Links, zwo, drei, vier!


„I’ll kill that cat!“ (Freddie Frinton: „Dinner for one“)

Gerade in der letzten Zeit durfte ich wieder einmal erleben, dass ein dickes Fell die Grundausstattung dafür ist, Diskussionsbeiträge in sozialen Foren zu verfolgen. Dabei möchte ich den öfters verbreiteten inhaltlichen Dünnsinn gar nicht weiter bewerten, welcher sich häufig darauf beschränkt, dem lieben Gegner das eigene, gefühlte Prachtgefieder um den Schnabel zu hauen. Das Thema der Debatte ist dabei oft genug belanglos: Hauptsache, der andere hat keinen Doktortitel, ist ein vermuteter Weiberheld sowie schlechter Tänzer – vielleicht stinkt er ja sogar (alles keine erfundenen Beispiele).

Noch grauslicher aber ist die häufig dargebotene Sprachkompetenz, welche gelegentlich sogar darin gipfelt, nicht mal den Namen des verhassten Widersachers korrekt durchbuchstabieren zu können – über sonstige Orthografie, Interpunktion, Grammatik, Syntax oder gar Stil decken wir lieber den Mantel der christlichen Barmherzigkeit! Und wenn man einmal zart darauf anspielt, ob der verehrte Debatteur inhaltlich ein Thema überblickt, welches er schon formal nicht in den Griff kriegt, läuft man Gefahr, seitenlange Oberlehrer-Schelte um die Ohren zu bekommen. Und das, weil man dämlich genug ist, im Internet den eigenen Namen und Beruf wahrheitsgemäß anzugeben – während man vom Widersacher dank Pseudonym nicht weiß, ob er als Versicherungsvertreter, Gerichtsvollzieher oder Heiratsschwindler unterwegs ist, und schon deshalb nicht zu den passenden Gags greifen kann.

Als ich zum ersten Mal mit anonymen Gesprächsforen in Kontakt kam, äußerte ich spontan (und zum Missfallen des damaligen Bloggers) die Metapher von den digitalen Scheißhaustüren, auf denen früher erwachsene Menschen im Schutz der verschlossenen Kabine Dinge von sich gaben, die man ihnen außerhalb des Klos nicht zugetraut hätte. Heute weiß ich: Sie tun dies auch noch mit heruntergelassenen Hosen – und das merkt man an der Handschrift...

Aber immerhin veröffentlichen solche Toiletten-Poeten ja etwas Eigenes (auch wenn man es ihnen gerne zur persönlichen Verwendung überlässt). Schlimmer noch finde ich, wenn man das weltweite Netz mit Datenmüll überfrachtet, welcher gar nicht von einem selber stammt. Das beginnt schon mit der von mir geliebten Zitierfunktion: Da offenbar der Otto Normaluser für unfähig befunden wird, über zwei, drei Seiten hinweg zu erfassen, worauf sich eine Antwort bezieht, wird zunächst der schon beim erstmaligen Lesen unerfreuliche Käse des Gesprächspartners in die Antwort kopiert: So gestalten sich die drei Zeilen, welche dem Widersacher einfallen, voluminöser und daher gewichtiger.

Was mir noch mehr auf den Zeiger geht, sind die allseits beliebten und daher inflationär verwendeten Emoticons: Offenbar ist sich die Mehrzahl der Schreiber (hier ein hartes Wort) völlig unsicher, ob die werte Gemeinde den Witz auch als solchen erkannt hat. Also her mit dem Smily – gerne auch gleich in zehnfacher Aneinanderreihung! Und dabei bleibt es ja nicht: Auch für den Ausdruck anderer, mehr oder weniger edler Gefühle bietet das Textprogramm die jeweils geeignet erscheinende, wahlweise zwinkernde, errötende oder kotzende Deppen-Mimik fürs Fratzenbuch. Wie leicht hätten es Eichendorff oder Mörike mit dem Ausdruck von Sentiment in ihren Gedichten gehabt, wären die Emoticons schon greifbar gewesen! Aber nein, die Armen mussten noch geeignete Worte hierfür finden  

Gerade in sozialen Netzwerken ist das entsprechende Mittel zum Kreativitäts-Ersatz der Link: Was früher zum Belegen eines Zitats oder zur Ermöglichung des Nachlesens gedacht war, wird immer mehr zum Selbstzweck. Der typische Facebook-Account ist heute eine Ausstellung fremder Federn: eigene Kommentare, Texte oder gar Meinungen? I wo, da gibt es doch sicherlich einen netten Spruch, einen witzigen Comic oder ein stimmungsvolles Bild, welches man als Originalitäts-Prothese posten oder teilen kann!

Nun kann man natürlich einwenden, man müsse die ganze Abfolge mehr oder meist weniger interessanter Plagiate nicht anschauen – aber häufig möchte man aus bestimmten Gründen etwas über den Inhaber der Seite wissen. Dann scrollt man sich halt auf der Suche nach einer persönlichen Zeile durch seitenlange Produktionen anderer, ohne viel über die gesuchte Person zu erfahren.

Wenn dann schon einmal etwas Individuelles erscheint, ist es häufig ein Foto – leider nicht selten von der Sorte „Ich sitze am Frühstückstisch und schmiere mir ein Nutellabrot“ – bei Tangotänzern auch gerne eine Ablichtung mit der entsprechenden Schnitte auf dem Parkett. Nun, immerhin verständlich, dem eigenen, offenbar ziemlich belanglosen Leben etwas öffentlichen Glanz verleihen zu wollen – aber muss das Ganze dann so unterirdisch gestaltet sein? Ich hatte fast 60 Jahre alt zu werden, bis ich jemanden fand, der mir ein Porträtfoto lieferte, welches ich mich ohne Angstschweiß zu veröffentlichen traute. Nun muss ich erleben, dass andere im Monatsrhythmus „ihr Profilbild ändern“ – und man kann an sämtlichen Schnappschüssen erkennen, dass sie weiterhin nicht wissen, wer sie sind. Da ist mir an prominenter Stelle dann schon das übliche Strandfoto vom Sonnenuntergang auf Kreta lieber, welches nach vier Wochen von einer Winterlandschaft in den Ardennen abgelöst wird…

Liebe Exhibitionisten des Privatlebens, nicht böse sein – einige Posts sind ja ganz nett oder gefallen zumindest euren digitalen „Freunden“. Aber könnt ihr mir wenigstens eine Freude bereiten? Mein seelisches Gleichgewicht wäre stabiler, wenn ihr zumindest auf lustige Tierbilder verzichten könntet – insbesondere die eurer KATZE!!!

Dann wäre Facebook doch nicht ganz für dieselbe…

P.S. Pöbelt doch weiterhin gegen den „größten Milongaführer“ – das ist mir dann noch lieber, ehrlich!

Kommentare

  1. Der folgende Kommentar erreichte mich heute per Mail von Yokoito:

    "Lieber Gerhard,

    hat eine Weile gedauert für diesen Kommentar; ich konnte das Emoticon für zustimmendes Nicken auf meiner Tastatur nicht finden :-).

    Meine Meinung zum optischen Lärm auf solchen Forenseiten habe ich ja vor einer Weile schon kundgetan. Und was Facebook angeht...na ja. Wobei Facebook bestimmt bald wieder out ist - neulich habe ich gelesen, es gebe Zuwächse nur noch in der Altersgruppe 45+. Die Kids sind schon wieder woanders, Tumblr, Instagram, whatever. Oder Sachen, die ich noch nicht mal kenne."

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    1. Lieber Yokoito,

      vielen Dank für die Zustimmung - auch ohne Emoticon!

      Aber ob Facebook oder andere Foren: Der Spielplatz ändert sich, das Verhalten nicht.

      Zunehmend genieße ich die Ruhe auf meinem Blog...

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