststehen, nach denen gespielt wird. (…) In einer permissiven Gesellschaft, da sind Männer verunsichert.“

Die Ursache für viele Selbstmorde sei die Anomie, also das Fehlen von Regeln, ein Versagen vor den vielen sich bietenden Freiheiten.

Spätestens da fiel mir der Tango ein! Seither bin ich felsenfest davon überzeugt, dass die ganze Propagierung allfälliger Regeln („Códigos“) eine männliche Erfindung ist. Ein Mann muss sich dem Tanz ja einzeln stellen, Aug in Aug mit einem femininen Individuum, und sich in seinem Tun auch der Einschätzung der übrigen Damen unterwerfen: für ihn der reine Horror! Klar, dass er dann zumindest strikte Tanzregeln fordert, welche auch die Konkurrenz mindern (siehe Ächtung „extravaganter“ Figuren oder von „Selbstdarstellung“ auf dem Parkett). Und zumindest ideell möchte er sich mit der Horde der „traditionellen Tänzer“ verbunden fühlen! Denn auch beim Tango benötigt er die Solidarität seiner Geschlechtsgenossen: „Männer definieren ihre Identität fast ausschließlich über andere Männer. Frauen über Menschen.“

Klar auch, dass mich vor allem die Herren angreifen, wenn ich den Nutzen des üblichen Tangounterrichts in Frage stelle: „Ein Mann zu sein, geht einher mit Mühe, mit einer Anstrengung, die von der Frau anscheinend nicht gefordert wird. ‚Zeig, dass du ein Mann bist‘, so lautet die permanente Herausforderung, mit der ein männliches Wesen konfrontiert wird. Die Beweisführung muss mittels Leistung erfolgen.“

Auch zu den verbreiteten „Parkett-Benutzungsregeln“ berichtet Vera F. Birkenbihl Interessantes: „Männer orientieren sich an Regeln und Karten, Frauen an Orientierungspunkten. Frauen sind also flexibler, wenn sich das Umfeld ändert, soweit einige der Orientierungspunkte erhalten bleiben.“

„Landkarten“ wie die folgende können daher nur von Männern stammen:
Frauen würden die konkrete Tanzrichtung eher an der jeweiligen Situation festmachen – also nicht zu nahe an ein anderes Paar aufrücken, dessen vermutlichen Bewegungsweg einschätzen usw.
Die Herren dagegen – das weiß jede Frau – fragen ums Verrecken nicht nach dem Weg: Sie haben ja ihre Karte…
Ebenso ist der Schmus von der Verschmelzung des einzelnen Paars mit der Ronda eine typisch männliche Wunschvorstellung – eins werden mit der Horde!

Auch die unterschiedlichen Sinnesleistungen der Geschlechter sind Thema des Seminars. Seither bin ich endgültig davon überzeugt, dass der Cabeceo – trotz gegenteiliger Beteuerungen – den männlichen Bedürfnissen angepasst ist: Des starken (?) Geschlechts Vorzug ist ja der engwinkelige, aber auf die Weite fokussierte „Tunnelblick“. Frauen sind da mit einem weiten, aber nicht weit reichenden Sehfeld eher benachteiligt. Und dass die Blinzelei vor allem die Damen vor Nötigung schützen soll, ist angesichts der eher lockeren männlichen Einstellung zu Gewaltfragen völlig unglaubwürdig!

Originalton Birkenbihl: „Frauen machen Augenkontakt, um höflich Nein zu sagen. Daraus schließen Männer: Wenn sie „Nein“ sagt, meint sie „Vielleicht“. (…) Wenn Sie eine Frau sind und Sie kommen in solche Situationen, sollten Sie immer eine gute Sonnenbrille mit dunklen Gläsern so auf der Stirne tragen – und dann zack – Brille runter!“

Im Gegensatz dazu verfügen Frauen über ein deutlich schärferes Gehör. Wenn also die vorwiegend männlichen DJs sich über filigrane Hörunterschiede austauschen, sehe ich die Motivation eher in der maskulinen Freude an teurem Spielzeug. Lustig ist dann die Bekundung von dieser Seite, man habe erst in Jahren die Feinheiten der traditionellen Tangomusik entdeckt. Kann ja sein, Jungs, aber diese Details (und viele andere) haben die Mädels schon längst vorher vernommen. Kein Zweifel: Frauen tanzen musikalischer!

Auch für mich als Blogger liefert der Vortrag eine wunderbare Erklärung dafür, dass es in den sozialen Medien (also "digitalen Horden") vor allem die Männer sind, welche jede vernünftig gemeinte Diskussion schnellstens vom Thema weg zu einer Status-Streiterei verkommen lassen:

„Männer machen Bündnisse und Seilschaften, d.h. strikt hierarchisch. Frauen suchen Bindungen und bauen Netzwerke. (…) Für Männer ist Kommunikation – neben der Mitteilung – immer auch ein Machtinstrument. Für Frauen ist Kommunikation etwas, das verbindet. (..) Frauen suchen die Nähe und Männer natürlich die Distanz.“    

Fazit

Die Referentin plädiert nachdrücklich für ein „Teamwork“ von Mann und Frau, um die jeweiligen Stärken zu kombinieren – aber unter Bewahrung der Eigenständigkeit: „Unreife Paare versuchen, zu einer Tempelsäule zu verschmelzen – jeder muss also die Hälfte seiner Persönlichkeit zum Fenster rausschmeißen.“ Birkenbihl hingegen plädiert für zwei getrennte „Säulen“, über welchen man ein Dach von Gemeinsamkeiten erbaut. So bleibt jeder der Partner bei sich und kann doch das Verbindende unterstützen.

Welch schönes Bild für den Tango!

P.S. Bei manchen Zitaten referiert die Autorin Quellen anderer Verfasser. Einzelheiten kann man dem Video ihres Vortrags entnehmen:

Kommentare

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