Liebes Tagebuch… 14

Es fällt mir wirklich stets schwer, eine Neolonga" negativ zu beurteilen sind diese Veranstaltungen doch eigentlich Leuchttürme alternativer Musik im grauen Einerlei traditioneller Tristesse. Öfters jedoch muss man sehr viel Fantasie haben, um das Musikangebot noch irgendwie mit Begriffen wie Tango" oder Milonga" zu verbinden. So auch neulich bei einem Event, das ich besuchte: 


Bekanntlich bin ich gerne bereit, in jeder Musik noch Spurenelemente von Tango zu suchen – zumal, wenn eine Veranstaltung als „Tangofest“ angekündigt wird.

Zu der in diesem Fall ausgelobten „tanzfreundlichen Tangomischung aus Neotango, Nontango, Tango Nuevo und etwas traditionellem Tango“ ist allerdings festzuhalten:

„Nontango“ gab es jede Menge. Ich hätte gerne einmal als Test zehn zufällig ausgewählte Personen von der (hier sehr bevölkerten) Straße mit ins Lokal genommen und sie gefragt, was da denn getanzt würde. Auf „Tango“ wäre wohl höchstens einer davon gekommen…

„Neotango“ – nun ja… Wenn ich großzügig alle Stücke, in denen ein Bandoneón vorkam, plus den Restbestand an schwer zuordenbaren Weltmusik-Walzerchen gelten lasse, dann, addiert zu den unvermeidlichen „Sin rumbo“-Klassikern: vielleicht zwanzig Prozent.

„Tango nuevo“: null Prozent. Sorry, auch zu DJs aus der selbst gefühlten bundesdeutschen Tangohauptstadt ist es wohl noch nicht durchgedrungen, dass es sich hierbei um Kompositionen von Piazzolla, Mosalini, Borda & Co. handeln müsste. (Aber vielleicht erklang ja in der letzten halben Stunde, die ich mir erspart habe, doch noch als Alibi „Libertango“ – wer weiß…)

„Traditioneller Tango“: Tut mir leid, aber eine „Trostrunde“ ausgelutschter Puglieses sowie einige Hugo Diazze können meine Laune nach zwei Stunden Disco-Gedudel dann auch nicht mehr verbessern. Immerhin: netter Versuch…

Muss ich noch hinzufügen, dass die Mär von den „besseren Neotänzern“ natürlich eine ist? Hier wie bei den Traditionalisten ist die Aufgabe, mumpfiges Viergeviertel choreografisch umzusetzen, nicht eben anspruchsvoll oder gar geeignet, die persönlichen Tanzkünste zu verbessern. Was das Ganze dann von einer Traditionsmilonga unterscheidet, ist kaum mehr als etwas Rumgeturne an der Peinlichkeitsgrenze.

Es ist mehr als ärgerlich, dass solche Veranstaltungen regelmäßig die Chance vergeigen, der erstaunten Tangogemeinde einen Eindruck davon zu verschaffen, worum es bei modernem Tango gehen könnte. Stattdessen wird das schicke Label „Tango“ auf einen Killefitz gepappt, welchen ich bestenfalls als „Tanzschul-Party für die reifere Jugend“ durchgehen ließe.

Ohne nun den Beruf eines Pornodarstellers aus eigener Erfahrung zu kennen: Auch ich sah mich bei diesem Event gezwungen, Bewegungen in einem Zusammenhang auszuführen, der mich kein bisschen reizte. Aber was rege ich mich auf? Der Laden war voll, und die Leute hatten ihren Spaß. Dies gilt auch in anderen Branchen als Erfolg…

P.S. Das soll keine Kritik am Veranstalter sein, der sich wie stets äußerst freundlich und bemüht verhielt. Und dass er selber nichts vom Tango versteht, kann ja in manchen Fällen durchaus eine Gnade sein!

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