Man muss och jünne künne



Die „Sex and Crime“-Themen sorgen beim Tango stets aufs Neue für Spannung und heftige Debatten – derzeit gleich auf mehreren Tangoforen.

Die Grundfrage bei auch im Leben verbundenen Paaren lautet ja: Tanzt man ausschließlich mit dem eigenen Partner oder gestattet man einander ein „Fremdgehen“ auf dem Parkett (welch schönes Wort in diesem Zusammenhang…).

Was früher beim Tango die absolute Ausnahme war, kann man inzwischen gehäuft auf den Milongas beobachten: Wie im Standard-Ehepaartanzkreis dreht man seine Runden in edler Einehe. Fordert man versehentlich einen der beiden auf, so hat man anschließend ein Gefühl, als habe man bei einem Empfang im Buckingham-Palast versehentlich das Hosentürl offen gelassen. Peinlich. Geht gar nicht! Gerechterweise bewegt sich der tänzerische Fortschritt monogamer Tangopaare im Mikrometerbereich.

In meinem Tangobuch habe ich dieses Evolutionshindernis so beschrieben:

„Ich bin jedoch immer wieder entsetzt, wie viele offenbar langjährig verbundene Paare es gibt, die auf dem Parkett ein eklatantes physisches Unverständnis füreinander zeigen (weitergehende erotische Kontakte zwischen den beiden mag man sich gar nicht vorstellen…). (…) Gerade solche zwanghaften Zweierbeziehungen suchen sich meistens einen Tanzunterricht, der ihnen strenge Regeln und Gesetzmäßigkeiten vorgibt, orientieren sich an Begriffen wie ‚falsch‘ oder ‚richtig‘, um dann über dieses selbst gestellte Hindernis zu stolpern: Wenn es nicht funktioniert, muss ja zwangsläufig einer von ihnen einen ‚Fehler‘ begangen haben!“

Nun gut, Quastenflosser mit null Entwicklungspotenzial, setzen, der Nächste:

Das andere Extrem bilden Frauen, welche auf die eigentlich gute Idee kommen, das auf der Milonga doch nur unlustig nölende Exemplar gleich zu Hause zu lassen – sprich: alleine zum Tanzen zu gehen. Auch hier habe ich ganz schlechte Nachrichten an die emanzipierten Damen: Das wird nicht gutgehen. Fürs Protokoll noch ein Zitat aus meinem Buch:

„Inzwischen weiß ich durch viele Erfahrungen, dass die Kombination ‚tangobegeisterte Frau - nicht tanzender Partner‘ früher oder später fast immer mit einem Rückzug der Partnerin vom Tango endet. Die männliche Gegenstrategie ist stets zweiteilig: Schlechte Stimmung (oft durch subtile Stilmittel, die man den Herren gar nicht zutraut) und Verbreiterung der häuslichen Pflichten' – auf dass der Gattin kaum noch Zeit für ein Tanzvergnügen bleibt.“
(Quelle: Der noch größere Milonga-Führer, 2. Auflage, S. 139)

Der Männe besucht natürlich weiterhin den Stammtisch oder seine Naturschutz-Gruppe, klar…

Spannend wird es dazwischen: Wie sieht es bei Paaren aus, die miteinander tanzen, einander jedoch auch weitere Erfahrungen auf dem Parkett gönnen? Der Tangoautor Ralf Sartori schildert die entsprechenden Probleme in gewohnt blumiger Weise:

„Dieses Spannungsfeld überzieht Paare dann nicht selten mit einer Vielzahl sich konkret äußernder Konflikte, die sie schnell an die Grenzen ihrer Gelassenheit, Integrations- und Lösungsfähigkeit bringen können. Solchen Problemen wohnt jedoch zugleich ein immenses Wachstums-Potenzial inne, das für die persönliche wie auch gemeinsame Weiterentwicklung genutzt werden kann. Wie weit dies möglich ist, hängt allerdings von so einigen Faktoren ab: beispielsweise davon, wie es um die polaren Bindungskräfte von Liebe und Begehren bestellt ist oder wie gut diese noch erhalten sind; aber vor allem davon, wie sich in diesem Prozess die dynamisch veränderliche Balance von als noch positiv empfundener Herausforderung und schon weitgehender Überforderung beider Seiten gestaltet.“

(Der Gastbeitrag des Autors auf dem Blog „Berlin Tango Vibes“ ist dort mit der Drohung versehen, in seinen Büchern finde sich das noch „in wesentlich längerer Fassung“: https://berlintangovibes.com/2018/03/05/tango-paardynamik-und-therapie/)

Sagen wir es mal kurz und bündig: Speziell die Männer sind hochgradig verunsichert, wenn ihre Holde mit einem fremden und noch dazu guten Tänzer selig über die Piste schwebt. Dann geht im eigentlichen Paar nix mehr:

„Eigentlich kein Problem? Nun, es gibt da schon eine Situation, die kleine Schwierigkeiten verursacht. Wenn nämlich mit jeweils anderen Personen getanzt wird, was grundsätzlich kein Problem ist. Aber: Einer von beiden tanzt mit einem exzellenten Partner, und man sieht im Augenwinkel, wie die Liebste dies genießt, und man gönnt es ihr ohne Neid und ohne Eifersucht, wie auch vice versa. Dann folgt eine Tanda Pause, in der man nicht über diese Tanda mit einem anderen Partner spricht, und nach dem Verblassen der Erinnerung tanzt man gemeinsam... und nichts funktioniert... Der Kontakt kommt nicht zustande, er/sie scheint in Gedanken ganz weit weg, ein Gesicht, was offensichtlich in Erinnerungen schwelgt. (…) Was bleibt zurück? Selbstzweifel! Habe ich schlecht geführt, schlecht die Musik interpretiert, sie nicht in ihrer Stimmung abgeholt mir und ihr zu viel Stress gemacht, bin ich ihr gut genug im unterbewussten, natürlich immer geleugneten Vergleich? - Das macht es mir manchmal schwer...“

Ein Text in der (übrigens hervorragenden) Tango-Kolumne der Berliner Autorin Lea Martin beschäftigt sich mit genau diesem Thema:

„Die Chance, sich in eine/n Tangopartner/in zu verlieben ist durchaus real. Mancher Mann klebt daher wie ein Wachhund an seiner Partnerin und spricht deren Tanzpartner auch schon mal darauf an, wem das Revier gehört, in dem dieser seine Verzierungen dreht. Natürlich ist nicht der Tango selbst daran schuld, wenn eine Beziehung zerbricht. Sondern er wird dann zum Symbol. Für ein Lieben, das nicht besitzen will, und eine Intimität, die befreit.“ 

Auf Facebook veranlasste dies einen offenbar mit dem Problem vertrauten, eifersüchtigen Kampel zu folgendem imposantem Ausbruch:

„Dennoch halte ich es für verlogen selbstverleugnend, wenn ich meiner Holden aufregungslos zuschauen soll, wie sie mit sinnlich geschlossenen Augen und lächelnd halbgeöffneten Lippen einem mir und (teilweise) ihr unbekannten Tänzer gestattet mit seinem Oberschenkel in ihren Schritt (anatomisch) einzutreten. Da bin ich stockkonservativ der Ansicht, es gibt bestimmte Körperteile an meiner Frau, an denen ein anderer Mann nichts zu suchen hat. Und es ist bei aller deutschen Tangoesoterik IHR (gilt für alle Damen, nicht nur für die Meine) Job, für die Einhaltung dieser No-Go-Areas zu sorgen.

Die Antwort einer Leserin zeigt mustergültig die unterschiedlichen Sichtweisen der Geschlechter:

„Offensichtlich ist Tangotanzen für dich nicht ‚nur ein Tanz‘, sonst würdest du dir nicht so viele Gedanken über die ‚No-Go-Areas‘ am Körper deiner Frau machen - was mich ehrlich vor Empörung zittern lässt! Weder deine Frau noch ihr Körper gehören dir, das sind DEINE No-Go´s.“

Die einzige Replik des Gescholtenen:
„Dann zitter mal schön

Bliebe hinzuzufügen: Nur nicht mit den falschen Körperteilen…

Was bleibt letztlich vom ganzen Gedöns? Ich habe in bald 20 Jahren Tango schon viele „erotische Irrungen und Wirrungen“ mitbekommen – die dabei entstandenen stabilen neuen Partnerschaften kann ich jedoch locker an einer Hand abzählen. So what?

Und, nur so als Tipp aus Männersicht: Zum Fremdgehen braucht‘s keinen Tango – da reichen schon Büro oder Pfarrgemeinderat…

Ich meine, es gibt zwei Themen, die man nicht nur in einer Partnerschaft tunlichst meiden sollte, da sie regelmäßig zu sinnlosen Konflikten führen:

·         Klärung von „Schuldfragen“
·         Ranking

Es ist ein Aberglaube, dass an jedem Mist, der uns passiert, jemand schuld ist. Ursachen gibt es wohl – nur sollten wir mit Wertungen vorsichtig sein. Shit happens. Fertig.

„Mit wem tanzt du eigentlich lieber?“ ist eine Frage, welche ebenso geradlinig ins Verderben führt wie das berüchtigte „Bin ich zu dick?“.

„Kommt ganz drauf an“ ist die einzige Antwort, die mir auf solchen Unsinn einfällt. Wenn ich eine sehr gute Tänzerin seit einem Jahr nicht mehr gesehen habe, möchte ich vielleicht in erster Linie mal mit ihr aufs Parkett. Habe ich sie deshalb „lieber“? Und wenn man eine Modelkarriere plant, ist man eventuell zu dick dafür. Nur: Was hat das mit dem praktischen Leben zu tun?

Und: Wenn ich jemand gern habe, so gönne ich ihm doch die Freude, mal mit einem Super-Tänzer über den Tanzboden zu schweben. Was haben diese zwölf Minuten mit einer in Jahren gewachsenen Partnerschaft zu tun? Ist die denn eine „Spaßverhinderungsgemeinschaft“?

Daher überzeugt mich das anfangs zitierte echt kölsche Motto:
Man muss auch gönnen können.

Der Tango ist nie die Ursache dafür, dass eine Beziehung zerbricht – er kann den Prozess allerdings maßgeblich beschleunigen. Ich finde, dies ist einer seiner größten Vorteile!

Und wer dennoch nicht auf Rivalenkämpfe verzichten möchte: Lederhosen sehen dazu einfach besser aus als gestreifte Schlaghosen!

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