Die Cortina zu und alle Fragen offen
„Eine Geschichte ist
dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“
(Friedrich
Dürrenmatt: „Die Physiker“)
Derzeit
ist es mit anderen deutschsprachigen Tangoblogs ein bisschen schwierig:
Immerhin Freund Cassiel hat nach
fast einjährigem Schweigen einen längeren Text veröffentlicht, der angeblich
Tangobezüge aufweist, dessen Faszination sich jedoch weitgehend auf Physiker
und Soziologen beschränkt.
Auch
Facebook-DJ Thomas Kröter ist kürzlich mit seiner Neuschöpfung „mYlonga“
ans Licht der Welt getreten, scheint aber momentan Probleme zu haben, wie wir
sie sonst aus Cap Canaveral kennen: Der Countdown wird immer wieder
unterbrochen – na ja, vielleicht steigt die Rakete ja an Silvester.
Die
drei Damen der Seite „Berlin Tango Vibes“
lassen es zwar in hoher Frequenz schwingen, aber von den kurzen Textfragmenten,
welche sie in rascher Folge heraushauen, ergäben erst zirka zehn einen
gestandenen Artikel.
Aber
immerhin: Nachdenkenswert ist der eine oder andere Beitrag schon. „Heimliches Tanz-Date“ nennen sie eine
kürzlich erschienene Schöpfung. Der Inhalt ist rasch erzählt: Eine der drei „Erbsen-Prinzessinnen“
des Blogs hat zu Beginn der Cortina einen „unverbindlichen
Augen-Kontakt“ (Cassiel würde ihn „Prä-Cabeceo“
nennen), der von ihr wie folgt verstanden wird: „Ich hab‘ Dich für die nächste Tanda im Blick.“ (Für
Regelunkundige: Auffordern darf man jetzt noch nicht, da man ja nicht weiß, ob
man die folgende Musik überhaupt tanzen kann!)
Während
dergestalt Wurm plus Widerhaken vor dem Maul des fetten Fisches zappeln, wird
die Dame von einem Kerl, den sie gar nicht kennt (!), unsanft an den Schultern
gepackt und direktemang uffjefordert. Na, so geht’s aber gar nicht, wo sie „ja schon irgendwie vielleicht verabredet“
ist… Mithin kriegt der unverschämte Bursche einen Korb.
Unmittelbar
darauf schiebt sich ein weiterer Typ,
zudringlich nickend, in ihr Blickfeld – und obwohl sie sich abwendet, probiert
der doch glatt, erneut ihren Blick zu erhaschen! „Nein, nein, nein, ich will nicht! Was ist daran so schwer zu
verstehen?“
Endlich
ist die Zwischenmusik vorbei (Mann, haben die Berliner lange Cortinas), die
Prinzessin kann sich nun ihrem stillen Verehrer zuwenden: „Er fängt meinen Blick auf, ein schöner Cabeceo. Na bitte, geht doch.“
Und
wenn sie nicht gestorben sind, dann tanzen sie noch heute…
Was,
so fragt sich der ergriffene Leser, will uns die gar nicht immer huldvolle Dame
mit diesem Text sagen? Sicherlich zuvörderst, dass sie tänzerisch sehr begehrt
ist – gleich drei Kerle, die sich um sie balgen! Für viele Tänzerinnen
sicherlich Tango-Fantasy… Und natürlich: Nur der Beste ist für sie gut genug!
Für mich ein Grund, meine Pläne für eine Tangoreise nach Berlin doch noch ein
wenig hinauszuschieben.
Leider
endet der Text dort, wo es spannend würde: Wie nun, wenn der Ersehnte sich im
letzten Moment doch eine andere geschnappt hätte? Wäre dann ein Rückgriff auf
den Schulterpacker oder den Glotzer erfolgt, hätte Mamsell mit säuerlicher
Miene die ganze Tanda durchgesessen oder wäre in letzter Sekunde noch der große,
unbekannte Vierte aufgetaucht? Und wie war nun der Tanz mit dem Traumprinzen –
manchmal ist „weißer Schimmel“ ja doch ein mykologischer Begriff… Fragen über
Fragen!
Und
so sehen wir betroffen die Cortina zu und alle Fragen offen…
Schlauerweise
hat die Autorin allerdings ihren Beitrag auf der Facebook-Seite „Tango München“
verlinkt. Wusste sie etwa, dass man dort gemeinhin einen solchen Müll labert,
dass selbst schwache Texte qualitativ höherwertig erscheinen?
Die
darauf folgenden Kommentare jedenfalls müssen zum Großteil nicht mehr satirisch
nachbearbeitet werden:
Benimm-Experte
Oliver Fleidl liefert
seinen üblichen „Hintern ins Gesicht-Aufsager“: „Was für ein oberflächlicher, überflüssiger Text. Ich konnte nicht
glauben dass es das war und scrollte weiter, aber nein. Was ist jetzt das
Thema? Ein neuer Beitrag über Rüpel im Tango? Oder eine romantische Verklärung
des Cabaceo?“
(Die
falsche Schreibweise wird dann übrigens von anderen Kommentatoren glatt
übernommen – herrlich!)
Die
Administratorin der Gruppe wehrt sich gegen den Anschein von Pflichtversäumnissen: „Ich hatte ihn
schon gelöscht und dann erschien er wieder“. Aber: „heieiei, am
Heiligen Abend gabs noch Kredit.“
Ein anderer Schreiber mag jedoch die
freie Meinungsäußerung nicht in Bausch und Bogen verdammen: „Ich finde gut dass auch Hinweise auf Tango
Blogs hier in der Gruppe sein dürfen. Ich selbst habe sehr von Blogs profitiert
und ich glaube die evtl Störung wird durch den evtl Mehrwert mehr als
aufgewogen.“
Klar, dass wieder einmal die
Ungerechtigkeiten in der Geschlechterverteilung angesprochen werden müssen:
„Es gibt einfach zu wenige tanzende Männer !!“
(ausgenommen wohl in Berlin)
„Aus meiner Sicht gibt es zuwenig gut tanzende Frauen! Das
ist jedenfalls der Grund, weshalb ich kaum mehr ausgehe.“
Klar, dass bei solch gegensätzlichen
Aussagen die Kampel mal wieder aneinander geraten:
„wenn einem die Frauen nicht gut genug tanzen, dann hat
mann als führender in der regel selber noch viel zu lernen.“ (Und wenn es Groß- und Kleinschreibung ist…)
„In der
Regel ist das so, und idR findet sich auch immer irgendein Schlaumeier, der
glaubt andere schulmeistern zu dürfen.“
Gelegentlich verliert sich die Debatte dann
fachlich in derartige Höhen, dass man als Laie kaum noch mitkommt:
„Dar Cabaceo ist aber letztlich aber die nonverbalen Frage
eines ggf. Fremden während der Cortina, oder habe ich da etwas falsch
verstanden?“
„Tangowissenschaftlich
gesehen ist der Artikel dann also fundiert angreifbar, weil Cabaceo zum Ende
der Vortanda von allen relevanten Gelehrten als undenkbar eingestuft wird.“
„…aber
ich schwinge mich auf im Internet etwas zu Cabaceo in einem Tangoblog zu
schreiben. Das muss man zum Glück nicht kommentierten, es spricht ja für sich
selbst“
Da kann ich einem Kommentator nur aus vollem
Herzen zustimmen:
„Religionskriege
waren und sind für Ungläubige eine immerwährende Quelle der Erheiterung ! Also
weiter so...“
Unterm Strich bleibt festzuhalten: Für den
Satiriker gibt es immer weniger zu tun, wenn schwache Texte dann auch noch
durch den Schredder eines sozialen Netzwerks gezogen werden.
Das Schlusswort jedoch möchte ich einer
Tanguera überlassen, die zur Partnerwahl
im Tango eine erfrischend nüchterne Einstellung hat:
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschenerst zwei Mal war ich nun auf der Seite der Berliner Tango-Bloggerinnen. Zum Thema "No more Notlügen" und heute aufgrund Deines Beitrags.
Es ist halt der typische "Blog". Man veröffentlicht im Internet - für jeden sichtbar - seine Erlebnisse und Erfahrungen und schreibt dann noch seine Meinung dazu. Teils sogar völlig falsche Sachen("Tango aus der Sicht eines Controllers": Rechnungsabgrenzungsposten kann man nicht abschreiben! So ein Blödsinn!).
Sowas kann jeder von uns machen. Wir gehen alle regelmäßig auf Milongas und uns passiert jeden dieser Abende irgend etwas, was wir - sodenn wir so extrovertiert sein wollen - unserer Nachwelt hinterlassen wollen. Und wenn NIX passiert, dann kann ma immer noch eine Abhandlung darüber schreiben, dass NIX PASSIERT ist.
Wer braucht's?
I ned.
Aber Recht hast Du: Vorlage für Satire ist das genug ;-)
Liebe Grüße
Sandra
Liebe Sandra,
Löschenja klar, ursprünglich sind „Web-Logs“ elektronische Tagebücher. Und wenn man sich damit auf den Freundes- oder Bekanntenkreis beschränkt, ist das auch in Ordnung so.
Will man jedoch von einer Szene insgesamt wahrgenommen werden, gelten schon etwas härtere Gesetze. Zum Beispiel sollte man jemand haben, der im Deutschen ziemlich sattelfest ist. Es wirkt (jedenfalls auf mich) nicht gerade toll, wenn sich Fehler (auch in der Interpunktion) häufen. Oft wirken Blogtexte auf mich so, als hätte man sie nach dem Schreiben nie wieder angeschaut – und da entgeht einem einiges.
Und, ganz wichtig: Man muss die Tatsachen recherchieren. Mir wäre der Fauxpas mit den „Rechnungsabgrenzungsposten“ nicht aufgefallen – aber man kann sich halt darauf verlassen, dass Fachleute mitlesen und einen dann gnadenlos auflaufen lassen. Peinlich.
Die Länge der Artikel sollte sich an der „1000 Wörter-Regel“ orientieren. Klar gibt es geniale Texte, die mit weit weniger auskommen, aber gerade am Anfang ist das eine gute Richtschnur. Was gar nicht geht: Eine Anfangsidee ein wenig variieren und dann aufhören.
Na ja, die Damen werden auf meine Ratschläge verzichten. Ich habe allerdings schon viele Blogs zum Tango sterben sehen. Bei diesem wäre es trotz allem schade!
Herzlichen Dank und liebe Grüße
Gerhard
@Sandra: Rechnungsabgrenzungsposten kann man nicht abschreiben? Ein Blödsinn? Das sieht das HGB aber anders:
LöschenHGB § 250 (3) "Ist der Erfüllungsbetrag einer Verbindlichkeit höher als der Ausgabebetrag, so darf der Unterschiedsbetrag in den Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite aufgenommen werden. Der Unterschiedsbetrag ist durch planmäßige jährliche Abschreibungen zu tilgen, die auf die gesamte Laufzeit der Verbindlichkeit verteilt werden können."
LG Bernhard Grupp
@Bernhard Grupp
LöschenJa, das stimmt. 1:0, der Punkt geht an Sie!
Allerdings hat die Berliner Bloggerin mit dem Begriff „Abschreibungen“ sicher nicht das gemeint. Sonst wäre es ja noch ein größerer Blödsinn.
Bei dem von Ihnen zitierten § handelt es sich doch insbesondere um Damnum/Disagio. Also eine größere Geldausgabe, welche über die Laufzeit des Darlehens in gleich verteilten Beträgen jeweils als Betriebsausgabe angesetzt wird. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Wort „getilgt“. Grundsätzlich ist der Gesetzestext von „Rechnungsabgrenzungsposten“ laut HGB:
„ § 250 HGB
(1) Als Rechnungsabgrenzungsposten sind auf der Aktivseite Ausgaben vor dem Abschlußstichtag auszuweisen, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen.
(2) Auf der Passivseite sind als Rechnungsabgrenzungsposten Einnahmen vor dem Abschlußstichtag auszuweisen, soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen.
…. „
Und das jetzt in folgendem Zusammenhang:
Zitat Berlin Tango Vibes:
„ (…)
Nie geht die Gleichung zwischen Führenden und Folgenden auf. Laut Statistik bleiben mehr Frauen als Männer auf verlorenem Posten. Ein Buchhalter würde weise sagen: Rechnungsabgrenzungsposten. Kann man nur noch abschreiben.
(…) „
Wir sind ja scheinbar beide vom Fach. Also für mich ist ein Rechnungsabgrenzungsposten kein „verlorener“ Posten den ich „abschreiben“ kann. Beim Berlin-Blog ist doch etwas gemeint, was ich nicht mehr bekomme (also zum Beispiel eine schöne Tanzrunde). Also doch eher ein Forderungsausfall. Den könnte man abschreiben. Oder meinte die Bloggerin ein „nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“? ;-)
Müsste man mal drüber nachdenken...oder vielleicht ist mir das im Zusammenhang mit Tango auch einfach zu hoch… :-)
Liebe Grüße Sandra
Lieber Bernhard Grupp,
AntwortenLöschennun sind ja hoffentlich die betriebswirtschaftlichen Fragen geklärt!
Was mich allerdings weit mehr interessieren würde – falls Sie einen Tangobezug haben: Wie stehen Sie inhaltlich zum angesprochenen Artikel? Hier sicherheitshalber noch der Link:
https://berlintangovibes.com/2017/12/17/2016/
Oder zu dem Text, auf den sich mein Beitrag eigentlich bezieht?
Für mich ist der Satz mit dem „Abschreiben“ eher ein Wortspiel im Tangozusammenhang. Und – zur Sicherheit: Das hier ist ein Tangoblog.
Beste Grüße
Gerhard Riedl