Expertise, Expertise…
Nach eigenem Bekunden interessiert den Tangolehrer Klaus Wendel nicht mehr, was ich schreibe. Na ja – meine Texte scheint er dennoch genau zu verfolgen!
In einem Kommentar habe ich neulich meine pädagogische Ausbildung als Gymnasiallehrer beschrieben, was den Kollegen zu einer heftigen Gegenrede veranlasste.
https://milongafuehrer.blogspot.com/2025/07/der-tango-auf-dem-stillen-ruckzug.html#comments
Hier einige Zitate (selbstverständlich verkürzt und verfälscht):
„Gerade im Tango, wo viele glauben, durch bloßes Beobachten oder Mitreden Expertise erworben zu haben, entstehen schnell Irrtümer, die dann selbstbewusst als Wahrheit verkauft werden.“
Falls er mich damit meint: Ich habe mir zur Regel gemacht, keine „Wahrheiten“ zu verkünden. Ein solcher Anspruch ist generell problematisch – im künstlerischen Bereich zeugt er von ziemlicher Ignoranz. Was ich veröffentliche, sind Beobachtungen, Gedanken, Meinungen – stets absolut persönlich und subjektiv. Man muss mir nichts glauben – Wendel schon, weil er sonst schnell muffig wird.
Er schreibt:
„Ich habe sehr wohl eine fundierte Ausbildung im Tango genossen, und das zu einer Zeit, als in Deutschland kaum jemand überhaupt wusste, wie Tango als Unterrichtsfach funktioniert.“
Okay, dann kann das schon mal kaum hierzulande geschehen sein… Aber gut: Auf Benotungen, Zeugnisse und eine staatlich geregelte Ausbildung kann er sich nicht beziehen. Das ist kein Vorwurf – ich wollte lediglich auf den Unterschied hinweisen.
„Seitdem habe ich bei unzähligen namhaften Lehrer*innen im In- und Ausland gelernt – und tue das bis heute. Ich könnte die Anzahl an Lehrern nicht mal an vier Händen abzählen. Und ja: Ich nehme weiterhin Unterricht.“
Mehr als 20 Lehrkräfte, und das im Konjunktiv? Gut, ich glaube ihm. Es muss aber nicht unbedingt ein Qualitätsurteil darstellen, wenn man derartig viele Lehrerinnen und Lehrer braucht. Es könnte auch sein, dass man sich mit dem Lernen ziemlich schwertut.
„Denn für mich gilt: ‚Wenn ich aufhöre zu lernen, höre ich auch mit dem Tango auf.‘“
Da stimme ich zu. Es kommt halt darauf an, wie man „Lernen“ definiert. Wendel scheint dazu unbedingt ein „Über-Ich“ zu benötigen. Ich nicht.
Zu meiner Person heißt es: „Er ist also – nach seiner eigenen Definition – ein Autodidakt.“
Na ja, einige Lehrkräfte in meinen Anfangszeiten kann ich schon verweisen, aber es stimmt: Was ich heute im Tango kann, stammt weitgehend nicht von diesen.
„Aber ich bin ein erfahrener, reflektierter und kontinuierlich weitergebildeter Tangolehrer mit jahrzehntelanger Unterrichtspraxis – und das auf einem Niveau, das sich viele in dieser Szene nicht einmal anschauen, geschweige denn erarbeiten.“
Gut – wenn er es selber so sieht, will ich Wendel das gerne glauben! Ich weiß nur nicht, wieso er sich derartig gigantisch aufspielen muss. Und dabei gleich mal die Kolleginnen und Kollegen abwertet.
Nach eigenem Bekunden hat Wendel den Tango 1984 für sich entdeckt – und unterrichtet diesen Tanz seit 1986. Nach meinem Geschmack ging das ziemlich fix – aber gut, offenbar ein Naturtalent!
https://www.tangocompas.co/ueber-klaus-wendel/
Ich frage mich nur: Wenn er schon an die 40 Jahre erfolgreich unterrichtet, sollte sich das doch rumgesprochen haben! Wozu muss er nach einer so langen Zeit darüber noch ein derartiges Gedöns veranstalten? Niemand spricht ihm wohl seine Verdienste ab! Ich jedenfalls nicht.
Dass Tanzlehrer (übrigens auch im Standard/Latein) hierzulande kein staatlich anerkanntes Zertifikat erwerben können, werfe ich niemandem vor. Ich habe nur keine Lust, mich auf der Basis meiner Berufsabschlüsse als völlig unwissend in Sachen Unterricht abkanzeln zu lassen.
Ich behaupte nicht einmal, selber ein guter Pädagoge gewesen zu sein. Das müssen andere beurteilen. Ich weiß nur eins: Die Fähigkeit, gut erklären zu können, anderen etwas beizubringen, ist ein Talent, das wenig vom jeweiligen Stoff abhängt: Ob es sich dann dabei um Tango, Chemie oder Handarbeiten dreht, ist sekundär!
„Gerhard Riedl dagegen urteilt aus der Distanz – basierend auf eigenen schlechten Erfahrungen als Tanzschüler vor langer Zeit. Seine Thesen entstehen aus Theorie, nicht aus gelebter Praxis. Was er vorschlägt, hat er nie ausprobiert – also kann er es auch nicht seriös bewerten.“
Quelle: https://www.tangocompas.co/gedanken-ueber-tango-unterricht-14-teil/#comments
Was Wendel da behauptet, hat mit den Tatsachen nichts zu tun. Ich will nun nicht wieder Zahlen dazu nennen, wie viele Milonga-Besuche es bei mir in 25 Jahren waren – würde von gewissen Leuten eh angezweifelt.
Für mich ist aber jeder Tanzabend „gelebte Praxis“, wo ich immer wieder dazulerne. Oder das Pörnbacher Wohnzimmer, wo wir uns zu herausfordernder Musik bewegen. Jedenfalls bin ich das Gegenteil eines Theoretikers. Vermutlich habe ich in meinem Leben mehr getanzt als mein Kritiker. Aber der musste es ja anderen beibringen…
Wer hat mich tanzen gelehrt? In erster Linie eine Spezies, welche Männer im Tango gern verschweigen: die Tänzerinnen. Von ihren Reaktionen und Impulsen lerne ich immer wieder dazu. Nie werde ich einen Tangofreund vergessen, dem ich erzählte, meine Lehrerin hätte mich bei einer neuen Milonga-Bewegung kritisiert: Den Schritt gebe es nicht. Seine Antwort: „So lange die Frauen schnurren, gibt’s diesen Schritt!“ Dieser Satz hat mich weitergebracht als das ganze Geschwätz meiner Tanzlehrkräfte.
In meiner Tangoentwicklung habe ich wenig geplant – das meiste ergab sich irgendwie. So auch mein Tangobuch, an dessen drei Auflagen ich viele tausend Stunden arbeitete. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht: Man lernt selber eine Menge dazu, wenn man es anderen beschreiben und erklären soll.
Ich betone aber: Das war mein Weg, Tango zu lernen. Niemand ist gezwungen, die gleiche Richtung einzuschlagen. Dazu ist dieser Tanz viel zu persönlich. Wer anderen vorschreibt, was und wie sie zu lernen hätten, hat vom Tango wenig verstanden. Man kann individuelle Wege hilfreich begleiten – mehr nicht.
Obwohl ich es nie werden wollte, beneide ich Tangolehrer schon sehr: Im Gegensatz zu den Lehrkräften an öffentlichen Schulen können sie sich ihre Kundschaft raussuchen. Wenn sie sich mit ihrer „Buenos Aires-Expertise“ ein wenig aufplustern, gibt es kaum Widerworte. Und falls doch, können sie Kritiker einfach heimschicken.
Vor allem aber: Die Kurs-Teilnehmenden wollen wirklich etwas lernen. Vergleichbare Einstellungen kann man an regulären Schulen immer weniger finden. Nicht mal, dass alle Schülerinnen und Schüler Deutsch können. (Beim Tango kämpfen eher die Unterrichtenden mit einem solchen Mangel.) Und die Kollegen müssen keine Eltern-Sprechstunden abhalten, in denen man ihnen eventuell erklärt, wie Schule wirklich geht. Sie sind nicht gezwungen, (selbstredend ungerechte) Noten erteilen und zu begründen. Es gibt auch keinen Chef, von dessen Beurteilung die Karriere abhängt. All das führt dazu, dass sich schulisch Unterrichtende sehr oft selber hinterfragen, was sie alles besser machen könnten.
Kann es sein, dass deswegen manche im Tango ein wenig abheben?
Aktuell wollen die Studierenden immer weniger ins Lehramt. Ich kann das gut verstehen. Der Trend, Tango zu unterrichten, nimmt eher zu. Warum wohl?
Für mich als Tangoautor hat sich dagegen wenig geändert: Die Debatte scheint sich vor allem darum zu drehen, was ich alles falsch mache. Man übersieht dabei nur eines:
Ich kenne das seit vielen Jahren – und es ist mir inzwischen völlig egal!
P.S. Zu den Problemen, die offenbar nur wenige interessieren:
Lieber Herr Riedl,
AntwortenLöschenman muss ja auch irgendwie seinen Kopf und die „angedötschte Reputation“ aus der Schlinge ziehen – nach den unbequemen Fragen meinerseits und der berechtigten Kritik von Herrn Wendel. Diesmal greifen Sie dabei zum alten Trick von Baron Münchhausen: sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Nach einigen Tagen des Schmollens, in denen offenbar kein „vernünftiger“ Artikel über Tango zustande kam, fassen Sie sich nun ein Herz und liefern einen Beitrag – allerdings wieder einmal voller Auslassungen, Verdrehungen und Halbwahrheiten. Und natürlich: Dauerthema „der böse Herr Wendel“.
Sie sind ein wahrer Wortakrobat – nicht nur in der Rhetorik, sondern auch in der Kunst der Projektion, der selektiven Erinnerung und der selbstgerechten Deutungshoheit. Sie präsentieren Ihre bloße Anwesenheit auf Milongas als Qualifikation, um gleich eine ganze Berufsgruppe bewerten zu können. Respekt – das grenzt an Hellseherei.
Herr Wendel hat zu Recht einen Widerspruch in Ihren Argumenten aufgedeckt, den Sie nun geflissentlich verschweigen:
„Riedl fordert autodidaktisches Lernen im Tango – wirft es Tangolehrern aber vor, wenn sie keine ‚staatliche Ausbildung‘ vorweisen können.“
Sie reklamieren für sich die Kompetenz des Autodidakten, sprechen sie aber anderen ab. Doppelte Standards? Sieht ganz so aus.
Wie viele tausend Stunden Herr Wendel tatsächlich unterrichtet und getanzt hat, werden wir hier wohl kaum exakt beziffern können. Aber mit geschätzten zehn Unterrichtsstunden pro Woche über vier Jahrzehnte kommen da locker 16.000 Stunden zusammen – ohne Milonga-Praxis mitgerechnet. Ein Erfahrungswert, den man vielleicht nicht vom Tisch wischen sollte.
Sie hingegen beklagen sich darüber, dass Herr Wendel seine Expertise „gigantisch aufspielt“ – und erwähnen im gleichen Atemzug wieder Ihre 25 Milonga-Jahre und 2000 Artikel. Wenn das keine Selbstdarstellung ist, was dann?
Übrigens: Die vermeintliche „Gigantomanie“ von Herrn Wendel kann ich in seinem eigenen Lebenslauf so nicht finden. Dort steht vielmehr selbstironisch:
„Ein schöner Lebenslauf macht noch keinen guten Tänzer aus.“
Das klingt eher nach Bescheidenheit als nach dem Aufblasen eines Egos.
Was Sie sich hier leisten, ist ein rhetorischer Drahtseilakt zwischen subtiler Diskreditierung anderer und gleichzeitiger Selbstverklärung. Man kann es kaum noch ernst nehmen – oder, wie Sie selbst so gern schreiben: „Es ist mir inzwischen völlig egal!“
Na dann.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Soltau
Lieber Herr Soltau,
LöschenIhr Italien-Urlaub muss ziemlich langweilig sein, dass Sie sich wieder an meinen Veröffentlichungen abarbeiten müssen. Schade!
Ich meine, Klaus Wendel kann sich sehr gut ohne Sie verteidigen. Wobei ich ihn gar nicht angegriffen habe.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich auf Ihre wahrlich nicht neuen Argumente nicht weiter eingehe. Ich rate Ihnen, diese beim Kollegen Wendel unterzubringen. Der hängt zurzeit ein wenig durch, weil er kaum Kommentare kriegt.
Und machen Sie sich keine Mühe mit einer Antwort. Ich werde sie nicht veröffentlichen.