Die Verse des Achilles




Den folgenden Text veröffentlichte vor zwei Tagen der amerikanische Tangolehrer Ney Melo in seinem Blog „Tango stories and musings“. Aufmerksam darauf wurde ich wieder einmal durch die unermüdliche Spurensuche von Thomas Kröter.

Zunächst meine Übersetzung des Beitrags:

Frauen, lehnt ohne Furcht ab
“Lehnt ohne Furcht ab, sagt ohne Bedauern zu.”

Ich glaube wahrlich, wenn Frauen beginnen, ihre Macht beim Ablehnen von Tänzen und Vermitteln solcher Botschaften auszuüben, werden die Führenden damit beginnen, an der Verbesserung ihres Tanzens zu arbeiten. Es muss ein System von Überprüfung und Ausgewogenheit sein. Wenn wir es mittelmäßigen Führenden erlauben, mit fantastischen Folgenden zu tanzen und umgekehrt, warum sollen die dann den Wunsch haben, sich zu verbessern? Ich erinnere mich an eine Diskussion, die eine Freundin und ich vor langer Zeit hatten. Sie war aufgebracht, weil ein fürchterlicher Führender sie eine ganze Tanda lang im Wesentlichen herumzerrte, sodass sie schlecht aussah und sich auch so fühlte. Ich war Zeuge der Sache, und mir gefiel es weder, was der Führende machte, noch, dass meine Freundin das Massaker vor lauter Freundlichkeit nicht frühzeitig beendete! Ihr Damen, bitte übt eure Macht aus, zu schlechten Tänzen Nein zu sagen. Es ist besser, die ganze Nacht sitzen zu bleiben, die Musik zu genießen und eine gute Unterhaltung zu pflegen, anstatt auf dem Tanzboden herumgeschleift zu werden wie Hektor von Achilles, nachdem er den im Film „Troy“ umgebracht hat. In meiner Tango-Anfängerzeit wurde ich oft von guten Tänzerinnen zurückgewiesen. Ich nahm es nie persönlich. Es diente nur dazu, mich besser zu machen. Das soll nicht heißen, dass man mit Anfängern nicht tanzen sollte. Jeder sollte auf einer Milonga mit einem oder zwei Anfängern tanzen und es als „Gemeinschaftsbeitrag“ sehen, damit die sich willkommen fühlen. Aber es ist ein Unterschied zwischen einem Anfänger und einem schlechten Tänzer, der es nie hinkriegen wird. Auf jeder stattfindenden Milonga gibt es eine Zahl von Kerlen, die schon eine lange Zeit tanzen, sie misshandeln die Frauen und haben keinerlei Antrieb, sich zu verbessern, weil sie sowieso alle Tänze kriegen, die sie wollen.
Andererseits, wenn eine Dame einen Tanz akzeptiert, muss die nicht nur die Einladung annehmen, sie muss auch den Mann selber anerkennen. Er zeigte, dass er dich akzeptierte, indem er dich einlud, und du zeigst, dass du ihn annimmst, indem du ihn umarmst. Es gehören zwei zum Tango.

(Quelle: http://neymelo.com/2016/02/02/ladies-reject-without-fear/ im Originalartikel ist dann noch eine aufgebrachte Schöne zu sehen, welche recht undamenhaft den Stinkefinger zeigt)

Bekanntlich schleift Achilles in Homers “Ilias” den lieben, von ihm abgemurksten Hector an seinem Streitwagen dreimal um Trojas Mauern, so ähnlich wie eben heutzutage die schlechten Tänzer die armen Frauen übers Parkett.

Thomas Kröter kommentiert „die Kolumne“ auf Facebook unter anderem so: aus ihr spricht für mich jene art von arroganz, die mir an teilen den tangoszene (weiblich wie männlich) so unendlich auf die nerven geht. da wird ein vergnügen zur hierarchisierten leistungsgesellschaft depraviert.“

Auch als Nicht-Berliner muss ich fragen: „Hammses nich kleener, ich kann grad nich wechseln?“

Wenn man schon auf Dramatik setzt wie im zitierten Text, sollte einem deren Grundprinzip geläufig sein: Ohne Drache kein Held (und umgekehrt). Und der Gender-Correctness wegen muss hinzugefügt werden: Blöd ist ebenso, wenn man eine gefühlte Araberstute auffordert, welche sich dann als Trojanischer Zossen entpuppt...

Zudem erschließt sich mir die Logik des Vorbringens nicht: Manche Männer lernen beim Tango also nix dazu, wenn man sie nicht per Korb unmissverständlich auf ihren Mangelzustand aufmerksam macht. Der Autor will diese These aber ausdrücklich nicht auf Anfänger bezogen sehen, sondern auf jene langjährigen Tänzer, die es „schlicht nicht hinkriegen werden“. Und was soll sich bei denen durch Zurückweisung verbessern? Vielleicht – aberwitzige Idee – könnte man mit solchen Tänzern einmal reden, ihnen Unterricht empfehlen, den es ja inzwischen in Hülle und Fülle sowie mit Heilsversprechen aller Art gibt?

Aber offenbar ist das der Trend im derzeitigen Tango: Das Vergnügen muss erzwungen werden – notfalls mit Machtausübung, Verboten und Ausgrenzungen. Formulierungen wie "wenn wir es erlauben" sind entlarvend genug! Also, aus die Friedenspfeife – ist ja eh Rauchverbot… Und man könne sich ja, so Thomas Kröter, nach einer verpfuschten Tanda dann wieder in die gesellschaft der highnosed & stifflipped dancers beiderlei geschlechts begeben, auf die er/sie bereit ist, notfalls 1 halbe nacht zu warten.“

Viel Spaß dabei!

P.S. Und was bleibt der Unterschied zwischen dem antiken Gemetzel und dem auf den heutigen Milongas? Das obige Video beweist es: Damals gewann immer der Blonde…

Kommentare

  1. Lieber Gerhard

    Vielleicht kommen die Probleme im Tango Argentino unserer Breiten daher, dass die Leute für diese Art von angeblichem Tanzen, die sie dann tatsächlich auf die Tanzfläche bringen, nicht sehr viel Aufwand benötigen: Herumschlurfen im gegenseitigen Schwitzkasten, sodass keine kreativen Bewegungen möglich sind. Irgendwohin muss man aber mit seinen Ambitionen und Kräften. Und das wirkt sich dann darin aus, dass sie jeden Blödsinn diskutieren und so viel Zeit und Kraft für Regulierungen aufwenden, die kein Schwein braucht.

    Ein bisschen mehr gute Haltung in den Händen und weniger Weg-Strecken irgendeines Fingers, kein Schwitzkasten für die Damen, ein bisschen mehr Kommunikation in den Oberkörpern und viel Offenheit für das Spiel mit den Beinen. Offenheit für alle Musik ohne den Irrsinn, dass lebendige Musiker und nicht–EdO-Tangos schlecht wären. Ein bisschen mehr normales entspanntes und höfliches Benehmen wie eben auf einer üblichen Tanzveranstaltung und es wäre eine lustige und tolle Milonga.

    Das überfordert Viele und es gibt dann keinen Raum für Hierarchien, Zurechtweisungen und Ansprüche von Leuten, die zwar terrorartig organisieren aber nicht tanzen können. Da könnte ich ja gleich auf den Opernball gehen. Dort ist auch alles reguliert und kein Platz zum Tanzen.

    Tanz (von altfranzösisch: danse, dessen weitere Herkunft umstritten ist) ist die Umsetzung von Inspiration (meist Musik und oder Rhythmus) in Bewegung. (WIKIPEDIA)

    Wenn dieses Geschlurfe und diese Hatscherei deren Inspiration ist, dann freue ich mich, dass ich nicht dort bin.

    Aus dem Fasching in Ebensee, mit viel Tanzen ohne Regulierung und mit Tango auch zu unserer Volksmusik, die übrigens mit Polka, Mazurka und Walzer in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts den Tango hervorgebracht hat. Herzliche Grüße Peter.

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    1. Nein, lieber Peter,

      diese Zeitgenossen benötigen ihre restlichen Kräfte dazu, andere zu belehren!
      Gerade erhielt ich via Facebook den Rat eines (wohl zirka 20 Jahre jüngeren) Tänzers, ich solle mich nicht aufregen, sondern lieber was lernen…
      Das treibt einem nach fast 50 Jahren Tanz schon das Wasser in die Augen. Aber es ist ja Fasching.

      Viel Freude beim närrischen Treiben in Ebensee, ist sicher noch lustiger!
      Gerhard

      P.S. Sind das die Situationen, wo ein Österreicher „no na“ antworten würde?

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  2. Lieber Gerhard. Die meisten Östereicher würden NoNa sagen. Ich selbst bevorzuge in diesem Fall die Frage, ob derjenige den Unterschied zwischen mir und einem Schneemann kenne? ....Einen Schneeman kann er nur im Winter am.....
    Herzlich, Peter

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  3. Es scheint in der Tangoszene einige Leute zu geben, die den Tango offensichtlich für ihre Bestätigung und zur Pflege ihres Egos brauchen. Solche Leute haben zu wenig Humor und verderben anderen den Spaß! Geht es nicht darum, den Tango zu genießen und zwar gemeinsam? Mit allen?

    Stattdessen malt sich jemand aus, dass einige Tänzer rausgemobbt werden sollten. Es reicht doch, wenn er sich seine Partnerinnen aussucht, nein, er will auch noch andere Tänzer niedermachen.

    Tango ist eine schöne Freizeitbeschäftigung, zum Zweck, dass es einem gut geht. Natürlich ist es ganz schön, Ehrgeiz zu haben, aber das bleibt jedem selbst überlassen.

    Oder sollte man Abzeichen, Wettbewerbe, Orden, Hierarchien, Regeln usw. einführen? Für alle, die gern hausmeisterlich sektieren? Da die dummen schlechten Tänzer natürlich nicht wissen, wer die Zampanos sind, sollte man ein Zampano-Abzeichen einführen, das wird natürlich nur verliehen, wenn man auch die Theorieprüfung bestanden hat, also z.B Cassiels Regeln auswendig aufsagen kann. Vorraussetzung ist, dass man auf 100 Milongas je mindestens drei Stunden gesessen hat, ohne aufgefordert zu werden und trotzdem nicht gegangen ist. Damit hat man bewiesen, dass man "Warten gelernt" hat.

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    1. Liebe Annette,

      schöner Vergleich: Cassiel hat nun Ney Melos Text ebenfalls übersetzt und auf seinem Blog veröffentlicht.

      In einem Kommentar dazu schreibt er: „Ich ahne schon jetzt, es wird wieder einen Aufschrei der ‚üblichen Verdächtigen‘ geben.“
      Eine „mögliche altbekannte Argumentationslinie“ werde darauf abzielen: „Wir brauchen keine Vereinbarungen oder Regeln im Tango – schließlich ist es ja ein Freizeitvergnügen (das gilt in der Hauptsache und zu allererst natürlich für die Wortführer dieses Gedankens). Eine zweite ‚Frontlinie‘ wird parallel über den Vorwurf der ‚Arroganz‘ eröffnet.“ (…) „Selbstverständlich möchte niemand arrogant wirken und deswegen werden die skizzierten Zeitgenossen weiterhin ihr Unwesen treiben können. Bequem ist es natürlich auch: Man setzt nur einen frechen Vorwurf in die Welt und … schwups … hat man wieder einmal elegant für die nächsten Jahre Ruhe und muss weiterhin keinen Unterricht nehmen. Klasse!“

      Cassiel ergreift erneut die Gelegenheit, „die verbale Aufforderung als eine minderschwere Form der kalkulierten ‚Nötigung‘“ zu bezeichnen. Insgesamt werde der Artikel allerdings kaum etwas verändern: „Es ist ja mittlerweile gesellschaftsfähig geworden, nicht auf Sachargumente zu reagieren, sondern bei bestimmten Schlüsselreizen einfach loszupoltern.“

      Ja, leider - ich habe in seinem Blogbeitrag keine inhaltlichen Begründungen dafür gefunden, warum es nötig sein soll, angeblich lernresistente Tänzer auszugrenzen. Ein netter rhetorischer Trick besteht auch darin, Andersdenkenden zu unterstellen, sie gehörten eben zu diesen und hätten damit egoistische Gründe für ihre Haltung. Dass man sehr gut tanzt und trotzdem derart hochnäsigen Vorstellungen widerspricht, ist in diesem System nicht vorgesehen.

      Beste Grüße
      Gerhard

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  4. Frauen, lehnt ohne Furcht ab
    “Lehnt ohne Furcht ab, sagt ohne Bedauern zu.” oder macht es, wie es früher üblich war. Ist leider durch das Patriarchat zu den Dominas abgedrängt und dann noch umgedreht worden. Bringt aber eine entspannte, über Jahr Millionen friedliche Community hervor. Ich meins ernst: das wär was , um das stundenlange Sitzen, ohne von den früher in der Evolution gar nicht Führenden und heute meist eher unterversierten Männern aufgefordert zu werden:

    https://www.youtube.com/watch?v=82GUjPConiE

    ps.: ich meins wirklich ernst, auch wenn heute Faschingsamstag ist.

    Herzlich aus dem Salzkammergut, Peter.

    ps.2: Die EdOler, Blinzler, Nicker und Zeitlupentänzer sollten den Fetzenmontag in Ebensee besuchen. Die ganzen Diskussionen wären Geschichte. Ihr seid alle eingeladen.

    https://www.youtube.com/watch?v=ylAIRNYS65w

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  5. Übrigens für Cassiel: die Aufforderung der Bonobo-Frauen ist auch non-verbal, aber unmißverständlich. Sicher eher eine Nötigung, kommt auf den Blickwinkel an. Vielleicht brauchens die Bonobo-Männchen.

    Vielleicht würde es auch Cassiel gefallen (Vielleicht gibt er uns einmal einen anderen Einblick in sein sensibles Seelenleben. Nicht nur über die Angst der Führenden vor dem Korb der Folgenden).

    Jedenfalls hat es sich evolutionsgeschichtlich bewährt, daß die Frauen der Bonobos mit einigen Fußtritten auffordern. Ich denke es wird (hoffentlich) noch länger in der Evolutionsgeschichte Bonobos geben als EdO- und Cabeceo/Mirada-Anhänger in der Menschheitsgeschichte.

    Soweit die Überlegungen für Leute, die sich als Biologen und Geologen einen entspannten weiten Blickwinkel zunutze machen können.

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    1. Die Bonobos (Zwergschimpansen) gelten heute als die dem Menschen ähnlichste Spezies. Vor allem im Sozialverhalten weichen sie vom Gemeinen Schimpansen ab:

      „Innerhalb der Großgruppe bilden die Weibchen den Kern und übernehmen auch die Führungsrolle. Eine Dominanz der Männchen über die Weibchen ist kaum zu sehen, es gibt sogar Berichte über ein ausgesprochen aggressives Verhalten der Weibchen gegenüber den Männchen. (…)
      Die Interaktionen zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern sind meist friedlicher als bei anderen Primaten und beinhalten häufig Sexualverhalten. Dies dürfte der Reduktion von Spannungen dienen und wird unabhängig von Alter, Geschlecht oder Rangstufe ausgeübt.“ (Quelle Wikipedia)

      Das Balzverhalten der Weibchen ist sicherlich gewöhnungsbedürftig – „dem Mann Beine machen“ gewinnt da eine ganz neue Bedeutung! Nur Zublinzeln allerdings – und da hast Du natürlich recht, Peter – reicht bei den Primaten in aller Regel nicht.

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