Die wahren Gründe, wieso wir Milongas besuchen – und wieso wir das nicht zugeben


Frikadellen, wie sie Ihre Mutter gemacht hat,
pro Stück: 2 €
Frikadellen, wie Sie glauben, dass sie Ihre Mutter gemacht hat,
pro Stück: 4 €
(alter Gastronomen-Witz)

Gut geklaut ist besser als schlecht erfunden! Daher erlaube ich mir die „Zweitverwertung“ einer interessanten Frage, die in einer anderen (geschlossenen) Facebook-Gruppe gestellt wurde:

Welche Eigenschaften muss eine Milonga haben, damit  man deren Besuch als vollen Erfolg betrachtet?

Für mich wäre die Antwort völlig eindeutig: dynamische, abwechslungsreiche Musik, deren Interpretation mich immer wieder vor neue Anforderungen stellt. Und wenn dann noch genug Platz wäre, um dies auch umzusetzen… Partnerin(nen) bring ich selber mit, danke der Nachfrage – dennoch finde ich es interessant, öfters zu wechseln und neue Tanzerfahrungen zu machen.

Bilanz der inzwischen gut 30 Beiträge:

Die Musik steht nicht so im Fokus (hätte mich auch gewundert): Erst auf den zweiten oder dritten Blick schätzt man eine vielfältige Beschallung – rein traditionelle Aufnahmen werden nirgends gefordert (mag an dem Zuschnitt der Gruppe liegen) – im Gegenteil:
Die olle quietschende und scheppernde Tangomusik sollte nicht zu viel gespielt werden, ansonsten gerne klassisch und modern gemischt auch Nontango gerne.

Und ansonsten? Die Qualität des Tanzbodens wird mehrfach erwähnt, wobei er für Traditionstänzer nicht zu glatt sein darf (na klar). Ebenfalls nicht so gut kommt es an, wenn das Parkett zu voll ist.

Viel Zustimmung findet ein Beitrag zur sozialen Komponente, die auch in anderen Wortmeldungen zum Tragen kommt:

„1. Die Gastgeber begrüßen mich freundlich und geben mir das Gefühl, willkommen zu sein.
2. Die Gäste sind offen, nicht arrogant oder extrem statusorientiert, und es wird viel getauscht.
3. Ich höre hin und wieder ein Giggeln oder gar Lachen auf der Tanzfläche.“

Andere Aspekte wie Soundanlage, DJ, Sitzgelegenheiten, Preisgestaltung etc. werden vereinzelt genannt, scheinen jedoch nicht wirklich entscheidend zu sein.

Worum geht es also primär? Grob gesagt:

Den Frauen eher um die Quantität, den Männern um die Qualität der Tänze:

„Für mich ist wichtig, dass die Herren mehr tanzen als herumsitzen“, so formuliert es eine Tänzerin. Tauschtandas werden daher favorisiert. Männlicherseits hingegen macht man Überforderung geltend: „Das ist so eine Sache mit dem Herumsitzen der Herren... Manchmal brauchen Männer auch mal eine Pause.“

Vorwiegend können sich die Herren der Schöpfung an einem Begriff delektieren, welcher nach erstmaliger Nennung riesigen Widerhall findet: dem „Flow“:

„Flow-Erleben – mit einer Person – reicht schon.“

„Eine Tanda Flow, und 200 km Anfahrtsweg haben sich gelohnt. Die Tangoseele ist Tage danach noch glücklich.“

„Aber die Erfahrung zeigt, solche unerwarteten Momente sind die besten, und wenn dann zwischen den Stücken die Tanzhaltung bleibt und man nur den Atem und den Herzschlag des anderen spürt, ohne Worte... das ist magisch oder halt Flow...“

Einer verlinkt – typisch für die maskuline Kopfsteuerung – gleich eine schöne Grafik aus Wikipedia dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Flow_(Psychologie)#/media/File:Flow.svg

Und – auch das kennzeichnend für  Männer – so ganz mag man der angeblichen Verzückung des Kollegen nicht trauen:

„Dazu habe ich eine Verständnisfrage: Es reicht Dir, an einem Abend eine Tanda im Flow getanzt zu heben?“

„Erstmal noch eine Frage zum Flow: Wird dieser meist von beiden Tanzpartnern gleichermaßen erlebt oder oft nur von einem (und für den anderen ist es nur harmonisch) und es reicht, wenn der Partner funktioniert?“

„Nun gut – ich bin ja gerne Krümelkacker, Kümmelspalter etc. – die Frage, die sich mir hier zusätzlich stellt – wie oft erlebt ihr denn diesen ominösen Flow?“

„Ich glaube, dass der Begriff Flow im Beitrag eher ein wenig zu leichtfertig für schöne Erlebnisse verwendet wird.

Was mich höchlich amüsiert: Die Debatte ähnelt durchaus einem Austausch über noch intimere Empfindungen. Wäre zu fragen: Gibt es auch einen „vorgetäuschten Flow“? Schlauerweise halten sich die Damen bei diesem Thema eher bedeckt…

Egal, im Zweifel ist es eh der Männe, welcher einer Frau zu ungeahntem Erleben verhilft:

„Glaub, es liegt zum großen Teil an den Führenden, das aus den Folgenden herauszukitzeln, was sie können, was sie mögen, wie ihr Temperament ist.“

Na klar. Ich will ja die Attraktion eines „Flow“ (ich nenne es „Traumtänze“) nicht abstreiten – nur muss ich nach tausenden von Bobachtungsstunden auf Milongas feststellen: Er steht inzwischen auf der „Roten Liste“. Es erinnert mich an die angeblichen Errungenschaften der „sexuellen Revolution“: viel Elend, wenig wirkliche Befreiung.


Inzwischen hat sich auch der ursprüngliche Fragesteller nochmal zu Wort gemeldet und stellt u.a. fest:

„Bei der Musik gibt es nur wenige, wo ich das Tanzen verweigere, und ebensoweginge Stücke, wo ich das Sitzenbleiben verweigere, so dass auch eher lieber zu schlechter Musik tanze.“
Um das mit Loriot zu kommentieren: Ah, ja…

Sehr realistisch dagegen finde ich das Statement einer Dame, welche sich neuerdings als Veranstalterin versucht:

„Da ich selbst tanze und Milongas seit 2 Monaten veranstalten darf...versuche ich auch diese Frage nach Kräften zu beantworten. Boden ist super. Platz reichlich vorhanden. Gutes Licht....dimmbare Lampen... Sound gut. Flow ist auf jedem Fall da... alle tanzen mit allen... gutes Niveau... aber... zu wenig Leute kommen regelmäßig . Alle begeistert – angeblich.)) So ist Feedback von vielen Paaren... spielt Zeitfaktor eine Rolle...?... Ausdauer als Veranstalter muss man haben...? Regelmäßigkeit, damit es sich festsetzt...? und populäre DJs ziehen immer... Oder / und etwas anderes anbieten als ‚nur‘ tanzen...?“

Letzteres! Ich empfehle: Weiber.

Am lustigsten bei der ganzen Debatte finde ich, dass keiner zugibt, was doch alle wissen: Milongas sind Jagdreviere. Und ebenso, wie ein Zoo nicht nur über ein Karnickelgehege (so süß die auch sind) verfügen darf, sondern ein sowohl breites als auch exotisches Angebot liefern muss, besuchen die wenigsten Männer Milongas, bei denen sie nicht genug Auswahl haben. Schließlich bieten sich dem Milonguero die legendären 72 Jungfrauen nicht erst beim Betätigen des Sprengstoffgürtels, sondern bereits beim Vorhandensein minimaler Tanzfähigkeiten.

Zwischen den Zeilen wird das doch überdeutlich:
„Der Raum sollte schön sein (keine Neonröhren und Resopaltische), bisschen puffig, Plüsch und so.“

Nur wenn die Männer die Rahmenbedingungen für ihren „Flow“ finden, werden sie gehäuft auf der Matte stehen – und in der Folge auch die Damen, denen es zumindest um die Quantität geht. Bekanntlich rennen alle auf eine Milonga, weil viele schon da sind – so einfach ist das. Neben der Ausdauer kann ich der Veranstalterin daher nur empfehlen, keine zu schwierige Musik anzubieten – sonst bleiben ihr nur Gäste, welchen es vorwiegend um das Tanzen geht.

Und das ist im Tango zu wenig.

Wie empfindlich die Herren auf eine drohende Überforderung reagieren, sei nachfolgend und vor allem den Neo-Tangueras noch einmal eindrücklich dargetan:

Kommentare

  1. Einspruch, euer Ehren: Die Musik taucht (bei mir) deshalb auf Kriterium nicht auf, weil sie der ungeeignetste Parameter ist, sich über die Güte einer Milonga einig zu werden, die Geschmäcker sind da halt viel zu breit gestreut. Das der soziale Aspekt so viel Gewicht hat kann doch eigentlich jeden , auch den gestrengen Herrn Riedel nur freuen. Und wenn im sozialen Aspekt auch ein bischen die Jagdfreude mitschwingt – ja mei, Tango ist auch ein Spiel. Dynamische Interaktion mit abwechslungsreichen Menschen, die mich immer wieder vor neue Herausforderungen stellen – oder so ähnlich. Weil: nur Tanzen, das wär beim Tango doch zu wenig !
    liebe Grüße Gregor Schlüter

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  2. Lieber Gregor Schlüter,

    Einspruch geschenkt, ich sitze ja nicht zu Gericht. Und für "gestreng" halte ich mich ebenso wenig. Ich finde es halt amüsant, wie man hier teilweise um den heißen Brei herumredet.

    Jeder darf seine eigenen Motive haben, zum Tango zu gehen, sofern er andere und vor allem sich selbst nicht belügt.

    Und, doch, mir persönlich würd Tanzen beim Tango reichen. Und zwar zu abwechslungsreicher Musik. Dann hätten wir die los, welche es nicht aushalten, wenn mal Stücke erklingen, die ihnen nicht so zusagen. Ich hielte das für einen riesigen Fortschritt.

    Danke und beste Grüße
    Gerhard

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