Nichts Persönliches!

Diese Aussage wird mir unvergesslich bleiben. Vor vielen Jahren sah ich eine Zaubershow des legendären David Copperfield, der ja zwischen seine spektakulären Großillusionen stets auch kleinere Kabinettstücke einstreute. In dem Fall war es ein Effekt, den er mit einer jungen, hübschen Dame (mit wem sonst…) vollführte.

Der Magier stand hinter ihr und hielt ein langes Seil vor den Körper seiner Helferin. Während der Anweisungen hob Copperfield die Seilschlaufe an, welche dabei mehrfach den Minirock der Zuschauerin lüpfte. Das Publikum kicherte, und die Assistentin wurde zunehmend nervös, worauf Copperfield trocken bemerkte:

Nothing personal – it’s just my job.“

Vorgestern Abend wurde mir bei einem Gespräch klar, dass dies ein wichtiges Lebensmotto von mir darstellt – nein, nicht das Zaubern oder gar Röckeanheben, sondern mein Trend, möglichst oft zwischen Person und Sache zu differenzieren.

Die Diskussion vorgestern drehte sich um meine Ausbildung als Studienreferendar: Wir hatten zwei Seminarlehrer, die mich derart beeindruckten, dass ich mir viel von ihnen abschaute. Dabei handelte es sich um völlig konträre Typen: Der eine hoch emotional mit einer volkstümlichen Verve, dass die Wände wackelten – der andere kühl, distanziert und höchst intellektuell.

Nachdem mir die Ehre zuteilwurde, nach der Ausbildung als junger Studienrat an der Seminarschule bleiben zu dürfen, erweiterte sich dieser Kreis noch: In der ganzen Fachschaft Biologie/Chemie gab es eine Reihe von hervorragenden Kollegen mit einer höchst wirksamen pädagogischen Persönlichkeit. Und auch da war das Spektrum riesig – aber jeder für sich erzielte mit seinen Klassen überdurchschnittliche Erfolge.

Nachdem ich stets gerne mit Leuten zusammenarbeite, die mehr können als ich (das Gegenteil wäre stinklangweilig), konnte ich mir auch da vieles abschauen, was sich im Unterricht als sehr brauchbar erwies.

Was ich damals lernte und auch später meinen Referendaren nahelegte: Es ist ein völliger Blödsinn, Lehrkräften in der Ausbildung beizubringen, wie sie gefälligst zu sein hätten. Ein guter Lehrer muss vor allem „echt“ wirken – also im Unterreicht durch seine ganz eigenständige Persönlichkeit überzeugen – und sollte nicht als Blaupause aus irgendwelchen Pädagogik-Lehrbüchern umhergeistern.       

Daher nahm ich mir damals von den Kollegen nur einzelne Anregungen und versuchte nicht, irgendjemand zu kopieren.

Nähere, gar private Beziehungen – zu den Seminarlehrern oder der restlichen Fachschaft – ergaben sich nur in Ausnahmefällen. Im Gegenteil: Einige Kollegen waren mir persönlich nicht gerade sympathisch – es wäre mir nicht eingefallen, ihnen außerhalb des Dienstes irgendwie näherzukommen. Aber sie hatten herausragende professionelle Fähigkeiten, von denen ich noch in den Jahren profitierte, als ich längst an einem anderen Gymnasium arbeitete.

Diese Trennung von privater Person und ihren Leistungen hat sich für mich auch in anderen Bereichen stets bewährt. So hatte ich nie das Bedürfnis, Menschen persönlich kennenzulernen, die mich als Künstler, Politiker oder sonstwie tief beeindruckten. Die Gefahr, dabei enttäuscht zu werden, empfinde ich als riesig. Warum sollte ich nach dem wahrscheinlich widersprüchlichen und fehlerbehafteten Menschen hinter der öffentlichen Persönlichkeit suchen?

Ein schönes Beispiel ist die Autorin und Kabarettistin Lisa Eckhart (die bei einem meiner persönlichen Kritiker zu einem Blutdruckanstieg führen könnte). Ich halte die junge Frau für eine der größten Begabungen in der Branche. Ihr Umgang mit der Sprache ist meisterhaft, ihre Bühnenwirkung arrogant, süffisant, diabolisch und verstörend. Allerdings ist mir klar: Sie dürfte privat eine ausgesprochen nervende Person sein, die mich in kürzester Zeit zur Weißglut treiben würde. Daher finde ich ihr Bekenntnis beruhigend: Sie gebe sich ungern außerhalb der Bühne mit Menschen ab, damit ihre Philanthropie nicht Schaden nehme. Ich kann das gut verstehen!

Deshalb finde ich es im Tango immer wieder amüsant, wenn über ein Showtanzpaar verlautet, die beiden seien wunderbar freundliche und zugewandte Personen. Gut, das kann ja nicht schaden – viel wichtiger wäre für mich aber, ob sie tänzerisch Überragendes bieten. Dann dürfen sie eigentlich privat sein, wie sie wollen.

Andersherum wird für mich die Luft noch dünner: Schon öfters habe ich mir großen Ärger eingehandelt, internationale Berühmtheiten des Tango für ihre Ansichten oder gar Leistungen zu kritisieren. Meist erhob sich ein Proteststurm der Art: Wie könne ich es wagen, renommierte Vertreter unseres Tanzes zu kritisieren! Das stünde mir angesichts meiner eigenen Fähigkeiten nicht zu!

Sorry: Wenn ich mir eine Show, Unterrichtssequenz oder einen Text ansehe, ist es mir sowas von schnurz, welche hochmögenden Verdienste die betreffende Person bereits um den Tango eingefahren hat – oder ob es sich um den unbekannten Heinrich Knatter aus Neustadt an der Nitze handelt. Ob es mir gefällt oder nicht, hängt in keiner Weise von der Person ab, sondern lediglich vom Geleisteten.

Daher wäre ich höchst dankbar, wenn man bei meinen Artikeln einmal ausschalten könnte, wer sie geschrieben hat – und zwar in beide Richtungen. Meine Texte werden nicht dadurch besser oder schlechter, weil man mich persönlich leiden kann respektive mich ablehnt – oder gar findet, ich könne toll oder gar überhaupt nicht tanzen. Es ist das schriftstellerische Produkt, welches entscheidet – und nicht dessen Verfasser.

Bezeichnend ist auch eine Diskussion, die ich vor einiger Zeit mit einem Besucher hatte: Den Dieter Nuhr, so ließ der mich wissen, habe er früher sehr gemocht – nur was der in letzter Zeit so von sich gebe – da könne er nicht mehr zustimmen. Mein Bekannter war sehr erstaunt über meine Replik, dass ich einen Kabarettisten nach der Qualität seiner Satire beurteile und nicht nach dessen inhaltlicher Kritik. Tatsächlich kann ich mir beispielsweise Nuhrs marktliberale Tendenz nicht zu eigen machen: Das müffelt schon sehr nach FDP.

Was mich immer wieder überzeugt, ist aber seine Rolle des Zweiflers, des eher einfach gestrickten Menschen, der bei vielen zeitgeistigen Trends und Stimmungen einfach nicht mehr mitkommt. Und der dann trotzig und auch drollig widerspricht. Für mich ist das großes Kabarett – schon, weil er mir nicht vorschreibt, was von seinen Ansichten zu halten habe.

Und auch die verbalradikal-sexuellen Entgleisungen einer Lisa Eckhart gehören für mich manchmal eher auf die Therapeuten-Couch als die Bühne. Dennoch ist ihr sprachlicher Duktus meisterhaft und unkopierbar.

Beim Tango allerdings kann ich nicht so gut zwischen Person und Sache unterscheiden. Dafür ist die tänzerische Paarbeziehung wohl zu intim. Wobei es mir nichts ausmacht, mit jemand aufs Parkett zu gehen, der mir zwar menschlich sympathisch, tänzerisch aber ein Totalausfall ist. Andersherum hätte ich große Probleme: Mit jemand, den ich als Person zum Abgewöhnen finde, mag ich auch nicht tanzen. Das verhindert eine Aufforderung von „Status-Tänzerinnen“.

Nähme ich ein Tanzangebot von Lisa Eckhart an? Wohl schon. Von der Optik her würde eh niemand auf mich gucken.

Allerdings würde ich mich nach einer Tanda jeglichem Gespräch entziehen. Nichts Persönliches!

P.S. Und wer die Kabarettistin noch nicht kennen sollte:

https://www.youtube.com/watch?v=_twJ9KTS7Bo

Kommentare

  1. Hallo Gerhard,

    Deinen Text habe ich gerne und auch überwiegend zustimmend gelesen.
    Hierzu einen langen Kommentar zu erstellen ist daher aus meiner Sicht nicht notwendig - es besteht keinerlei Anlass für mich, Kritik zu üben oder in Teilaspekten eine besonders wichtige Zustimmung oder Ergänzung zu geben.
    Dein Text steht für sich selbst – und er steht nach meinem Empfinden recht solide.
    Meine vielleicht einzige Anmerkung ist die, dass ich selbst mit zunehmendem Alter ein immer größeres Gewicht darauf verwende, neben den "professionellen" Beziehungen auch die privaten Beziehungen zu Arbeitskollegen zu etablieren und zu pflegen.
    Für mich ist es befruchtend und im Zweifel auch bereichernd, wenn Menschen die Biografien, die Motivationen und die privaten Nöte der jeweils anderen Menschen ihres direkten Umfeldes kennen. Mein Gefühl ist es, dass dadurch automatisch eine größere gegenseitige Achtsamkeit entsteht, die dabei noch zusätzlich auch die eigenen Perspektiven erweitern kann.
    Mein eigentlicher Beitrag zu Deinem Post soll aber lediglich der Hinweis auf ein Gespräch zwischen Lisa Eckhart und Yves Bossart sein – das im Format „SRF Kultur Sternstunden“ im Juni dieses Jahres ausgestrahlt wurde:
    https://youtu.be/Sellnm7PbdA?t=400
    Titel: „Lisa Eckhart, ist das lustig? | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur“
    Viele liebe Grüße an Dich und alle Leser,
    Matthias Botzenhardt

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    1. Lieber Matthias,

      danke für die Empfehlung des Videos! Ich hatte es im Vorfeld angeschaut und finde es auch sehr gut. Allerdings verlinke ich in meinen Artikeln keine Videos, welche länger als zirka zehn Minuten sind. Erfahrungsgemäß werden die selten angesehen.

      Schön, dass dir mein Text gefällt. Er gehört zu der Sorte, die eigentlich wenig Aufmerksamkeit finden, da sie relativ nüchtern daherkommen.

      Meine Erfahrungen mit den Berufskollegen sind gegenteilig. Nach meiner Pensionierung sind die Kontakte fast alle abgebrochen - was mich in einigen Fällen gewundert hat. Aber ich war wohl ein Lehrer mit ziemlich untypischen Eigenschaften. Beim Tango gelte ich ja auch bei vielen als "schwarzes Schaf". Insofern bin ich dran gewöhnt.

      Danke und herzliche Grüße
      Gerhard

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