Geräusch wird störend oft empfunden

 

In einer Facebook-Gruppe für Tango-DJs wurde neulich eine interessante Frage gestellt:

„Was tun, wenn das Reden lauter ist als die Musik?“

Wahrlich, man könnte das Wilhelm Busch-Zitat auch umdrehen:

„Geräusch wird störend oft empfunden, wenn es mit Musik verbunden."

Im Lauf der Diskussion erläuterte der Frager sein Anliegen:

„Es passierte mir an einem Freitagabend, der ersten Milonga auf einem Encuentro während der ersten 2 Stunden (eines 5-stündigen Sets). Und natürlich waren alle froh, sich wiederzusehen / zu tanzen. Ich verstehe das Gerede! Aber trotzdem. Ich hatte ein Auge auf das DB-Meter, und während des Redens überschritt der Pegel die 80 DB, die ich als absolutes Maximum wollte.

Also senkte ich die Lautstärke und erhöhte sie wieder, sobald es auf dem Parkett ruhiger wurde. Meistens nach 50 - 60 Sekunden.

War das der richtige Ansatz? Diejenigen, die nicht redeten, sondern zu tanzen begannen, konnten die Musik natürlich nicht hören.“

Merke: Sie tanzten, ohne die Musik zu hören! Man kann das Elend auf vielen Milongas nicht besser beschreiben…

Ich muss bei Fragen dieser Art immer an einen mir bekannten Neo-DJ denken, dem das Gequatsche seiner Gäste erheblich auf den Zeiger ging – und das auch in ziemlich ruppigen Ansprachen zum Ausdruck brachte. Alsbald war er seinen Job los. 

Glücklicherweise wurde in obigem Forum diese Option nicht erwähnt.

Häufig rieten die Kolleginnen und Kollegen, die Musik nicht lauter, sondern im Gegenteil leiser zu drehen:

„Senkt die Lautstärke bis sie es merken.“

Im Extremfall solle man die Beschallung sogar ganz einstellen:

„Gelegentlich, wenn die Situation schlimm wurde, habe ich die Musik am Ende oder während der Cortina einfach gestoppt. 20-30 Sekunden reine Stille. Ich habe NUR dann wieder angefangen, wenn der Publikumslärm unter eine akzeptable Grenze sank.“

Oder:

Du könntest auch längere Cortinas versuchen.“

Manche raten auch, gar nichts zu ändern. Die laute Geräuschkulisse sei ein Zeichen für gute Stimmung:

„Ich denke, die Lautstärke der Gespräche ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Menschen die Musik sehr genießen und sie wirklich fühlen und tanzen, und sich einen oder zwei Moment Zeit nehmen müssen, um die Intensität der Erfahrung und der Verbindung abzuschließen.“

Sehr originell fand ich die folgenden Tipps:

„Manchmal hilft es auch, wenn der TDJ zum Cortina-Lied singt. Die Tänzerinnen und Tänzer drehen sich um, schauen dich fragend an (vor allem, wenn du ein bisschen falsch singst) und schon geht's weiter mit dem nächsten Tango!“

Gut – falsch singen sollte für mich kein Problem sein!

„Wenn das passiert, benutze ich manchmal Hühnergeräusche für eine Cortina, das hilft. Ich kriege eine Menge Lächeln dafür.“

Herrlich: Gegacker mit Gegacker bekämpfen!

Genau zwei Kommentare legten die Finger auf die wirkliche Wunde:

„Vielleicht ist die Musik nicht interessant?“

„Ändere deine Musik!“

Quelle: https://www.facebook.com/groups/TangoDJForum (Post vom 5.9.22, aus dem Englischen übersetzt)

Ich frage mich, wie die Antworten ausgefallen wären, wenn ein Redner das Problem benannt hätte, dass er mit seiner Ansprache nicht gegen die Geräuschkulisse durchgedrungen sei: In dem Fall hätten wohl viele vermutet, es habe am Thema oder an der Art der Darbietung gelegen. Tango-DJs allerdings liegt der Gedanke fern, sie könnten ihr Publikum mit ausgelutschten Playlists langweilen.

Leider ist das aber traurige Realität: Auf vielen Milongas wurden doch die Gäste geradezu darauf konditioniert, dass stets sehr ähnliche, altbekannte Musikprogramme gespielt werden. Warum da noch andächtig lauschen, wenn eh nichts Neues kommt?

Und natürlich werden durch diese öde Beschallung Leute angelockt, deren musikalisches Verständnis auf niedrigem Niveau flackert. Für mich ist es stets ein Warnzeichen, wenn sich ganze Besuchergruppen um einen Tisch drängen, viele mit dem Rücken zur Tanzfläche. Da weiß ich dann: Das wird nichts!

Es spricht für die Betriebsblindheit vieler DJs, dass sie mangelndes Interesse erst bemerken, wenn es die Musik übertönt. Dann ist es eigentlich schon zu spät!

Bei der Recherche zu diesem Artikel kam ich auf den Blogbeitrag einer DJane und Tangolehrerin, die sich selber als großen Fan der EdO-Aufnahmen outet. Dennoch erzählt sie zwei Geschichten, welche ich für sehr amüsant und aufschlussreich halte:

Einmal habe sie einen Bekannten, der keinen Tango tanzt, zu einer Milonga eingeladen. Nach einer Stunde fragte der sie: „Habt ihr eigentlich keinen DJ?” Ihm sei aufgefallen, dass den ganzen Abend die gleiche Musik liefe. Obwohl nicht ausschließlich klassische Tangos aufgelegt wurden, empfand der Gast die Musik als eintönig.

Sie vergleicht das mit Chinesen, welche für ihre Landsleute durchaus unterscheidbar seien – für Europäer dagegen sähen sie alle gleich aus. Ihr Resümee: „Ich denke, wir dürfen unseren eigenen Geschmack anderen Leuten nicht aufzwingen.“

Ein anderes Mal wurde die Autorin von einem guten Bekannten und Milonga-Veranstalter als DJane eingeladen. Sie fragte ihn, ob er bestimmte Musikrichtungen bevorzuge. Seine Antwort: „„Ich habe nur eine Bitte: KEINE ALTEN TANGOS MIT ALTE-MÄNNER-GESANG!”

Er beschrieb auch den Grund: „Ich habe lange in Süd- und Mittelamerika gelebt und tanze jetzt seit mehr als 25 Jahren. Bei den Tango-Liedtexten handelt es sich um: gegrillte Scheiße’!” Und „gegrillt“ sei die Steigerungsform von „gequirlt“.

Die bemerkenswerte Zusammenfassung der Schreiberin:

Die beiden Geschichten sind nur exemplarisch für die grundverschiedenen Positionen, die in der Tangoszene zum Thema Musik anzutreffen sind. Auch Leute, die eine bestimmte Musikrichtung nicht mögen, können leidenschaftliche Tangotänzer sein. (…) Man muss das ganze Spektrum anbieten (in einer gut dosierten Mischung). Nicht jeder muss auf jedes Stück tanzen können oder wollen. Und wenn ein Stück in den Ohren eines Einzelnen mal schramm-schramm oder – andererseits – zu experimentell daherkommt, dann sollte man m.E. nicht lautstark protestieren, sondern die Runde einfach aussetzen und bei der nächsten Tanda wieder einsteigen.

Quelle: https://intango.de/uber-musik-richtungen-und-den-wahren-wert-von-tango-djs/#

Ich glaube, wenn sich diese Einstellung durchsetzen würde, müssten wir uns kaum noch um das Problem kümmern, dass man seine eigenen akustischen Ausdünstungen für interessanter hält als die Musik.

Was hält die meisten DJs davon ab, wenigstens fallweise Experimentelles aufzulegen? Ein US-amerikanischer DJ spricht das aus, was ich schon immer befürchtete:

Es gibt einen Haken an der Sache mit der alternativen Musik, den man gleich zu Beginn kennen sollte. Wenn du keine spielst, werden sich einige Leute beschweren, und wenn du auch nur eine einzige alternative Tanda spielst, werden sich einige Leute beschweren. Und selbst wenn du während einer 4-stündigen Milonga nur ein einziges alternatives Set spielst, wirst du für immer als alternativer DJ gelten! Unter alternativer Musik verstehe ich Lieder, die nicht zum Tango gehören, zu denen man aber tanzen kann, elektronischen Tango und Tangomusik, die im Allgemeinen nicht zum Tanzen geeignet ist, wie z.B. Piazzolla.

http://www.tangology101.com/main.cfm/title/How-to-DJ-a-Milonga/id/265

Tja, man will halt nicht in Verruf kommen...

Langfristig sehe ich dennoch nur eine Option, den Gästen wieder Interesse an der Tangomusik zu vermitteln: Sachen aufzulegen, welche sie aufhorchen lassen. Klar kommt dann eine Phase der Verunsicherung – aber da muss man durch!

Und wenn manche Unverbesserliche ihr Gequatsche dennoch fortsetzen? Dann schlage ich folgende Cortina vor: 

https://www.youtube.com/watch?v=6qp9PuDVFgo

Kommentare

  1. Nun war das eingangs geschilderte Szenario ja nicht auf einer Kuchen-Milonga mit musikalischem Gemischtwarenladen sondern auf einem Encuentro, also mit klarem EdO-Profil. Von daher dürfte die Musik gut gepasst haben und das Smalltalk-Gequatsche auf der Tanzfläche eine Angewohnheit sein, vielleicht von Buenos-Aires-Heimkehrern eingeschleppt.

    Mich irritiert es eher, dass ein DJ mit einem "DB-Meter" operiert. Das Hörvermögen eines DJ sollte noch ausreichen, um auf der Tanzfläche eine geeignete Musiklautstärke zu ermitteln. Zumal belastbare Kenntnisse der korrekten Schallmessung und der benötigten Geräte in der Regel fehlen werden.

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    1. Das ist doch egal - Hauptsache, er hat ein schickes technisches Gerät dabei!

      Ich verstehe: Wenn einer auf einem Encuentro EdO-Aufnahmen spielt, wird es schon passen. So kann man es natürlich auch sehen...

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