Freispruch für El Hotzo
Was darf die Satire? Diese Frage beantwortet Kurt Tucholsky mit seinem höchst provokanten „alles“.
Jüngst fällte eine Berliner Amtsrichterin ein Urteil, welches diese Feststellung zu bestätigen scheint: Sie sprach den Comedian „El Hotzo“ (Sebastian Hotz) frei.
Worum ging es? Als der damalige Präsidentschafts-Kandidat Donald Trump ein Attentat nur knapp überlebte (er wurde von einer Gewehrkugel an der Ohrmuschel getroffen), veröffentlichte der Komiker in den sozialen Medien einen Post, in dem er Trump mit „dem letzten Bus“ verglich und feststellte: „knapp verpasst“. Dazu der Satz: „Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben."
Das war der Staatsanwaltschaft zu viel: Obwohl der Urheber seine Sprüche wegen des heftigen Protests im Netz schon nach einer Viertelstunde löschte, lautete die Anklage auf Volksverhetzung. Nach § 130 StGB ist es verboten, den öffentlichen Frieden durch Hetzereien zu stören, die Einzelne oder Personengruppen böswillig heruntermachen und zum Hass gegen sie aufstacheln.
https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__130.html
„Auch Satiriker stehen nicht über dem Gesetz“, so der staatliche Ankläger. Er beantragte eine Geldstrafe von 6000 €. Man dürfe kein Klima schaffen, in dem Angriffe auf staatliche Funktionsträger gedeihen könnten.
„Das Spiel mit der Provokation macht meinen Beruf aus“, so die Verteidigung des Künstlers. Auch schlechte und geschmacklose Sätze seien geschützt.
Die Justitia tat sich eh schwer mit diesem Fall. Schon vorher hatte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten die Eröffnung des Verfahrens abgelehnt – erst eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft beim Landgericht führte dann zum Prozess.
Auch jetzt war der Anklage kein Erfolg beschieden: Es handle sich um „straflose Satire“, so die Richterin – geschmacklos hin oder her. „Man muss sich streiten können über gute und schlechte Meinungen“, so die Urteilsbegründung. Kontroverse Diskussionen seien sogar wünschenswert in einer demokratischen Gesellschaft.
Theoretisch hätte die Staatsanwaltschaft noch Berufung oder Revision einlegen können. Nach meinem Kenntnisstand ist das aber nicht erfolgt. Die Rechtsmittel wären wohl erfolglos geblieben – auf die liberale Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe ich mehrfach hingewiesen. Die Presse- und Kunstfreiheit hat bei uns Verfassungsrang.
So ganz glücklich ging die Sache für „El Hotzo“ dennoch nicht aus: Der öffentlich-rechtliche ARD-Sender Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) beendete die Zusammenarbeit mit Hotz beim Jugendsender „Fritz“.
https://web.de/magazine/unterhaltung/stars/freispruch-el-hotzo-begruendet-richterin-41208886
Ich sehe das Urteil zwiespältig. Einerseits beruhigt es mich, dass bei uns Gerichte sich weigern, über künstlerische Stilfragen zu urteilen. Der Justiz wird derzeit viel zu viel aufgeladen – zumal von den Parteien, die Niederlagen in den Parlamenten gerne vor Gericht ausmerzen wollen. Der Rechtsstaat entwickelt sich immer mehr zum Rechtsmittelstaat.
Auf der anderen Seite steht für mich fest: Illegale Gewalttaten zu billigen bedeutet ein Spiel mit dem Feuer. Gut – vieles ist nicht so gemeint. Weiß das auch irgendein durchgeknallter Vollidiot, der solche Sprüche als Legitimation sieht, real zur Waffe zu greifen? Und welcher „Schreibtischtäter“ fühlt sich dann dafür verantwortlich?
Mit Gewalt spiele ich nicht – auch nicht in Worten. Und ich vergesse hoffentlich nie, dass es sich bei den Zielen von Satire um Menschen handelt, deren Würde der Artikel 1 unseres Grundgesetzes schützt.
Weiterhin sollte man nicht übersehen: Bei einem juristischen Freispruch handelt es sich um keinen positiven Intelligenztest!
Lächerlich finde ich es aber, wenn in der Tangoszene neben der Achterbasse das Beleidigtsein zum neuen Grundschritt wird. Neuerdings wird mir beispielsweise vorgeworfen, Hauptschüler zu verachten… Ich sage da mit Kurt Tucholsky: Habt euch nicht so!
Bei seinem berühmten Artikel „Was darf die Satire?“ sollte man nicht nur die Überschrift und das letzte Wort kennen:
„Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle – Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte – wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (›Schlachtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‹), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übelnähmen.“
https://tucholsky-gesellschaft.de/1919/01/27/ignaz-wrobel-was-darf-die-satire/
An den Anfang seines Textes setzt Tucholsky ein Zitat aus Gerhart Hauptmanns Drama „Einsame Menschen“:
„Aber man muss doch seine Freude haben können an der Kunst.“
„Man kann viel mehr haben an der Kunst als seine Freude.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Einsame_Menschen
Was darf die Satire? Jedenfalls mehr als sie kann!
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