Schach auf kleinem Karo
„Sie sind so
kleinkariert – auf Pepita kann man nicht Schach spielen.“
(Dr. Otto Graf
Lambsdorff, Deutscher Bundestag, 16.2.95)
Eigentlich
suchte ich in meinen alten „Tangodanza“-Ausgaben
einen anderen Artikel (den ich kurz darauf auch fand), als mir ein ziemlich
ausführlicher Leserbrief unter dem Titel „Schach
statt Tango?“ ins Auge fiel.
Wortreich
beklagt sich dort eine Tänzerin (namens „Friederike“), die wohl über ein Jahr
in Frankreich Tango gelernt hatte, über die Zustände auf deutschen Practicas
und Milongas:
Zum
einen scheine es hierzulande „ein Ding
der Unmöglichkeit zu sein, Tango ohne festen (Lebens-)Partner zu erlernen“.
Ganze zwei Tangoschulen im schwäbischen Raum hätten sich zwar theoretisch
bereit erklärt, nach einem „Gastherrn“ Ausschau zu halten – geworden sei daraus
aber nichts. In Paris dagegen gebe es gar keine feste Paarbindung in den Kursen,
man wechsle dann eben durch.
In
Deutschland jedoch sei es eher so, dass nur mit dem festen Partner geübt werde –
und wenn sich schon mal ein Herr zu einem „Fremdtanz“ herablasse, dann mit
unentschlossener Führung und sehr unbeholfen. Überhaupt stehe man lieber an den
Tischen herum und halte sich an seinem Glas fest.
Somit
vermisse sie die „Milonga-Gemeinschaft“,
in der alle Damen öfters zum Tanzen kämen und wo der Mann bestrebt sei, „der Frau einen angenehmen Tango zu bereiten“.
Sie
schließt mit einem Satz, den die Zeitschrift als Titel-Anreißer verwendete: „Wenn ich immer nur mit einem Partner tanze,
dann kann ich auch Schach spielen“.
Um
Kommentare wurde gebeten – und tatsächlich erschienen in der nächsten Ausgabe
drei:
Ein
Tänzer namens „Bernd“ berichtet, er habe zwölf Jahre in Japan getanzt und nach
seiner Rückkehr feststellen müssen: „Die
Deutschen tanzen schlecht, verstehen den Tango nicht und können die Musik nicht
umsetzen.“ Die Paare blieben viel zu lange zusammen, würden sich lieber
unterhalten statt tanzen, und die Musikauswahl sei meist historisch.
Auf
den Homepages der Tanzschulen würde zwar viel über die Vermittlung von
Basistechniken geschrieben, in Wahrheit verkaufe man lieber Schritte. Tango
erfordere aber „eine mühevolle
körperliche Umstellung sowie die Bereitschaft, sich zu quälen“. Ein bisserle japanisches Leistungsdenken klingt da schon durch!
Im fernöstlichen Kaiserreich gebe es für Paare fast nur Privatstunden, es werde viel mehr gewechselt,
die Lehrer würden auch mit ihren Gästen tanzen, Cliquen seien kaum auszumachen.
Hierzulande dagegen herrsche „eine
gewisse Erstarrung, die der Tango und wir nicht verdient haben“. Man solle lieber
erstmal zu „Milonga triste“ oder „Mi noche triste“ tanzen…
Die
„Mentalität der Unbeweglichkeit“
beklagt auch ein Tanguero, der sich „Michael“ nennt: „Motto: Wenn ich mich erst einmal irgendwo eingerichtet habe, dann darf
sich nichts mehr verändern.“ So schön es sei, dass der Tango auch Kleinstädte
erobere: „Aber dass dann dort Leute
unterrichten, die erkennbar inkompetent sind und – etwa deshalb? – eine Wagenburgmentalität
reiten und Fremde ausschließen, das darf einfach nicht sein.“
Am
interessantesten ist für mich der Beitrag einer Tanguera („Susanne“): Viel
hänge von der Einstellung der Tangoveranstalter ab. Seien sie zugewandt, freundlich und begeistert, so
färbe das auf die Gäste ab. Kommunikationsprobleme entstünden auch dadurch,
dass hierzulande der Blickkontakt nicht gepflegt würde.
In
diesem Zusammenhang plädiert die Schreiberin für optische Reize: „Wir Frauen wollten und wollen um unserer selbst
willen gesehen und gewertschätzt werden. Kleidung, Haltung und auch Schuhe
sollten da keine Rolle spielen. Das funktioniert aber auf einer Milonga nicht.
(…) Man kann jetzt natürlich sagen ‚Sex sells‘. Die stammesgeschichtliche Entwicklung
können wir nicht ändern. So ist es eben.“
Zur
weiteren optischen Aufrüstung habe ihr Tangolehrer eine aufrechte, offene
Haltung nicht nur beim Tanz, sondern schon beim Betreten der Milonga angeraten.
Motto: „Mit mir zu tanzen ist für dich
der Himmel auf Erden.“ Und siehe da – schon am nächsten Abend sei sie
ständig aufgefordert worden!
Obwohl
ich mir sicherlich nicht alle dieser Aussagen zu eigen machen möchte, bleibt
doch festzustellen: Den Verhältnissen im deutschen Tango wird nicht gerade ein
gutes Zeugnis ausgestellt – schlechter Unterricht trotz vollmundiger
Versprechungen, soziale Ausgrenzung, öde Beschallung, zementierte
Paarbindungen, zögerliches Aufforderungsverhalten, Wagenburg-Mentalität. Und,
noch tragischer: Die Texte stammen aus dem Jahr 2012 – die Chance, heute noch
Schlimmeres zu erleben, dürfte groß sein.
Sicherlich
tragen Veranstalter und Tangolehrer eine hohe Verantwortung: Wer sich nur
hinter der Kasse verschanzt oder einen „Vormachen-Nachmachen-Unterricht“ hält
bzw. noch den Satz „der Mann führt“ außerhalb einer Comedy-Show verwendet, hat
überhaupt nichts kapiert. Und auch der Spruch „Anmeldung nur paarweise" gehört in die Mottenkiste!
„Ist Tango in
Deutschland ein Gesellschaftstanz wie alle anderen auch?“, fragt die
Leserbriefschreiberin im ersten Artikel. Ja, bestenfalls! Und wenn ich heute
eine Tanzveranstaltung (ob Faschingsball oder Milonga) besuche, ist mein erster
Gedanke beim Blick aufs Parkett fast stets: „Ach, du Scheiße…“
Dennoch
fällt mir an den ganzen Beiträgen etwas Wichtigeres auf: Vielleicht habe ich ja
nicht genau genug gesucht, aber das Wort „Spaß“ konnte ich nirgends entdecken. Meine Absichten beim Tango sind stets darauf
gerichtet: entweder auf der Tanzfläche oder, wenn es halt aus irgendwelchen
Gründen kaum geht, beim Zuschauen. Man bedenke: Die Eintrittskarte für einen Kabarett-Abend
kostet ein Mehrfaches von der einer Milonga. Und nicht immer schafft es der
Künstler, die schrägen Typen so authentisch darzustellen wie die im Tango sich
selbst…
Und
über eines schweigt sich „Friederike“ völlig aus: ihre eigenen Bemühungen –
beim Finden eines Tanzpartners, der Entwicklung ihrer tänzerischen
Fähigkeiten, beim Versuch, auf andere Gäste zuzugehen, sie in ein freundliches
Gespräch zu verwickeln, ja gar, sie einmal aufzufordern – im Extremfall sogar
eine Frau, weil man auch ein bisschen führen kann. Nein, das alles hat ihr der
Tango gefälligst zu liefern. Tut er aber nicht – ätsch! Und nein, die
Hauptaufgabe eines Tänzers ist nicht, „der
Frau einen angenehmen Tango zu bereiten“. Das gilt entweder wechselseitig
oder gar nicht – so will es doch die Gleichberechtigung, oder?
Sicherlich
stünde manchen Männern das kleine Karo der Kochhose besser als die gestreiften
Beinkleider des Milonguero. Die entsprechende Einstellung mancher Frauen macht
das Kraut aber auch nicht fetter. Mit Vergnügen erinnere ich mich an die
verbale Aufforderung einer älteren, sehr resoluten Dame auf einer Milonga, die
einst Theresa Faus noch cabeceofrei veranstaltete: Natürlich nahm ich die
Tanzeinladung an, was die Tanguera nicht an dem Spruch hinderte: „Da zahlt man sechs Euro, und dann sind noch
nicht mal genug Männer da.“ Ich unterdrückte damals heldenhaft die Replik: „Mit
Männern kostet es zehn Euro“…
Und,
ob König oder Dame: Schach macht auch erst so richtig Spaß, wenn man es gut
kann! Man darf es ebenfalls mit wechselnden Partnern spielen.
Da
halte ich es doch eher mit der Kommentatorin „Susanne“: „Einige Punkte kann also ich als Frau beeinflussen. Dass auch Männer
eine andere Haltung brauchen, zum Teil auch andere Kleidung, ist ein anderes
Thema.“
Quellen:
Tangodanza Nr. 1/2012, S. 20 und Nr. 2/2012 S.
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