Pest Neujahr
„Der Hund bellt
immer.
Er bellt, wenn jemand
kommt, sowie auch, wenn jemand geht – er bellt zwischendurch, und wenn er
keinen Anlass hat, erbellt er sich einen.“
(Kurt Tucholsky: „Traktat
über den Hund, sowie über Lerm und Geräusch“, 1927)
Heute
fand ich auf Facebook diesen Aufruf:
„Alle Jahre wieder!
Holland hat private Feuerwerke verboten, bravo Holland! Ich hoffe, dass andere
Länder nachziehen und diese sinnlose Knallerei verbieten. Es ist ja nicht nur an Silvester, sondern schon Tage davor und
auch danach noch. Muss denn das wirklich sein? Kann man nicht einfach etwas
Rücksicht nehmen? Kann man das den Kindern nicht erklären? Das es Tiere gibt,
welche schreckliche Angst haben davor! Nicht nur Hunde und Katzen, sondern auch
Pferde, Wildtiere, Kühe usw. Mit diesem Geld könnte man so viel Gutes tun!
Bitte denkt an die Tiere, wenn es in ein paar Tagen wieder heißt:
Silvesterknallerei!“
Das Schlimme ist nur: Ich mag Pyrotechnik. Schon als Kind war für mich Silvester daher
ein höherer Feiertag als Weihnachten – nur vergleichbar mit dem alljährlichen
Volksfest, wo das Abschlussfeuerwerk ein Pflichttermin war. Für mein
Chemiestudium bildete dies zwar nicht den alleinigen, jedoch sicherlich einen primären
Anreiz.
Als wir noch Kaninchen als Haustiere hatten, wurden die
Hoppelmänner selbstredend zum Rutsch ins Neue Jahr in einen schallgedämpften
Kellerraum verbracht und mit einer Decke geschützt. Posttraumatische Belastungsstörungen konnte ich an ihnen nie
feststellen, nicht einmal an den Spatzen und Kohlmeisen im Garten, welche sich
auch am Neujahrstag mit unvermindertem Appetit am Vogelhäuschen bedienten.
Warum auch? Seit vielen Millionen Jahren sind
die Tiere an Gewitter gewöhnt.
Mindestens 60 Mal pro Sekunde knallt es auf unserem Planeten, und das bei
Spannungen von 10 Millionen Volt aufwärts und mit Stromstärken von
durchschnittlich 20000 Ampere. Einmal pro Quadratkilometer schlägt es jährlich
in unserem Landkreis ein – das macht insgesamt zirka 800 Blitze. Dabei
entstehen nicht nur Röntgen- und Gammastrahlung, sondern bei Temperaturen von
20000 bis 30000 °C auch jede Menge giftiger
Gase:
In den
unteren Atmosphärenschichten entstehen durch Blitze deutlich mehr Ozon und
Stickoxide als durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe.
Gewitter
sind also höchst umweltbelastend und
sollten daher verboten werden! Allerdings ist zu bedenken, dass sie wegen der
vom Regen ausgewaschenen Stickstoffverbindungen maßgeblich zur Düngung des Bodens beitragen – und ohne
die bösen künstlichen Düngemittel und auch den chemischen Pflanzenschutz,
Glyphosat hin oder her, wäre die heutige Menschheit nicht mehr ansatzweise mit
Nahrung zu versorgen!
Und
übrigens ernähren wir uns seit einigen Jahrtausenden von genmanipulierten Pflanzen: Man nennt dies Züchtung. Der heutige Kulturweizen
entwickelte sich vor zirka 8000 Jahren durch die Kombination der
Chromosomensätze dreier Grasarten. Wäre dies unterblieben, könnten wir heute
noch auf winzigen Grasfrüchten herumkauen wie dereinst unsere
Hominiden-Vorfahren. Gluten-Allergiker hätten jedoch auch damit Probleme,
solange sie nicht auf Amaranth, Mais und Hirse umstiegen.
Um
wieder auf den Tierschutz zu kommen:
Es ist ja ehrenwert, unsere geliebten Vierbeiner vor Schall-Immissionen
schützen zu wollen. Ein bisschen sollte man dabei aber auch an Zweibeiner
denken, welche gelegentlich als Nachbarn täglich (und nicht nur am 31.12. und
1.1.) und stundenlang von Kötergekläff
genervt werden. Einen Facebook-Aufruf in dieser Richtung habe ich jedoch noch
nie gelesen…
Die
Ursache scheint mir tiefer zu liegen: Es gibt einen Menschenschlag, der selber
große Probleme sowohl mit Genuss als auch mit Genus hat. Trifft dieser auf
Artgenossen (hier kein Partizip Perfekt), welche sich an etwas freuen, wird das
so genannte „Spaß-Verhinderungs-Gen“
aktiviert. Während man seinen Mitmenschen früher noch analog auf den Zeiger gehen
musste, bieten sich hierfür heute „soziale“ Netzwerke an, in denen man dann
moralinsaure Aufrufe oder Schock-Bilder postet.
So
werden wir rechtzeitig vor Festtagen
auf die grausame Aufzucht und das Abschlachten leckeren Geflügels vorbereitet. Zum Jahreswechsel gibt es schon längst „Brot statt Böller“, und zu Fasching erfahren wir von den
fürchterlichen Folgen des Alkoholkonsums.
Im Frühjahr brechen dann nicht nur
die ersten Knospen hervor, sondern auch ganze Artikelserien über diverse Allergien. Nicht, dass wir uns über die
erwachende Natur freuen dürften!
Gegen
Winter hin gibt es dann zwei generelle Möglichkeiten: Fallen mehr als drei
Flocken pro Minute, lesen wir vom „Schneechaos“,
bleiben diese aus, so dürfen wir uns an apokalyptischen Visionen zum Klimawandel erfreuen. Wobei ich als
Tangotänzer sagen muss: Ich kann damit leben, wenn ich Fahrten zu Milongas
nicht wegen Schneetreibens und Eisglätte absagen muss…
Das
ganze Jahr über bespaßt man uns jeweils mit dem „Giftstoff des Monats“ respektive dem „Erreger des Jahres“. Die Vogelgrippe
ist bekanntlich höchst gefährlich – jedenfalls, solange man nicht weiß, dass
für den Menschen das Erkrankungsrisiko äußerst gering ist. Gesicherte
Infektionen oder gar Todesfälle wurden bislang in Deutschland nicht nachgewiesen
– im Gegensatz zu den hierzulande jährlich 20000 tödlichen
Influenza-Infektionen. Dagegen gäbe es sogar eine Impfung – aber genau aus
dieser Ecke hören wir ja seit Langem, wie gefährlich diese sind… Und Feinstaub ist ja bekanntlich eine
Haupt-Todesursache – selbst wenn er nicht aus Vulkanen stammt! Apropos: Allein
der kongolesische Vulkan Nyiragongo emittiert täglich bis
zu 70000 Tonnen Schwefeldioxid!
Todesfälle
durch Silvesterfeuerwerk sind hierzulande eine absolute Rarität, und auch vom Blitz
erschlagen werden bei uns nur einige wenige Menschen pro Jahr.
Gefahren
hängen halt vor allem von der Angst des
Betrachters ab: So gab es seit 2001 weltweit 76 registrierte Hai-Angriffe, von denen 5 zum Tod eines
Menschen führten. Von herabfallenden Kokosnüssen
hingegen werden jährlich zirka 150 Menschen erschlagen – sicherlich ein
schöneres, da veganes Hinscheiden – aber gefährlicher als die Pest mit etwa 100
Todesfällen im Jahr!
Gerade
las ich sehr aufschlussreiche Aussagen zum Thema vom Pädagogik-Professor Horst Opaschowski unter dem Titel: „Je besser es den Leuten geht, desto
schlechter die Stimmung – das deutsche Unzufriedenheits-Paradox“. Der „Glücksfaktor“
sei bei uns weitgehend ausgereizt: 45 Prozent der Bevölkerung sähen dem neuen
Jahr mit großer Skepsis entgegen. Bei den Einzelthemen Spitzenreiter ist mit 85
Prozent das Flüchtlingsproblem. Steigende Steuereinnahmen, boomende Wirtschaft,
sinkende Arbeitslosigkeit: Dennoch glauben 56 Prozent, dass „die Politiker den Herausforderungen der
Zeit immer weniger gewachsen sind“.
Klar,
je weiter man nach oben kommt, desto größer ist eben die Angst, dass es wieder
nach unten geht. Man kann ja kaum noch einen Weihnachtsmarkt besuchen – bei dieser Terrorgefahr! Wobei ich
persönlich den grauenhaft gepanschten Glühwein für das größere Risiko halte…
Daher
haben wir an den Festtagen auch mit großem Genuss einer Bio-Flugente den Garaus
gemacht. Zu einem reinen Vegetarier werde ich in diesem Leben nicht mehr –
statt zum „Veggie-Day“ tendiere ich
im Zweifel doch zum „Mett-Woch“!
Immerhin tröstlich, dass auch grüne PolitikerInnen immer noch Flugreisen (sogar
zu Sonderkonditionen) buchen, obwohl diese Verkehrsart bei Weitem die
negativste Treibhausbilanz aufweist. Zum „ökologischen Ausgleich" habe ich noch nie ein Flugzeug bestiegen.
Und
ich bin sehr glücklich, dass nicht alle
Bedenkenträger Tango tanzen, sondern sich doch auch in anderen Bereichen
tummeln…
Daher
muss ich die obige Feuerwerks-Gegnerin enttäuschen: Ich werde an diesem
Silvester zwar nicht herumballern, aber doch das eine oder andere schöne
Batterie-Arrangement zünden. Und auch im Neuen Jahr Glossen über verkniffene Moralin-Hausierer schreiben.
So möchte ich am Schluss weder an kläffende Tölen noch an röhrende Mannsbilder erinnern, sondern an unsere Katzen: Sie sagen wenig und sind so intelligent, dass sie sich zur Kommunikation mit ihren Artgenossen Menschen halten, welche auf Facebook Katzenbilder posten:
Foto: www.tangofish.de |
P.S. Und wer die Feuerwerkerei für „unnütz“ hält: Ja, ist sie, ebenso wie Fußballgucken, Bierdeckelsammeln oder Tango.
P.P.S. Zum Weiterlesen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/01/feuerwerk-fur-annabelle.html
Eine meiner Lieblings-Spruchweisheiten ist "zu Tode gefürchtet ist auch gestorben". Angstmache als politisches Geschäftsmodell funktioniert speziell im Ökosektor hierzulande in der Tat (leider) sehr gut. Und auch bei Harleys gebe ich Dir Recht. Nachdem ich das erste Mal so ein Teil aus der Nähe gehört habe, konnte ich den Schluß von Easy Rider irgendwie besser verstehen...
AntwortenLöschenNa ja, der Grünen Partei kostet diese Spielverderber-Pose offenbar mehr und mehr Stimmen. Mal sehen, wie die sich weiterentwickeln.
LöschenUnd damit es nicht allzu viele googeln müssen: Peter Fonda und Dennis Hopper werden am Schluss des Films erschossen.
Wobei ich jedem seine Spinnerei gönne - so lange man sich sozial verhält, also nicht stundenlang durch Wohnviertel brettert oder verbotenerweise Schalldämpfer ausbaut.
Diesmal ein großer Widerspruch euer Ehren! Fußball, Tango und was sonst lässt Mitbürger und Mitlebewesen großteils in Ruhe, bei Feuerwerk und (noch unnötiger) Böllerschüssen ist das was anderes. Es erfüllt mich immer noch mit Wut wenn ich an unsere zitternde Hündin denke, wenn bereits am 25.12. die ersten Kracher kamen und sie in der Keller flüchtete. Vollends Gegner wurde ich aber bei einer Silvesterfeier von Freunden, als der Schwiegersohn bei den ersten Knallereien zusammenzuckte und seine Erlebnisse als Grenzsoldat (er ist englischer Staatsbürger) an der nordirischen Grenze in den 1990er Jahren erzählte. Nur zum Nachdenken einmal!
AntwortenLöschenLieber Ernst,
Löschenich kann solche Ressentiments schon verstehen. Zudem hatte ich bei dem Artikel die deutschen Vorschriften vor Augen: Bei uns ist der Verkauf der typischen Feuerwerkskörper nur drei Werktage vor Neujahr und das Abbrennen erst ab 18 Jahren und nur am 31.12. und 1.1. erlaubt. Und zumindest in unserem Kuhdorf hält man sich weitestgehend daran.
In Österreich können aber, wie ich las, Beschränkungen für geschlossene Ortschaften oder ganze Gemeinden erlassen werden. Aber das wirst Du sicher besser wissen
Widersprüchlich ist es halt für mich, wenn man bestimmte Lebenssituationen mit all ihren Vorzügen wählt (z.B. Wohnen in der Großstadt), sich dann aber über die Nachteile wie Feinstaub-Pegel oder Lärmbelastung aufregt. Wir sind jedenfalls vor allem wegen der Ruhe aufs Land gezogen. Aber auch da gibt es dann Zeitgenossen, die sich über Kuhglocken-Gebimmel oder das Krähen von Hähnen aufregen.
Mir ist nur annähernd bekannt, ob in Österreich bei „Risikospielen“ grölende und schlägernde „Fans“ auch ganze Stadtbezirke unter ihre Kontrolle nehmen. Frag mal Leute, die in der Nähe von Stadien oder Bahnhöfen wohnen bzw. an solchen Tagen mit dem Zug fahren, nach ihren Erfahrungen!
Viele Menschen sind hinsichtlich diverser eigener Erfahrungen traumatisiert. Meine Frau beispielsweise wurde als Kind mal von einem Schäferhund gebissen (die Narbe sieht man noch) und kriegt es regelmäßig mit den Nerven, wenn ein Hund sie unvermittelt ankläfft oder freilaufend auf sie zustürmt. Doch dafür kann sie nicht die ganze Gesellschaft in Haftung nehmen, nicht mal alle Hundehalter.
Und ich habe als junger Mann den Wehrdienst verweigert, und das nicht nur wegen der bevorstehenden Knallerei (nach meinen Recherchen auch in England möglich). Und was mein Vater nach fünfjähriger russischer Kriegsgefangenschaft von dem Geballere hielt, hat er vermutlich für sich behalten. Er hat mir dennoch meine Begeisterung für die Pyrotechnik nicht vermiest.
Danke für den Beitrag und liebe Grüße
Gerhard
An einem 25.12. haben weder Böller noch Feuerwerk etwas zu suchen, allein weil sie (in Deutschland zumindest) aus gutem Grund an x-beliebigen Tagen verboten sind.
LöschenHaustiere kann und soll man jedoch zu den "offiziell erlaubten" Zeiten sehr wohl schützen (s. Blogtext).
Traumata aus dem Krieg sind absolut furchtbar. Diese zu überwinden braucht es aber viel mehr, als Feuerwerk zu verbieten. Wie wäre es schon mal mit Diplomatie statt Krieg? Aber das ist ein weites Feld!
Ein Feuerwerk ist übrigens nicht generell mit grober, sinnloser Knallerei gleichzusetzen. Ich selbst habe wesentlich mehr für die "ästhetische" Seite übrig und es selbst oft erlebt, wie gemeinschaftsfördernd solch ein Feuerwerk sein kann. Dafür sprechen die Menschenansammlungen bei Veranstaltungen mit Feuerwerk, wo die Zuschauer in der gemeinsamen Bewunderung und Freude am Farbenspiel und den Bildern am Himmel zusammenrücken.