Angst essen Tango auf
„Steht
das Schwein auf einem Bein,
ist der
Schweinestall zu klein.“
(„Bauernregel“ der
Bundesumweltministerin
Barbara Hendricks mit
Tangobezug)
Längst
habe ich es aufgegeben, bei Texten vorauszusagen, welche Aufmerksamkeit sie in
der digitalen Tangowelt finden, und erst recht, welchen Wirbel das auslöst.
Bei
dem Artikel „Lässigkeit - Warum sie dich satt und glücklich
macht“ von Birgit
Faschinger-Reitsam wäre ich sonst wieder einmal völlig verblüfft gewesen.
Worum
geht es? Es ist ein Plädoyer, sich gerade in reiferen Jahren mehr um sich
selber zu kümmern, nicht mehr nur für andere zu funktionieren:
„Ich glaube, Lässigkeit hat sehr viel mit Loslassen zu tun. Zum Beispiel den Wunsch nach dem ewigen perfekt sein wollen. Dahin kommen wir nach vielen Jahren, in denen wir es anderen recht machen wollten. Um gelobt zu werden. Um ein Lächeln zu ernten. Bis wir irgendwann resigniert erkennen, dass das Lächeln denen geschenkt wird, die sich nicht abmühen.“
Da die Autorin auch Tango tanzt, sieht sie durchaus Bezugspunkte
und Gegensätze, beispielsweise zwischen dem verkrampften „Etwas-Hinkriegen-Müssen“ und entspannt-laszivem Genießen.
Hier der sehr lesenswerte Originaltext:
Der Wirbel entstand wohl dadurch, dass der Tangokollege und
Multi-Poster Thomas Kröter den Text
auf seiner Facebook-Seite verlinkte und dabei von „lustfeindlich verkrampftem Leistungsdenken in Teilen der Tangoszene“ sprach.
Erwähnung fand dann auch mein jüngster Blogtext, in dem ich mich
mit der „Langeweile“ befasste, welche nun sogar schon eine Vertreterin der konservativen
Tango-Szene beklagt hatte.
Dies alles führte zu einer munteren Debatte, in welcher es
teilweise sogar um Inhalte ging: Was denn lustfeindlich und verkrampft sei, wenn man daran arbeite, besser zu
tanzen? Dies sei eine „unverschämte
Polemik“.
Könnten diejenigen, welche viel üben, dabei nicht auch eine Menge
Spaß haben?
Seien die Befürworter des Lustprinzips im Tango nicht eher
solche, „die sich selbstgefällig für gut
genug halten und nichts zu verbessern wünschen“?
„Der
Eindruck könnte entstehen, dass man der bessere, weil *unverkrampftere* Tänzer
ist, wenn man ganz naiv und ohne technisches Können und Wissen dahertanzt... das
ist das Aus für Schulen, Lehrer, Workshops, Festivals....“
Teilweise wohl schon. Wäre das so schlimm? (Gemeint ist: für die
Tänzer!) In meinen Tango-Anfangsjahren gab es von alledem nur sehr wenig bis
gar nichts. Tanzten wir damals schlechter? In hoffentlich nicht allzu
nostalgisch verklärter Erinnerung meine ich: nein.
Den Vorwurf, mich „im
Tango nicht weiterentwickeln zu wollen“ musste ich mir wiederholt machen
lassen – speziell von einem nicht genannt sein wollenden Blogger, der seit
Jahren für ein Rollback des Tango in versunkene Epochen trommelt. (Allein diese
Kombination ist Satire von höchster Qualität!)
Ebenso werden meine skeptischen Gedanken zur Wirksamkeit von Tangokursen
gerne so interpretiert, dass ich Tanzunterricht ablehnte. Das ist natürlich
Unsinn!
An der Art, wie ich heute tanze, ist mein ursprünglicher
Tangounterricht von zirka zwei Jahren mit vielleicht 20 Prozent beteiligt. Den
Rest verdanke ich meinen vielen Tanzpartnerinnen, abwechslungsreicher Musik und dem Besuch von
zirka 3000 Milongas. Das alles bedeutete für mich immer wieder neue
Herausforderungen, bei denen ich viel hinzugewann – und das bis heute bei jedem
Tanz auf dem Tangoparkett!
Jeder Mensch lernt anders und muss daher seinen eigenen Weg zum
Tango und dessen Umsetzung in Bewegung finden. Schon darauf nimmt das Angebot
von Tangolehrern kaum Rücksicht. In den meisten Fällen bietet man schlichte
Schulstunden mit der Primitiv-Methodik „Vormachen-Nachmachen“.
Es ist natürlich jedem unbenommen, nach dem Finden eines für ihn
passenden Unterrichts zu üben, so viel er will und kann. Die Frage ist halt, wo,
wie und mit wem er dies unternimmt. Das Feedback entscheidet. Und selbstredend
darf es Menschen geben, welche den Tanz eher sportlich oder als gesellschaftlichen Zeitvertreib sehen.
Mein Eindruck ist aber, dass sich in der Tangoszene eine
zunehmende Ängstlichkeit und Verkrampfung breit macht. Andere mögen das nicht
so sehen. Aus einer Fülle von ähnlichen persönlichen Eindrücken zwei Erlebnisse:
Neulich kam nach einer Milonga eine Tänzerin in die Garderobe,
die wohl eher noch am Anfang steht. Sie besuche jedoch ziemlich oft Tangokurse.
Nach diversen Lobsprüchen hatte sie eine Frage an meine Begleiterin und mich,
die ich zunächst gar nicht kapierte, und daher nochmal nachfragte: Wie lange es
denn bei uns nach dem Beginn beim Tango gedauert habe, bis wir dann Spaß an der
Sache gefunden hätten? Unsere entgeisterte Antwort: Wir hatten Freude vom
ersten Tag an! Ich weiß nicht, ob sie uns glaubte - sie jedenfalls schien
dieses Gefühl noch nicht erlebt zu haben. Ihrem Tanzpartner gehe es vor allem um Figuren, sie aber habe das Gefühl, nicht weiterzukommen.
Noch nicht lange her ist auch eine andere Veranstaltung in einem
Umfeld, in dem Anfänger seit einiger Zeit ziemlich rigide auf „Parkettbenutzungsregeln“
und ähnliches dressiert werden. Ergebnis: disziplinierte Ronda im
Zeitlupentempo, Minischrittchen und keine Spur von Spaß oder gar musikalischer
Umsetzung. Mein (natürlich nur geflüsterter) Kommentar: „Na prima – tanzen können die zwar nicht, aber dafür kennen sie alle
Regeln!“
Mein Fragen sind halt: Macht man Menschen Mut, wenn man ihnen
vorwiegend erzählt, was im Tango alles verboten sei? Was zur „tanzbaren“ (d.h.
erlaubten) Musik gehöre und was nicht? Wie man korrekt und ohne „sexuelle
Nötigung“ aufzufordern habe? Was der „richtige“ bzw. „falsche“ Fuß sei? Welche „Fehler“
man beim Tanzen begehen könne? Dass der Mann alles führen und die Frau in allem
folgen müsse?
Ich meine, das Ganze erzeugt eher Angst. Auch hierzu ist vor
einigen Tagen ein sehr empfehlenswerter Text meiner Blogger-Kollegin Manuela Bößel erschienen:
Aktuelle Ergänzung (7.3.20):
Ich
fürchte, meine Anmerkungen zur „Angstkultur“
im Tango, die ich vor gut drei Jahren veröffentlichte, bestätigen sich derzeit
in einer Weise, die selbst für mich so nicht vorhersehbar war:
Die
bisherige Furcht, in sexuell
nötigender Weise aufgefordert zu werden, einen Korb zu kriegen, sich zu „nicht
tanzbarer Musik“ bewegen zu sollen (noch dazu mit einer ungeeigneten Partnerin)
oder in der Ronda von einem Neo-Hintern gerempelt zu werden, wird nun getoppt vom
Pandemie-Virus namens Corona.
Akribisch
verfolgt man Infektionen auf fernen
Encuentros, ja sagt bereits reihenweise auch hiesige Milongas ab, faselt von biblischen Weltuntergangs-Szenarien. Andererseits musste ich mich
gerade wieder auf Facebook belehren lassen, „lediglich
Impfbefürworter und Pharmalobbyisten“ würden eine
Grippe-Schutzimpfung befürworten. Fazit: Ob nun Seuche oder der Schutz dagegen:
alles brandgefährlich!
Diese
Hysterie kommt nach meinem Eindruck meist aus genau der Ecke, wo man auch
vorher schon im Tango die oben beschriebenen „Gefahren“ beschworen hat, anstatt auf etwas zu setzen, was diesem
Personenkreis offenbar völlig fehlt: Das Urvertrauen,
welches die Welt insgesamt als freundlich und nicht vor allem bedrohlich
ansieht.
Wie
ich bereits mehrfach betonte: Ich kann jeden verstehen, der in der aktuellen
Situation Milongas meidet. Nur
sollte er es vielleicht auch unterlassen, in die sozialen Medien Panik, dubiose medizinische Sichtweisen oder gar Verschwörungstheorien
hinauszublasen.
Momentan
sind in Deutschland 684 Corona-Infektionen bestätigt. Da sind,
gemessen an der Gesamtbevölkerung, 0,00082
Prozent. Wenn wir großzügig von rund
0,001 Prozent oder 0.01 Promille ausgehen, bedeutet das momentan: Statistisch ist jede hunderttausendste
Person, welcher ich auf einer Milonga begegne, infiziert. Wenn ich
besonderes Pech habe, steckt die dann auch noch mich an, und ich bekomme im
Regelfall eine leichte Erkältung. Bei gigantischem Pech gehöre ich zu den
wenigen, bei denen die Krankheit einen schweren, im Einzelfall tödlichen
Verlauf nimmt.
Angst begründet Herrschaft. Und schwächt das Immunsystem.
Glückshormone stärken es.
Daher plädiere ich in höchst ökologischem Sinne auch im Tango für Freilandhaltung mit genügend Auslauf. Die oben zitierte „Bauernregel“ könnte man dann vielleicht lustfreundlicher umformulieren, wie es Dieter Hallervorden mit deutlichem Spaßfaktor gelang:
Glückshormone stärken es.
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Daher plädiere ich in höchst ökologischem Sinne auch im Tango für Freilandhaltung mit genügend Auslauf. Die oben zitierte „Bauernregel“ könnte man dann vielleicht lustfreundlicher umformulieren, wie es Dieter Hallervorden mit deutlichem Spaßfaktor gelang:
Tierischer Tango
da wackelt das Kotelett und manches Kilo Fett.
Wiegt sich Schweinebauch an Schweinebauch im Takte,
das geht beiden ins Ragout und ins Gehackte.
Fragt der Eber dann die Sau: „Wirst du heut' mein?"
Sagt sie einfach nur: „Mein Schatz,
heut' hast du Schwein."
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