Steffitango

 „Was ist der kürzeste Scherz beim Tango Argentino?“ - Antwort: „Ich kann´s!“ (Stefanie Stenzel)

Nicht nur wegen dieses Zitats hatte ich die Milonga der gelernten Goldschmiedin schon länger auf dem Plan – obwohl sie eine Anfahrt von gut 110 Kilometern bedeutet. Früher waren wir dennoch oft im Großraum Nürnberg / Fürth / Erlangen tanzen. Beispielsweise beim damals noch genial auflegenden Uwe Zirkel im „La Pista“, in der Fürther „Tanzerei“ oder bei Nancy Morales in Erlangen. Sogar den Bayreuther „Kastaniengarten“ kennen wir aus eigener Anschauung.

Nachdem sich der Trend auch in Nordbayern zunehmend ins Konservative entwickelte, sahen wir allerdings kaum noch einen Grund, nach stundenlanger Fahrt eine Musik zu kriegen, die wir auch in der engeren Umgebung haben konnten. Und in den letzten anderthalb Jahren waren längere Reisen für mich auch gesundheitlich nicht ganz einfach.

Stefanie Stenzel begegnete mir immer wieder einmal bei meinen Internet-Recherchen, vor allem auf ihrer sehr schön gemachten Website, welche sehr viel Persönliches enthält und mit tangounüblicher Liberalität überrascht. Einmal sahen wir uns bei einer Milonga aus der Ferne – und nach meiner Erinnerung gab es auch den einen oder anderen Austausch auf Facebook. (So bestand ich bei einer Satire über Tangoreisen auf Hotel-Bäder mit angewärmten Handtüchern, was sie sehr amüsierte).

Nun aber war die Gelegenheit da, sich einmal persönlich ein Bild zu machen. Letzten Freitag besuchten wir ihre Milonga „Volverás“ („Du wirst wiederkommen“). Um es vorwegzunehmen: Ja. Mit Sicherheit!

Was mich vorab schon sehr verwunderte: Eine detaillierte Wegbeschreibung (mit Parkplatz-Angabe und sogar Fotos – meist ist es den Veranstaltern eher wurst, ob und wie man ihren Laden findet).

Mitten im ansonsten schmucklosen Fürther „Arrabal“ ein sehr schön eingerichtetes Studio, das sich mittels Vorhang in zwei Räume aufteilen lässt. Und Hurra: Eine Garderobe mit wahrlich genügend Sitzgelegenheiten zum Schuhe Wechseln und Möglichkeiten zum Aufhängen der Kleidung.

Beim Eintreten die nächste Überraschung: Die Gastgeberin fiel Karin und mir sofort um den Hals: „Bei uns werden alle erstmal geknuddelt!“ Wer jahrelang daran gewöhnt ist, dass Veranstalter mit glasigem Alien-Blick an einem vorbeilaufen und einen nicht mal die studentische Hilfskraft beim Kassieren des Eintritts wirklich wahrnimmt, kann da nur sagen: „Dass wir so etwas noch erleben dürfen…“

Verblüfft war ich auch, dass die Gastgeberin meine Frau nach kurzer Zeit aufforderte. Die gelernte Tangolehrerin kann natürlich auch führen. Bald darauf ereilte auch mich das Angebot einer gemeinsamen Tanzrunde. Steffi ist – wie könnte es anders sein – eine wahrhaft exquisite Tänzerin. Aber nicht im Sinne einer bei Tangolehrerinnen häufigen „Renommier-Solistin“, sondern mit untrüglichem Gespür für den Tanzpartner, aber deutlicher Selbstständigkeit. Diese Kombination hat man heute nur noch selten…

Auch insgesamt war das tänzerische Niveau erstaunlich hoch. Nun gut – wir waren schon früher der Auffassung, dass „die fränkischen Tänzerinnen und Tänzer das halten, was die Münchner versprechen“. In dem Fall dürfte das Gebotene wohl auch aus dem hauseigenen Tangounterricht resultieren.

Was auch fast immer mit einer abwechslungsreichen Musik zusammenhängt: An diesem Abend bot Annette Kiessling ein wirklich sehr schön zusammengestelltes Programm – ebenfalls ist die fein ausgesteuerte Tonanlage lobend zu erwähnen.

Um nun doch ein wenig Wasser in den Frankenwein zu träufeln: Versprochen waren „Tangos, Valses und Milongas von 1920-2022“. Ich halte das für leicht übertrieben – insgesamt war der Eindruck schon eher traditionell. Auch bei ambitionierten DJs spüre ich oft die Furcht, das Programm könnte zu „modern“ klingen. Also schmuggelt man in die Tandas zeitgenössische Orchester, welche vom Sound her den alten ähneln – vielleicht in der Hoffnung, dass es keiner merkt…

Leute, traut euch doch einfach mehr! Helene Fischer versucht ja auch nicht, wie Lale Andersen zu singen, damit sie noch den letzten Opa überzeugt!

Aber immerhin klang es einmal sogar nach Piazzolla, und eine sehr ungewöhnliche, tänzerisch herausfordernde Candombe-Runde war für mich der musikalische Höhepunkt der Milonga. (Okay, vielleicht kam nach 23 Uhr noch etwas Besonderes, aber da müssen Rentner denn doch den langen Heimweg antreten!)

Was mich an diesem Abend am meisten beeindruckte, war die große Zuwendung, mit der Steffi und ihr Mann Stefan ihre Gäste betreuen. Während er auch die Arbeit hinter den Kulissen bewältigt, ist seine Frau ständig auf der Milonga präsent, hat für jeden und jede ein gutes Wort und tanzt unablässig mit Männlein und Weiblein. Aus eigener Erfahrung wissen wir, welche Energieleistung das für die beiden bedeutet.

Insbesondere Steffi sind sitzende Gäste ein Dorn im Auge. „Auf geht’s, tanzen! Ihr seid nicht zum Vergnügen hier!“ – so ihre Ansage nach der im Frankenland üblichen „Zahlpause“.

Wieder einmal hat sich meine Einschätzung bestätigt, wie wichtig bei einer Milonga das Vorbild der Veranstalter ist. Deren soziale (oder asoziale) Einstellung überträgt sich auf die Gäste. Die Stimmung, die wir letzten Freitag erlebten, war freundlich, offen und gelöst. Es wurde viel getanzt und auch kreuz und quer aufgefordert.

Wenn ich das mit der fischigen Atmosphäre einer anderen Milonga vergleiche, die ich neulich besuchte, staune ich immer wieder, wie groß die Bandbreite im Tango sein kann!

Leider lernten wir an diesem Abend auch die Ironie des Schicksals kennen: Das Studio wird nicht mehr lange existieren der Mietvertrag wurde gekündigt. Doch wie uns Steffi versicherte, wird es einen Ersatz geben. Und bei ihrem umwerfenden Optimismus wage ich nicht, daran zu zweifeln. Aber vielleicht hat ja einer meiner Leser eine Idee, welche ich dann gerne weitergebe.

Desto mehr rate ich dazu, diese Milonga kennenzulernen. Sie stellt bei den heutigen Tangoverhältnissen eine rare Ausnahme dar:

Studio Steffitango im Ronhofcenter,
Erlanger Str. 48, 90765 Fürth

Die Termine entnehmt ihr der Website oder, noch aktueller, dem Facebook-Account:

https://www.steffitango.de/tanzen/veranstaltungen.html

https://www.facebook.com/stefanie.stenzel.75

Jedenfalls danken wir den beiden Gastgebern für einen wundervollen Tangoabend. Und nun sollen sie noch selber kurz zu Wort kommen:

https://www.youtube.com/watch?v=9Jperfc2H8U

Kommentare

  1. Liebe Karin, lieber Gerhard,
    Erstens: viele Grüße nach Pörnbach und Danke für's Kommen bei dem wirklich weiten Anfahrtsweg!

    Zweitens: Ich hatte ungeheuerlichen Spaß beim Tanzen mit euch... und entnehme mit Freuden dem Artikel, dass es umgekehrt glücklicherweise wohl genau so war. Besser kann's bei einer Tanda nicht laufen, als dass alle Beteiligten "eine Freud" hatten, wie's im Fränkischen so schön heißt. Und da gehören beim Paartanz bekanntlich immer mindestens 2 dazu. Also Danke natürlich auch an euch!

    Drittens: Du hast recht mit deiner Musik-Diagnose. Unsere DJ(ane)s legen mal mehr, mal weniger traditionell auf, je nach "Gefühl" für's Publikum und Geschmack. Ganz traditionell wird's nie, aber auch nie komplett Neo und Non. Das einzige No-Go bei uns: Ausschließlichkeit. In beide Extrem-Richtungen. Denn wir wollen unsere Besucher in keine der beiden Richtungen "erziehen". Dafür gibt's bei uns in der Metropolregion extra Veranstaltungen.

    Viertens: Es ist sehr leicht, sich um so freundliche und tanzbegeisterte Leute zu kümmern, wie es unsere Gäste ständig sind. Wir haben einfach ungeheuerliches Glück, dass uns immer wieder und immer mehr solcher Menschen finden. Also auf diesem Weg noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön an euch und an alle anderen TänzerINNEN, die uns Freitagnacht müde und glücklich zurückgelassen haben... mehr glücklich, als müde. Wie jedes Mal. DANKESCHÖN!

    Ein fröhlicher Fernknuddler,
    Steffi Stenzel

    P.S.: Selbstverständlich werden wir eine neue Location finden. Bei so vielen Leuten, die bei der Suche helfen und uns die Daumen halten?!? Das muss klappen!

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    1. Liebe Steffi,

      Herzlichen Dank für Deine Antwort!

      Ich bin wirklich froh, wenn ich mal eine Milonga empfehlen kann – anstatt Satiren über abartige Events zu publizieren.

      Wie gesagt: Es ist Euer Stil, der sich auf die Gäste überträgt. Insofern kommt dieses Resultat nicht nur durch Glück zustande.

      Zur Musik: Mir war schon klar, dass ich eine Momentaufnahme beschrieben habe. Und wir sind uns einig, dass man die Gäste nicht mit Extremen quälen darf. Und ich spreche natürlich von Tango und nicht von tangoferner Musik.

      Dennoch: Es gibt eine ganze Reihe von modernen Tangoensembles, die mehr zu bieten haben als das Nachspielen der alten Arrangements. Insofern darf man es einer guten Mischung schon anhören, dass sie aus verschiedenen Epochen stammt.

      Auf jeden Fall werden wir nicht das letzte Mal in Fürth gewesen sein – und sind neugierig auf weitere Entdeckungen.

      Liebe Grüße Euch beiden
      Gerhard

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